Freie Ärzteschaft kritisiert Digitalgesetz

Älterer Patient nutzt Videosprechstunde
Digitale Plattform-Medizin statt persönlicher Patientenbetreuung: Verband Freie Ärzteschaft hält Spahn-Strategie für falsch (Foto: fizkes/123rf.com)

Die rund 2.000 Mitglieder zählende Freie Ärzteschaft kritisiert den Entwurf zum dritten Digitalgesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Der Mediziner-Verband warnt vor einer „lobbygesteuerten digitalen Plattform-Medizin.”

Der Verband Freie Ärzteschaft (FÄ) kritisiert das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetzes (DVPMG) scharf. „Im Projekt Telematikinfrastruktur bahnt sich ein 180-Grad-Kurswechsel an: weg von der persönlichen Patientenbetreuung durch Ärzte und Psychotherapeuten hin zu einer lobbygesteuerten digitalen Plattform-Medizin“, warnt die FÄ-Vizevorsitzende Dr. Silke Lüder.

Nachdem die Arzt- und Psychotherapiepraxen jahrelang mit Fristen und Sanktionen zum Einbau teurer Konnektoren und Kartenlesegeräte gezwungen worden seien, solle die digitale Vernetzung nun webbasiert über Apps und Plattformen organisiert werden. „Alle sensiblen Krankheitsdaten werden dabei zentral gespeichert“, sagt Lüder. Milliarden Versichertengelder seien ohne erkennbaren Nutzen für Ärzte und Patienten in der Telematikinfrastruktur versenkt worden.

Nach Lüders Einschätzung steuere das Bundesgesundheitsministerium auf eine höchst unpersönliche Medizin zu: Telemedizin statt Arztbesuch, Videosprechstunde statt Praxisbesuch, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) statt persönlicher Betreuung. „DiGA sind ein Geschäftsmodell. Obgleich kein Nutzen nachgewiesen sein muss, zahlen die gesetzlichen Krankenkassen beispielsweise für eine Adipositas-App für 90 Tage 500 Euro. Das ist mehr als ein gesetzlich Versicherter durchschnittlich für die gesamte ambulante Medizin inklusive aller Arzt-, Technik- und Laborleistungen im Jahr kostet.“

Kritik an Videosprechstunden

Videokonsile sind aus Sicht der Freien Ärzteschaft sinnvoll im australischen Outback, in der Antarktis, in der Coronakrise oder auch bei Beurteilung von Röntgenbildern in kleinen Kliniken ohne eigene Radiologen. „Für die meisten Krankheitsfälle in Deutschland ist aber eine hochqualitative Versorgung im persönlichen Kontakt bisher Standard in Praxis und Klinik“ so Lüder. Medizin beinhalte nicht nur das Gespräch, sondern auch nonverbale Kommunikation, die körperliche Untersuchung, Labor und Technikeinsatz vor Ort. „Wenn der Gesundheitsminister hier die Qualität senken will, soll er das offen sagen.“

Keine Empfehlung für TI-Anwendungen

Die FÄ-Vizevorsitzende kritisiert, dass weder das Ministerium noch die Gematik ernsthafte Datensicherheitskriterien veröffentlichen. „Die sensibelsten Daten, die es gibt, sollen von privaten Firmen gespeichert und weitergeleitet werden. Das Vertrauenskriterium ‘hoch’, das für diese Daten als einziges anzunehmen wäre, taucht in den Gesetzen nicht auf und wird in den Zugangsrichtlinien nicht konkretisiert.“ Solange das so sei, könne man keinem Arzt und keinem Psychotherapeuten raten, TI-Anwendungen zu nutzen.