COVID-19: Mit der Smartwatch gegen den Krankenhaus-Kollaps

Mathieu Letombe ist CEO beim französischen Hersteller für vernetzte Gesundheitsgeräte Withings. (Foto: Withings)

Mit dem derzeitigen Teil-Lockdown hofft die Regierung, einem Kollaps des Gesundheitswesens vorzubeugen und die knapper werdenden Krankenhausressourcen zu schonen. Im Interview berichtet Withings-CEO Mathieu Letombe von einer vor Kurzem gestarteten Studie und erläutert, wie Wearables im Kampf gegen COVID-19 unterstützen können.

mednic: Die LMU München führt derzeit eine Studie durch, um die Krankenhausbetten während der Corona-Pandemie so lange wie möglich frei zu halten. Dazu erhalten einige der teilnehmenden Corona-Patienten eine ScanWatch von Withings. Wie funktioniert das genau?

Mathieu Letombe: Innerhalb der Studie werden COVID-19 Patient/innen zwischen 40 und 60 Jahren, die sich in häuslicher Quarantäne befinden und zur Risikogruppe zählen, mit der ScanWatch von Withings, einer Hybrid Smartwatch, ausgestattet. Zur Risikogruppe zählen Menschen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen wie Vorhofflimmern, Herzschwäche, Bluthochdruck, koronaren Herzerkrankungen oder diejenigen, die bereits eine Herz-OP hinter sich haben oder starke Raucher sind. 

Die Studienteilnehmer/innen zeichnen zweimal täglich oder bei Beschwerden ein 1-Kanal-EKG mit der Uhr auf und messen die Sauerstoffsättigung im Blut. Wenn die Werte nicht der Norm entsprechen, wenn etwa der SpO2-Wert unter 92 Prozent fällt, oder sich die Patient/innen schlechter fühlen, beispielsweise Atemnot verspüren, müssen sie sich selbstständig melden. Das Team steht über eine 24-Stunden-Hotline beratend zur Verfügung. Die Studie beobachtet die Patient/innen 30 Tage randomisiert. Die Teilnehmer/innen sind also in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Hälfte wird mit der ScanWatch ausgestattet, die andere Hälfte kann jederzeit die volle Behandlung durch das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen. 

Erste Ergebnisse im März

Die ersten Studienteilnehmer/innen wurden im September mit der Withings ScanWatch ausgestattet, als die COVID-19-Krise hierzulande noch etwas langsamer verlief als aktuell. Die Studie ist momentan noch im Gange, da die gewünschte Anzahl von Studienteilnehmer/innen noch nicht erreicht ist. Da die Patient/innen jeweils 30 Tage mit Hilfe der ScanWatch beobachtet werden, wird es noch ein wenig dauern, bis die Studie abgeschlossen ist. Wir erwarten erste Ergebnisse im März 2021. 

mednic: Neue Gesetze sollen dazu beitragen, dass digitale Gesundheitsanwendungen hierzulande Einzug auch in die Regelversorgung halten. Hier könnten medizinisch validierte Wearables eine entscheidende Rolle übernehmen. Wie bewerten Sie diesen Markt? Wo sehen Sie Chancen, wo Risiken?

Mathieu Letombe: Wir befürworten diese Entwicklungen. Viele unserer smarten Gesundheitsprodukte haben eine CE-Validierung und sind Medizinprodukte, so auch unsere neueste Uhr ScanWatch.  Gerne möchten wir, dass unsere Wearables noch mehr im medizinischen Bereich zum Einsatz kommen. Aus diesem Grund haben wir ein spezielles Angebot für Fachleute im Gesundheitswesen entwickelt. Neben der Zusammenarbeit mit der LMU München arbeiten wir mit weiteren medizinischen Einrichtungen und Institutionen zusammen und stellen ihnen unsere Produkte für die Forschung und telemedizinische Behandlung zur Verfügung. 

“Wearables bieten die Chance, bei der frühzeitigen Erkennungen von Krankheitsbildern zu unterstützen.”

Die neue Gesetzeslage in Deutschland ebnet den Weg für die direkte Zusammenarbeit mit Ärzt/innen und Kliniken. Die COVID-19-Pandemie hat sowohl den Patient/innen als auch dem medizinischen Fachpersonal die Notwendigkeit von Telemedizin deutlich gemacht. 

Wearables bieten die Chance, bei der frühzeitigen Erkennungen von Krankheitsbildern zu unterstützen. Sie können auch zur Nachbeobachtung, beispielsweise nach Operationen, hinzugezogen werden. Es muss jedoch noch viel Aufklärungsarbeit für den Einsatz von Wearables im medizinischen Bereich geleistet werden. Was uns außerdem wichtig ist: Unsere Wearables ersetzen keinen Arzt, sie dienen lediglich als präventives Hilfsmittel bzw. Frühwarnsystem. Als solche werden sie jedoch zukünftig eine wichtige Rolle im Gesundheitswesen einnehmen. Die Studie mit der LMU München ist dabei ein wichtiger Wegbereiter. 

mednic: Im Kampf gegen Erkrankungen und in der medizinischen Forschung gibt es viele Einsatzgebiete für Wearables. Allerdings birgt die Erhebung sensibler Patientendaten auch Risiken des Missbrauchs. Wie können Forschungseinrichtungen und Akteure im Gesundheitswesen diesen Missbrauch verhindern?

Mathieu Letombe: Besonders sensible Gesundheitsdaten sollten den strengen Regeln der Datenschutzgrundverordnung unterliegen. Diesem Schutz unterliegen auch die von uns ermittelten Gesundheitsdaten. Forschungseinrichtungen müssen im Studienverlauf ebenfalls diese strengen Verordnungen einhalten, um den Datenschutz zu gewährleisten und ermittelte Daten ausschließlich anonymisiert und verschlüsselt analysieren.

mednic: Welche Entwicklungen im Bereich Wearables im Gesundheitsbereich wird es in naher Zukunft geben? Inwiefern könnten sie dazu beitragen, das Gesundheitssystem zu entlasten?

Mathieu Letombe: Knapp ein Drittel aller Deutschen besaßen 2019 einer Bitkom-Studie zufolge bereits einen Fitnesstracker. Eine Zahl, die – davon ist im Corona-Jahr der Lockdowns auszugehen – 2020 wohl nochmal deutlich höher liegen wird. Wearables sind bereits heute in der Lage, die Gesundheit von Patient/innen anhand ihrer Vitalwerte von der Ferne aus zu überwachen – sei es Bluthochdruck, Gewicht, Herzfrequenz, Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung des Blutes oder der Herzrhythmus. Die telemedizinische Analyse spart sowohl räumliche als auch personelle Kapazitäten. Gerade die Pandemie zeigt außerdem, wie wichtig es ist, das Gesundheitspersonal als auch Patient/innen vor potentieller Virenübertragung zu schützen. Anhand von Ferndiagnosen können unnötige Arztbesuche sowie Krankenhausaufenthalte vermieden werden, wodurch das Gesundheitssystem massiv entlastet werden kann.