Urologen wollen schneller digitalisieren

Notebook in urologischem Behandlungszimmer
DGU-Präsident Rassweiler: „Bereits erfolgreich mitten im Digitalisierungsprozess“ (Foto: © serezniy/123rf.com)

Der amtierende Präsident der der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU) drückt aufs Tempo. Eine stärkere Digitalisierung, eine KI-unterstützte Chirurgie und die urologische Krebsfrüherkennung sind zentrale Themen auf dem diesjährigen Fachkongress „Urologie 2020 – es ist Zeit“.

Vor allem die Stärkung der Digitalisierung in der Urologie, der KI-unterstützten Chirurgie und der urologischen Krebsfrüherkennung sind für den amtierenden Präsidenten der Fachgesellschaft Professor Dr. Dr. Jens Rassweiler drängende Anliegen. „Natürlich müssen wir uns zeitnah auf die Digitalisierung der Medizin einstellen, aber es ist nicht ‚Fünf vor Zwölf’. Das reale Tempo bei der Einführung neuer Technologien ist deutlich langsamer. Deshalb ist es Zeit, sich Zeit zu nehmen, um zu würdigen, was die Urologie zum Beispiel als Vorreiter bei Laparoskopie und Roboter-assistierten Operationstechniken erreicht hat. Dann sehen wir, dass sich unser Fach bereits erfolgreich mitten im Digitalisierungsprozess befindet. Gerade deshalb sollten wir uns von der Zukunft nicht ängstigen lassen. Es gibt keinen Grund angesichts neuer Herausforderungen im Selbstmitleid zu verharren und in der Tat auch keine Zeit dafür“, sagt der Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie an den SLK-Kliniken Heilbronn.

Telemedizin im Zentrum der digitalen Transformation

Drei Anwendungsgebiete sieht der DGU-Präsident im Zentrum der digitalen Transformation: Die Telemedizin, die KI-unterstützte Diagnostik und die KI-unterstützte operative Therapie. „Die Telemedizin ist ja inzwischen schon im EBM angekommen, wo entsprechende Qualitätsanforderungen zur Durchführung und Abrechnung der Videosprechstunde festgelegt sind. Primär geht es sicher darum, Videosprechstunden für entsprechend selektionierte Patientengruppen anzubieten. Hier konnte das Johns-Hopkins-Institut bei der Nachsorge nach radikaler Prostatektomie viele Vorteile für die Online-Konsultation belegen. In Zweifelsfällen kann der Patient dann zur entsprechenden Untersuchung einbestellt werden.“ 

Beim Inhalt digitaler Informationsplattformen wie dem Urologenportal hätten die Fachgesellschaften die Aufgabe, sich qualitativ von Dr. Google abzuheben. Auch mit der Online-Entscheidungshilfe Prostatakrebs und dem Zweitmeinungsportal zu Hodenkrebs sowie demnächst auch zum Peniskarzinom sei die DGU auf einem sehr guten Weg. „Wir sind dabei, wertvolle Daten zu kreieren, die wir mithilfe von KI weiter nutzen beziehungsweise deren Nutzen wir optimieren können. Aber künstliche Intelligenz kann nur so gut sein, wie die Qualität der eingegebenen Daten ist. Wirtschaftliche Modelle gilt es, vonseiten der Fachgesellschaften zu unterbinden. Gerade die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Forschung in der Medizin ist eine ihrer größten Stärken“, betont Rassweiler.

Erfahrungen mit neuronalen Netzwerken

In der KI-gestützten Diagnostik dominiert die Radiologie. Aber auch die Urologie hat nach Worten des DGU-Präsidenten bei der Prostatadiagnostik mittels transrektalem Ultraschall bereits Erfahrungen mit neuronalen Netzwerken gesammelt. „Unsere Kenntnisse bei der Beurteilung des multiparametrischen MRT werden immer wichtiger. Entsprechende Kurse im wissenschaftlichen Programm des 72. DGU-Kongresses tragen dem Rechnung. Es wird spannend werden, wie viel Radiologie wir zukünftig zur Interpretation eines MRT der Prostata benötigen werden. Auf jeden Fall werden diese KI-Entwicklungen mit hochqualitativen Daten gefüttert.“

Zeit für Surgery 4.0

Die KI-unterstützte Chirurgie, die Surgery 4.0 analog zur Industry 4.0, ist für Prof. Rassweiler das spektakulärste Feld des digitalen Wandels. „Hier geht es um die generelle Nutzung von ‚Big Data’ im Rahmen von Surgical Data Science – einem neuen Forschungsfeld, das alle bei einer Operation anfallenden Daten erfassen und koordinieren soll. ‚Kabelsalat’ im OP wird sich erübrigen, da die Geräte über WLAN kommunizieren werden. Jedes Gerät wird mit optischen Markern ausgerüstet werden, womit seine Position im OP-Saal, aber auch bezüglich des Patienten definiert und aktualisiert werden kann. Chirurgische Checklisten wie Team-time-out werden im Hintergrund automatisch ablaufen“, erklärt Rassweiler. 

PSA-Test als Kassenleistung

In der analogen Welt verfolgt der DGU-Präsident die Stärkung der urologischen Krebsfrüherkennung, insbesondere beim Prostatakarzinom, der mit rund 60.000 Neuerkrankungen im Jahr häufigsten Krebserkrankung des Mannes. Für Rassweiler ist es Zeit für den PSA-Test als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen, die angemessen vergütet sein muss: „Zum DGU-Kongress im September 2020 wird der Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zur Bewertung eines Prostatakrebs-Screenings mittels Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) erwartet. Dass das IQWiG in seinem Vorbericht entgegen dem aktuellen White Paper der EAU und entgegen der wissenschaftlichen Stellungnahme der DGU vom 6. Mai 2019 jüngst eine negative Bewertung eines PSA-basierten Screenings vorgenommen hat, bedauern wir sehr und werden unsere Position deshalb nochmals in das nun laufende Stellungnahme Verfahren einbringen.“

„Bei der modernen risikoadaptierten Prostatakarzinomfrüherkennung geht es um mehr als einen Überlebensvorteil der früh diagnostizierten Karzinome – es geht vielmehr auch darum, Patienten vor den starken Einschränkung der Lebensqualität und dem großen Leid durch zu spät erkannte metastasierte Prostatakarzinome mit beispielsweise Knochenmetastasen und den damit verbundenen sehr kosten- und nebenwirkungsreichen Systemtherapien zu bewahren“ erklärt Professor Dr. Maurice Stephan Michel, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Urologie.

Der 72. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie findet vom 23. bis 26. September 2020 im Congress Center Leipzig statt.