Kassen- und Ärzteverbände sind empört über die geplante Machtübernahme des Bundesgesundheitsministeriums in der IT-Projektgesellschaft Gematik. Einen Schuldigen für die bisher nur im Schneckentempo erzielten Fortschritte haben die bisherigen Gematik-Gesellschafter schon gefunden: die Industrie.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will künftig 51 Prozent der Gesellschafteranteile in der Gematik halten (mednic berichtete). Hintergrund: Das BMG wirft der Gematik vor, Entscheidungen und dadurch auch wichtige Fortschritte bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens unnötig zu verschleppen. Insbesondere bei der elektronischen Patientenakte (ePA) will Spahn mehr Kompetenzen, um das Projekt in absehbarer Zeit vorwärts zu bringen. „Dieses Zukunftsprojekt darf nicht zum Berliner Flughafen des Gesundheitswesens werden“, twitterte Spahn dazu. Ein klarer Vorwurf an die Gematik, die bei der „Gesundheitskarte“ nach mehr als 13 Jahren nur eine Minimallösung zustande brachte. Die Karte kann bisher nicht wesentlich mehr als der ursprüngliche Versichertenausweis. Dabei entstanden jedoch Entwicklungskosten von rund einer Milliarde Euro.
Kritik an Finanzierung
Das Vorhaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn führt zu scharfer Kritik von den Krankenkassen und Ärzteverbänden, deren Einfluss beschnitten werden soll. „Hier werden Kompetenzen, Zuständigkeiten und Finanzierung zwischen staatlichen Institutionen und der gemeinsamen Selbstverwaltung vermischt, was zu Intransparenz und unklaren Verantwortlichkeiten führt“, sagte ein Sprecher des GKV-Spitzenverbands. Das BMG schaffe sich faktisch eine nachgeordnete Behörde, die jedoch durch die Beitragsgelder der Versicherten finanziert werde. Das lehnt der GKV-Spitzenverband ab.
Montgomery: „Staatsdirigistischer Eingriff“
Die schärfste Attacke kam von Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery, dem Präsidenten der Bundesärztekammer: Er wirft der Bundesregierung „Staatsdirigismus“ vor: „Im Koalitionsvertrag steht noch das klare Bekenntnis der Regierung zu Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung. Jetzt aber soll die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen mit einem staatsdirigistischen Eingriff ausgehebelt werden“. Montgomery spricht von einem „Systembruch“, den man strikt ablehne. „Medizinische Notwendigkeit, Wissenschaftlichkeit und die Einbeziehung des Sachverstands der Beteiligten und Betroffenen in der Selbstverwaltung müssen grundlegende Prinzipien der Weiterentwicklung unseres Krankenversicherungssystems bleiben“, fordert er. Allerdings liefert auch Montgomery keine Erklärung dafür, warum seit über einem Jahrzehnt keine nennenswerten Fortschritte erreicht wurden.
Lieferprobleme der Industrie
Den schwarzen Peter für die enormen Zeitverzögerungen schieben die Spitzenverbände jetzt der Industrie zu. So liegt nach Einschätzung des GKV-Spitzenverbands die Schuld für die Verzögerungen nicht mehr bei der Gematik, sondern aufseiten der Industrie, die mit der Produktion der für den Aufbau des Gesundheitsdatennetzes erforderlichen Konnektoren nicht hinterherkomme.
Gematik-Anteile: Aktuell hält die GKV 50 Prozent der Gesellschafteranteile und die Spitzenverbände der Leistungserbringer, sprich Krankenhäuser, Ärzte, Apotheker halten die anderen 50 Prozent. Für Entscheidungen ist eine Mehrheit von 67 Prozent erforderlich.