Start der elektronischen Patientenakte in Gefahr

bvitg-Geschäftsführer Zilch
bvitg-Geschäftsführer Zilch: „Das ganze System steht seit Monaten unter enormen Druck und die Kapazitätsgrenzen aller Institutionen sind erkennbar erreicht“ (Foto: bvitg)

Auf dem Deutschen Ärztetag machte Minister Jens Spahn die Hersteller von Praxisverwaltungssystemen für mögliche Verzögerungen beim Start der elektronischen Patientenakte in Arztpraxen verantwortlich. Dagegen wehrt sich der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) vehement.

Die auf dem Deutschen Ärztetag geäußerten Zweifel, ob der Start der elektronischen Patientenakte zum 30. Juni 2020 gelingen kann, bringen den Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) auf die Palme. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte den Herstellern von Praxisverwaltungssystemen den Schwarzen Peter zugeschoben und drohte zudem mit gesetzlichen Schritten, um für mehr Geschwindigkeit zu sorgen.

Chaos bei Softwarespezifikationen

„Diese Schuldzuschreibungen weisen wir klar zurück“, betont bvitg-Geschäftsführer Sebastian Zilch. „Die Hersteller arbeiten mit Hochdruck an der Umsetzung aller Digitalprojekte, die in dieser Legislatur auf den Weg gebracht wurden. Bei der Umsetzung von Vorgaben in der Software ist nicht allein die Geschwindigkeit bei der Programmierung relevant; sondern vielmehr die Softwarespezifikationen, welche den Herstellern regelhaft mit großer Verzögerung angeboten werden oder sich kurz vor Schluss ändern. Das ganze System steht seit Monaten unter enormen Druck und die Kapazitätsgrenzen aller Institutionen sind erkennbar erreicht. Viele der politisch gewollten Fristen lassen sich nicht ohne Weiteres in die Versorgungsrealität übersetzen. Obwohl dies seit Langem bekannt ist, zeigt sich bisher keine Bereitschaft, gesetzlich eine Priorisierung vorzunehmen.“

Industrie im Schulterschluss mit BÄK und KBV

Mit dem Wunsch nach einer Priorisierung ist die Industrie nicht allein: So beklagte der Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt beim Deutschen Ärztetag, dass die vom Ministerium beschlossenen Fristen schon ohne Pandemie nicht zu halten gewesen wären und auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bezeichnete kürzlich bei ihrer Vertreterversammlung die Fristen zur Einführung weiterer digitaler Anwendungen als unrealistisch.

Agiles Projektmanagement gefordert

Bei der Auflösung dieser Konflikte sieht der Bundesverband Gesundheits-IT Handlungsbedarf: „Was wir jetzt brauchen, ist eine klare Priorisierung der Vorhaben: Was soll mit Vorrang angegangen werden und was kann im Gegenzug zurückgestellt werden? Ganz klar zu bevorzugen sind alle Vorhaben, die unmittelbar der Bekämpfung der Corona-Pandemie gelten, etwa das digitale Impfzertifikat. Schließlich liegen diese im Hauptinteresse der Bevölkerung. Die Industrie steht für einen direkten Austausch gerne bereit“, ergänzt Zilch.