Spannende Diskussionsrunde in Bonn: Rund hundert Gäste aus Politik, Gesundheitsversorgung, Forschung und Industrie diskutierten kontrovers über die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Deutlich wurde: In Bezug auf die digitale Gesundheit kommt Deutschland zu langsam voran.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen besitzt ein großes Potential. Doch zu häufig werden Lösungen am Bedarf vorbeientwickelt und die tatsächlichen Bedürfnisse der Anwender werden übersehen. Viele innovative Lösungen werden zudem getestet und nochmals getestet, anstatt zügig der Allgemeinheit zugänglich gemacht zu werden. Rund hundert Gäste diskutierten im Rahmen einer Veranstaltung des Netzwerks „New Healthcare Puzzle“ und der Deutschen Telekom den schwierigen Transformationsprozess im Gesundheitswesen. „Wir haben das branchenübergreifende Unternehmensnetzwerk im Jahr 2014 ins Leben gerufen, um gemeinsam ganzheitliche, innovative Versorgungslösungen zu entwickeln“, betonte Dr. Klaus Suwelack vom Initiator Janssen Deutschland. „Es ist fünf vor zwölf und der Patient wartet“, brachte Suwelack auf den Punkt, was die Initiative antreibt. Neben der Telekom zählen auch SAP, Siemens Healthineers, Arvato, Bertelsmann, Philips und Johnson & Johnson zu den Mitgliedern.
„Wir wollen die Vernetzung im Gesundheitsbereich vorantreiben“, betonte Mark Düsener, Senior Vice President Health bei der Telekom-Tochter T-Systems. Dabei stehe insbesondere die digitale Infrastruktur im Fokus. Bei der Entwicklung von Lösungen setzt der Konzern auch auf die enge Kooperation mit anderen Herstellern wie beispielsweise Sony Mobile. Aus diesem Grund sei die Telekom auch Teil des New Healthcare Puzzle geworden.
Digitale Gesundheit: Handlungsbedarf in vielen Bereichen
Die digitale Agenda der Bundesregierung stellte Nino Mangiapane vor. Der Leiter des Referats „Grundsatzfragen eHealth“ im Bundesministerium für Gesundheit erläuterte, dass die digitale Patientenakte, der digitale Zugang zu Anwendungen und Daten sowie der Einsatz von Big Data und künstlicher Intelligenz im Fokus stehen. Die Telematikinfrastruktur ist nach Ansicht des Experten ein zentraler Baustein zur sicheren Vernetzung des Gesundheitssystems. Nach den Worten des Referatsleiters gibt es in vielen Bereichen noch Handlungsbedarf. So fehle in der ambulanten wie in der stationären Versorgung eine von allen Beteiligten gemeinsame nutzbare Kommunikationsplattform. Übergreifende Kommunikationsprozesse könnten jedoch zu einer besseren und effizienteren Versorgung beitragen.
Gesundheitsdaten sinnvoll nutzen
Dr. Michael John, stellvertretender Leiter Telehealth Technologies beim Fraunhofer Fokus, betonte in seinem Vortrag, dass bei der Entwicklung neuer Lösungen für das Gesundheitswesen die Bedürfnisse der Anwender im Zentrum stehen müssen. Auch für Dr. Matthieu-P. Schapranow vom Hasso-Plattner-Institut liegt der Schlüssel zur Akzeptanz digitaler Anwendungen bei den Patienten. So würden bereits heute 85 Prozent aller Deutschen ihre Gesundheitsdaten ihrem Hausarzt zur Verfügung stellen. Nicht nur aus Kostengründen sei die Erhebung von Daten im gesamten Gesundheitssystem enorm wichtig. Zum Beispiel könnte die Wahl einer Pflegeeinrichtung leichter fallen, wenn die Patienten oder Angehörigen wüssten, wo die nächste sei oder wie die Auslastung ist. „Wir müssen heute entscheiden, wie wir morgen behandelt werden wollen.“
„Pilotitis“ statt Digital Health in der Regelversorgung
Die Rückständigkeit im deutschen Gesundheitssystem in Bezug auf die Digitalisierung bemängelte Dr. Christoph Meyer-Delpho, Senior Manager Digital Health T-Systems. Oftmals herrsche dort digitale Steinzeit statt digitaler Transformation und Pilotitis statt Digital Health in der Regelversorgung. „Wir müssen endlich aufhören uns an die Rückständigkeit des deutschen Gesundheitssystems in Sachen Digitalisierung zu gewöhnen. Er fordert, dass „Patienten, Ärzte, Krankenkassen, digitale Gesundheitswirtschaft und Politik sich zusammensetzen, um gemeinsam zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln, die den Menschen wirklich helfen.“ IoT im Gesundheitswesen könnte hier eine wichtige Rolle spielen.
Personalisierte Medizin braucht Menschen
Ein Teilnehmer der Veranstaltung war auch der bekannte Arzt, Kabarettist und TV-Moderator . In seinem Vortrag ordnete von Hirschhausen die Situation aus seiner Sicht ein. „Die Digitalisierung bietet die Möglichkeit, Menschen, die sich um einen Patienten kümmern – wie zum Beispiel Ärzte, Pflegekräfte oder Physiotherapeuten – endlich sinnvoll zu vernetzen. Das passiert heute nur sehr begrenzt.“ Er verwies gleichzeitig darauf, wie wichtig der menschliche Kontakt und auch der Faktor Mensch in der Medizin sei. Das gelte für Patienten ebenso wie für Mitarbeiter in Klinken. Bei aller Digitalisierung: Personalisierte Medizin braucht Personen, ist von Hirschhausen überzeugt.