Bis zu 1.000 Gesundheitskioske sollen künftig in sozial benachteiligten oder ländlichen Räumen zu Prävention und Gesundheitsversorgung beitragen. Der IKK e.V. hält die Planung für unausgegoren und kritisiert das Finanzierungsmodell.
Der IKK e.V. ist die Interessenvertretung von Innungskrankenkassen auf Bundesebene. Auf der 27. Plattform Gesundheit des IKK e.V. diskutierten jetzt rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Wissenschaft und Gesundheitswirtschaft das Thema „Gesundheitskioske als innovative Schnittstelle – Wunsch oder Wirklichkeit?“.
Den Worten des IKK e.V.-Vorstandsvorsitzenden Hans-Jürgen Müller zufolge begrüßen die Innungskrankenkassen grundsätzlich Vorschläge, die zu einer zielgerichteten Versorgungsverbesserung in belasteten Regionen führen können. Das vom Bundesgesundheitsministerium geplante Konzept wird jedoch in Frage gestellt: Auf bestehende Beratungsangebote lediglich einen Gesundheitskiosk als ein neues Angebot aufzusetzen, um in sozial benachteiligten oder ländlichen Räumen Prävention, Beratung und Gesundheitsversorgung zu schaffen, das könne nicht funktionieren. Stattdessen müsse je nach Bedarf, regionaler Verortung und vorhandener Ressourcen ein sehr spezifisches Gesundheitsangebot erstellt werden. Das Hamburger Modellprojekt Billstedt/Horn sei als Blaupause für ganz Deutschland ungeeignet, so das Fazit der IKK-Veranstaltung.
GKV soll pauschal hohen Kostenanteil übernehmen
Kritisiert wurde nicht zuletzt das geplante Finanzierungskonzept über die Gesetzliche Krankenversicherung: Die im Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums für die Gesundheitskioske genannten Aufgaben seien nur teilweise Aufgabe der GKV. Es könne deshalb nicht sein, dass die GKV pauschal 74,5 Prozent der Kosten übernehmen soll, bilanzierte der IKK e.V.-Vorstandsvorsitzende. „Bei der aktuellen Finanzsituation der Krankenkassen ist das ein schweres Pfund!“ Müller verwies darauf, dass die Gesundheitskioske auch der Sozialraumpflege und der Daseinsvorsorge dienen sollen und damit Aufgabe des Öffentlichen Gesundheitsdienstes seien. Ein solches Angebot müsse entsprechend von den Ländern und Kommunen finanziert werden. Ebenfalls kritisch sieht Müller die fortschreitende Zerklüftung von Verantwortlichkeiten sowie eine mögliche Ausdünnung der schon jetzt wenig belastbaren Personaldecke.
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium Sabine Dittmar (SPD) erteilte indes einer Finanzentlastung der Kassen eine Absage. Bei der Kostenaufteilung hätte sich die Regierung davon leiten lassen, dass die Krankenversicherungen als Solidargemeinschaft die Aufgabe haben, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder zu verbessern. Dies bedeute auch die Förderung der Gesundheitskompetenz und der Eigenverantwortung der Versicherten. Insofern hätten die Krankenkassen auch bei der Aufklärung und Beratung zu helfen.
Gesundheitskioske dem Sozialraum anpassen
Heike Köckler, Professorin für Sozialraum und Gesundheit am Bochumer DoCH Department of Community Health der Hochschule für Gesundheit, betont die Bedeutung der sozialen und kommunalen Strukturen sowie Netzwerke vor Ort für den Erfolg eines Gesundheitskiosks. „Gesundheitskioske können nicht wie im Franchise-System aufgesetzt werden“, erklärt Köckler. Es brauche community-spezifische Ansätze. „Gesundheitskioske sind dem Sozialraum entsprechend zu konzipieren und einzubinden und erfordern die Zusammenarbeit von Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen, ebenso wie von Kommunen und Sozialraumakteuren, wie etwa Wohlfahrt, Kirche oder Sportverwaltung“, erklärte die Professorin. Deshalb benötige man in ländlichen Strukturen ganz anders aufgestellte Gesundheitskioske als in städtischen Brennpunkten.
Interdisziplinärer Ansatz notwendig
Das Konzept der Gesundheitskioske der Bundesregierung sei konzeptionell noch nicht ausgegoren, konstatierte Anselm Lotz, Verwaltungsratsvorsitzender der IKK Brandenburg und Berlin. Er fordert ein an den Bedarfen ausgerichtetes Gesamtkonzept. „Gesundheit darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern benötigt einen interdisziplinären Zugang.“ Sozial- und Kommunikationsräume zu schaffen, ist für den Verwaltungsratsvorsitzenden ein Schlüsselfaktor für die Verbesserung der Gesundheitskompetenz in sozial benachteiligten Regionen. Für die Einrichtung von Gesundheitskiosken im engeren Sinn stellt er die Bedarfsfrage: „Wir sollten die Versicherten fragen, ob sie die Idee des Gesundheitskiosks gut finden, wenn sie das Projekt schließlich auch bezahlen sollen.“
Ressourcenschonung von Anfang an bedenken
Einen Bedarf an Gesundheitskiosken stellt Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, fest. Doch die vom Gesundheitsminister Lauterbach postulierte Anzahl von 1.000 Kiosken spiegle gleichwohl nicht den Bedarf wider, meint Beier. „Die Zahl 1.000 manifestiert vielmehr das Bedürfnis der Politik, lösungsorientierte Angebote zu machen und die Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten zu stärken.“ Beier sieht die Personalressource als Herausforderung an. „Wo soll für 1.000 Kioske das Fachpersonal herkommen, ohne dass man sich nicht wechselseitig kannibalisiert?“, fragte der Bundesvorsitzende. Ressourcenschonung müsse am Anfang der Überlegungen stehen.
GKV als Payer, aber nicht als Player
Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V., fragte sich in seinem Schlusswort, warum die gesetzliche Krankenversicherung eigentlich auch hier wieder nur die Rolle des Payers und nicht des Players zugedacht werde. Dabei wären gerade die Krankenkassen schon an so vielen Beratungsangeboten beteiligt und verfügten auch über eine breite Datenbasis, die für die Gesundheitsversorgung ihrer Versicherten genutzt werden könnte. „Wir möchten mit unseren Daten zugunsten einer besseren Versorgung arbeiten, aber wir dürfen nicht“, kritisierte Hohnl.