Der Aufbau der Telematikinfrastruktur soll 2018 abgeschlossen werden. Doch selbst danach bleibt die Nutzung der digitalen Möglichkeiten für den Gesundheitsmarkt erschwert. Die Deutsche Apotheker- und Ärztebank geht der Frage nach, wie die Weiterentwicklung von einer künftigen Bundesregierung gestaltet werden kann und wo großer Handlungsbedarf besteht.
Bis Ende 2018 soll die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (Gematik) die digitale Fahrbahn für den Gesundheitsmarkt fertigstellen: Die Telematikinfrastruktur ist die Plattform, die Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken und Krankenhäusern den sichereren Anschluss ermöglicht. Über sie sollen die Umsetzungen des 2016 in Kraft getretenen E-Health-Gesetzes und weitere digitale Gesundheitsanwendungen laufen. Die Apobank-Abteilungsdirektorin im Bereich Gesundheitsmarkt Jessica Hanneken beurteilt das Erreichte positiv: „Damit ist eine erste wichtige Voraussetzung für den medizinischen und wirtschaftlichen Erfolg fach- beziehungsweise sektorübergreifender Versorgungsmodelle geschaffen“.
Fahrt aufnehmen wird im ersten Schritt die elektronische Gesundheitskarte (eGK). Diese macht zunächst den digitalen Abgleich der Versichertenstammdaten mit den Krankenkassen für die angeschlossenen Einrichtungen möglich. Soweit die Patienten zustimmen, können weitere Anwendungen wie Notfalldaten, Medikationspläne oder Arztbriefe als Bestandteile der eigenen elektronischen Patientenakte gespeichert werden. Zudem haben sie Anspruch darauf, eigene Daten wie beispielsweise Blutzuckermessungen in einem Patientenfach abzulegen, das sie auch außerhalb der Arztpraxis eigenständig einsehen können. Die Apobank stellt hier einen wichtigen Problempunkt heraus: Die Frage nach der Datenhoheit sei gegenwärtig noch nicht abschließend geklärt.
Weitere Schritte stehen an
„Vor dem Hintergrund der Möglichkeiten, die die Digitalisierung dem Gesundheitsmarkt bietet, wird mit der Telematikinfrastruktur nur ein erstes Teilstück fertiggestellt“, so Hanneken. Gleichwohl ist der weitere Ausbau seitens des Gesetzgebers vorgesehen.
Eine wichtige Grundlage hierfür ist die sogenannte Interoperabilität, also die Vernetzungsfähigkeit der Informations- und Kommunikationstechnologien. Derzeit sind rund 200 verschiedene IT-Systeme im Gesundheitswesen im Einsatz. Das Interoperabilitätsverzeichnis „Vesta“ der Gematik soll Transparenz über die verwendeten Schnittstellen schaffen und dazu beitragen, bei künftigen Entwicklungen Insellösungen zu vermeiden.
Die Leistungserbringer im Gesundheitswesen können bereits mittels ihres elektronischen Heilberufsausweises beispielsweise Arztbriefe oder Abrechnungen mit der Krankenkasse „qualifiziert signieren“. Hierüber wird auch der Zugriff auf Informationen auf der eGK erfolgen. Folgen sollen Anwendungen, die eine sichere Kommunikation zwischen den Leistungserbringern (KOM-LE) über die Sektoren hinweg fördern. Hierzu zählen beispielsweise Befunde oder Dokumentation in der elektronischen Fallakte (EFA), der elektronische Medikationsplan (eMP) und Daten zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS).
Lockerung des Fernbehandlungsverbotes
Von den skizzierten Anwendungen, die mit der Telematikinfrastruktur möglich werden, wird das Gesundheitswesen profitieren. „Wenn wir wollen, dass digitale Möglichkeiten die medizinische Versorgung stärker unterstützen, müssen wir über ihren Einsatzrahmen breit und offen diskutieren“, so Hanneken. Einen Beitrag hierzu lieferte jüngst der Deutsche Ärztetag, der sich mit der Frage nach Lockerung des Fernbehandlungsverbotes beschäftigt hat. Insbesondere für Regionen, in denen wenig Haus- oder Fachärzte zu finden sind, könnte es sinnvoll sein, wenn Patienten ihre Daten zum Arzt schicken und per Videosprechstunde kommunizieren – selbst, wenn der Arzt sie zuvor noch nicht gesehen hat. Hanneken: „Auch wenn die ausschließliche Fernbehandlung projektbezogen bereits möglich ist: Eine bundesweite einheitliche neue Regelung ist derzeit noch nicht gegeben“.
Strategische Grundlage für die Weiterentwicklung
Im Vergleich mit anderen Ländern liegt Deutschland auch nach Fertigstellung der Telematikinfrastruktur beim Thema Digitalisierung des Gesundheitswesens derzeit auf den hinteren Rängen. Lediglich der Aufbau der Telematikinfrastruktur und die Vorgaben zur Interoperabilität sind gesetzlich geregelt. „Ein echter ordnungspolitischer Rahmen zur Digitalisierung des Gesundheitswesens fehlt“, so Hanneken. „Solange Ziele, Chancen und aktuelle Hindernisse nicht abgewogen sind, werden sowohl den Sektoren als auch den Akteuren Grenzen gesetzt, die die Nutzung der digitalen Möglichkeiten erschweren.“
Zwar können Patienten künftig individuelle Gesundheitsdaten in ihrem Patientenfach aufnehmen. Eine systematische, algorithmische Verwendung selbst erhobener Daten aus Gesundheitsapps und damit die Nutzung des „Big Data Datenschatzes“ ist in Deutschland so noch nicht möglich. „Wenn wir wollen, dass das Thema Big Data und Digital-Health-Anwendungen mehr Nutzung erfährt, dann müssen wir eine übergeordnete Entscheidung hinsichtlich der Datenhoheit treffen. Wobei die Ausgestaltung, also wer letztlich die Daten verwaltet, hiervon unbenommen ist“, unterstreicht Hanneken. In Estland beispielsweise liegt die Datenhoheit beim Patienten. Dieser entscheidet, ob Ärzte darauf zugreifen dürfen. Die Daten liegen auf einer zentralen Plattform und der Patient selbst hat jederzeit Transparenz über die Verwendungen.
Für die Weiterentwicklung der Digitalisierung stehen im Wesentlichen zwei Ansätze im Raum:
– Auf der einen Seite eine Novelle des E-Health-Gesetzes: Diese würde punktuell digitale Anwendungen regeln. Ein definierter Handlungsrahmen, in dem sich Leistungserbringer, die Kostenträgerschaft und die Gesundheitswirtschaft zukunftsorientiert bewegen können, wäre damit nicht gegeben.
– Nicht zuletzt deshalb besteht auf der anderen Seite die Forderung nach einer Digital-Health-Strategie für Deutschland, wie sie in anderen europäischen Ländern bereits existiert.
Hierzu gilt es, seitens der Politik wesentliche Parameter für ein digitales Gesundheitswesen festzuschreiben. Hanneken: „Ziel einer übergreifenden Digital-Health-Strategie sollte es sein, für digitale Lösungen transparente und klare Leitplanken festzulegen und so allen Playern eine gemeinsame Richtung aufzeigen.“
Klare Digital-Health-Strategie gefordert
Die derzeitigen Entwicklungen des digitalen Gesundheitswesens konzentrieren sich auf die Ausgestaltung einzelner Lösungen. Ein übergeordnetes Konzept würde hingegen stärker die digitale Vernetzung fördern und einzelne Lösungen unter sich subsummieren. Auch die Geschwindigkeit, mit der digitale Entwicklungen derzeit entstehen, aber nicht auf den Markt kommen können, spricht für eine klare Digital-Health-Strategie. Auf diese Weise könnten auch Start-Ups eine Anerkennung als Bestandteil der Zukunft des deutschen Gesundheitswesens finden – sofern sie den strategisch definierten Marktmechanismen, wie beispielsweise Unterscheidungen zwischen Lifestyle und medizinischen Apps, entsprechen.
„Gleichzeitig darf der Begriff Strategie nicht falsch verstanden werden“, betont Hanneken. Künftige Genehmigungsverfahren für einzelnen Lösungen und Anwendungen würden nicht entfallen, jedoch wären die Eckpfeiler klar, die festlegen, wie Innovationen ihren Weg – auch in den ersten Gesundheitsmarkt nehmen könnten.
Eine Digital-Health-Strategie könnte sich zudem stärker an der Gesundheit als an der Krankheit ausrichten und gezielt die Gesundheitskompetenz der Bürger fördern. „Diesen Gedanken festzuschreiben, würde zur Förderung der Prävention beitragen, die letztlich auch mit Blick auf den demografischen Wandel von hoher Relevanz ist“, so Hanneken.
Bankhaus unterstützt Digital Health
Die ApoBank baut derzeit für digitale Anwendungen im Gesundheitswesen ein Kompetenzzentrum mit dem Namen „apoHe@lth“ auf. Es soll zur besseren Orientierung beitragen und Mehrwerte für die Bankkunden bieten. Das Düsseldorfer Bankhaus will sich damit auch als strategischer Partner im Bereich Digital Health positionieren.