Flächendeckende Vernetzung nicht zerreden

Vorstandsvorsitzender des IKK e.V. Hans-Jürgen Müller
Der Vorstandsvorsitzende des IKK e.V. Hans-Jürgen Müller warnte auf der 22. Plattform Gesundheit vor einer Kommerzialisierung von Gesundheitsdaten (Foto: IKK)

Auf der 22. Plattform Gesundheit des IKK e.V. diskutierten Politiker, Wissenschaftler und Vertreter der Gesundheitswirtschaft über die elektronische Patientenakte (ePA) und die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Auswirkungen der Corona-Pandemie wurden ebenfalls aufgegriffen.

Die elektronische Patientenakte (ePA) und eine verstärkte Digitalisierung werden zu einem Paradigmenwechsel in Richtung einer transparenteren, schnelleren und medizinisch umfassenderen Gesundheitsversorgung in Deutschland führen. Dies ist das Resümee der Diskussionsteilnehmer der 22. Plattform Gesundheit des IKK e.V. Die Diskussionsrunde zeigte aber auch: Auf allen Seiten sind noch viele Fragen offen und Informationsbedürfnisse ungeklärt.

„Die ePA wird einen großen Beitrag zum Patientenwohl leisten“, stellte Tino Sorge, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und Berichterstatter für Digitalisierung und Gesundheitswirtschaft der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gleich zu Beginn fest. Auch wenn es den Anschein habe, dass sich mit Start der ePA am 1. Januar 2021 für die Versicherten noch nicht sehr viel ändere: „Wir haben die Rahmenbedingungen geschaffen, dass Ärzte die ePA befüllen und Kassen Mehrwertangebote kreieren können.“ Eine flächendeckende Vernetzung der Ärzte mit allen Leistungserbringern werde sukzessive folgen. „Man darf aber nicht immer alles zerreden, sondern sollte die Chancen sehen“, unterstrich Sorge. 

Dieser Forderung schloss sich auch Christian Klose an, Unterabteilungsleiter der Bereiche Telematik, Gematik und E-Health im Bundesgesundheitsministerium: „Der ‚softe‘ Rollout Anfang Januar 2021 ist ein erster, aber sehr wichtiger Schritt.“ Die digitale Transformation sei mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile, fasste Klose zusammen.

Auch seitens der Ärzteschaft ist der Bedarf an einer ePA in der Praxis hoch. Hausärztin Dr. med. Irmgard Landgraf, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin, Vorstandsmitglied des Hausärzteverbandes Berlin und Brandenburg sowie im Aktionsbündnis Patientensicherheit, erklärt: „Langfristig wird es ohne ein Tool wie die ePA gar nicht mehr gehen. Damit werden Doppeluntersuchungen vermieden, Informationen ausgetauscht, Befunde vergleichbar gemacht. Wir warten händeringend darauf!“

ePA-Erfolg in den Niederlanden

Vertrauen sei der Faktor, den die ePA etwa in den Niederlanden so erfolgreich gemacht habe, berichtet Drs. Joris Smits, Director Chain Management, von der Vereinigung von Gesundheitsdienstleistern und Patienten für die Kommunikation im Gesundheitswesen (VZVZ). Für die Nutzer sei das Element der freiwilligen Teilnahme grundlegend für den Erfolg des niederländischen Netzes gewesen. Die Ärzteschaft sei zu Beginn zwar noch skeptisch gewesen, aber immerhin nähmen inzwischen 91 Prozent der Praxen teil, so Smits.

Bedenken von der KBV

Bedenken äußerte Dr. Thomas Kriedel, Mitglied des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Er habe den Eindruck, dass die Praxen die Versuchslabore für die Digitalisierung seien: Viele Praxen fühlten sich durch unklare Vorgaben und unausgereifte Technik überlastet. „Es wäre schön, wenn die digitalen Anwendungen schon erprobt wären, wenn der Rollout erfolgt.“ Zudem habe die Corona-Pandemie die Digitalisierung deutlich dynamisiert, was sich nun aber als doppelte Herausforderung für die Ärzte darstelle: Die Bewältigung der Corona-Pandemie und die Umsetzung der Digitalisierung – beides zur gleichen Zeit, sei kaum zu stemmen.

Warnung vor Kommerzialisierung von Gesundheitsdaten

Viele offene Fragen gibt es beim Datenschutz. Gleich zu Beginn der Diskussion verwies Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., darauf, dass Digitalisierung im Gesundheitswesen die Akteure direkt in ein Spannungsfeld zwischen der informationellen Selbstbestimmung auf der einen Seite und dem Gemeinwohl auf der anderen Seite führen würde: „Daten können Leben retten, wenn sie die Forschung voranbringen. Daten können aber auch schaden, wenn sie in falsche Hände geraten“, erklärt Müller und warnt vor einer Kommerzialisierung von Gesundheitsdaten. 

Aus Sicht der Kassen ist man für den Start der ePA gut vorbereitet. Robert Leitl, der Vorsitzende des Verwaltungsrates der Kasse BIG direkt gesund, erklärte: „Nicht nur die BIG direkt gesund, die seit ihrer Gründung digitalaffin ist, sondern alle Innungskrankenkassen unterstützen die Einführung der elektronischen Patientenakte und die Digitalisierung im Gesundheitswesen“. Die Innungskrankenkassen wollen mit dem Start der ePA Anfang Januar 2021 ihre Versicherten umfassend zum Thema Datenschutz informieren und in der Übergangsfrist begleiten. „Keiner wird durchs digitale Raster fallen“, verspricht Leitl. Mehrere Teilnehmer bekräftigten, dass die ePA datenschutztechnisch unbedenklich sei. Nur der Versicherte entscheide, was eingestellt werde und wer Zugriff auf die Daten habe. Auch die Kasse habe keinen Zugriff.

Alle Beteiligten mitnehmen

Zu einer gesunden Portion Realismus rief auch der IKK e.V.-Geschäftsführer Jürgen Hohnl in seinem Schlusswort auf. Wenn man über die Risiken der Digitalisierung im Gesundheitswesen diskutiere, dürfe man die Vorteile und Chancen nicht aus dem Blick verlieren. Er erinnerte daran, dass auch eine Unterlassung negative Konsequenzen habe und ein Risiko darstellen würde. Letztlich hänge der Erfolg davon ab, dass alle Beteiligten mitgenommen werden und Vertrauen geschaffen würde. In Richtung der Skeptiker gegen eine zunehmende Digitalisierung richtet der Geschäftsführer die Hoffnung: „Wenn die ePA den Ärzten die Arbeit erleichtert und die Digitalisierung den Kassen im Tagesgeschäft hilft, könnte die eingesparte Zeit auch perspektivisch dazu genutzt werden, der persönlichen Patientenkommunikation wieder mehr Kapazität einzuräumen!“

Der IKK e.V. ist die Interessenvertretung von Innungskrankenkassen auf Bundesebene. Der Verein wurde 2008 mit dem Ziel gegründet, die Interessen seiner Mitglieder und deren 5,1 Millionen Versicherter gegenüber allen Beteiligten des Gesundheitswesens zu vertreten.