E-Health: Offener Dialog statt Stigmatisierung

Verwendung einer Gesundheits-App
Verwendung einer Gesundheits-App: „Gesundheits-Apps sind nicht Bestandteil einer leitliniengerechten, qualitätsgesicherten und evidenzbasierten medizinischen Versorgung der Patienten“ (Foto: © prykhodov/123rf.com)

Nachdem die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns kürzlich zur „Vorsicht bei der Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen“ warnte, fordern vier Verbände aus dem E-Health- und Pharma-Bereich jetzt einen offenen Dialog.

Die Kassenärztliche Vereinigung in Bayern warnte kürzlich mit drastischer Wortwahl in einer Pressemitteilung vor der Nutzung oder Verschreibung von E-Health-Produkten. Schon die Überschrift hatte es in sich: „Patienten nicht zu Versuchskaninchen machen!“ 

Weiter mahnte die bayrische KV eindringlich zur Vorsicht bei Apps auf Rezept: „Gesundheits-Apps sind nicht Bestandteil einer leitliniengerechten, qualitätsgesicherten und evidenzbasierten medizinischen Versorgung der Patienten. Es besteht auch keine Pflicht für die Praxen, solche Apps zu verordnen. Die Patienten sollten bei der Nutzung der Apps dringend darauf achten, dass sie nicht leichtfertig hochsensible Gesundheitsdaten preisgeben, die von den Anbietern der Apps eventuell für kommerzielle Zwecke verwendet werden könnten.“ Man sehe das große Problem der Intransparenz in Bezug auf Qualität und Datenschutz. Hier müsse deshalb eindeutig eine sorgfältige Prüfung des wirklichen Nutzens erfolgen, bevor solche Apps in der medizinischen Versorgung zum Einsatz kommen.

Noch weitgehend ungeklärt sei außerdem aus Sicht des Vorstands der KVB, wer das Haftungsrisiko trage, falls die eingesetzte App beispielsweise nicht die korrekten oder auch widersprüchliche Daten liefere. Abschließend forderte die KVB, dass das für Gesundheits-Apps zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nur Gesundheits-Apps zulassen dürfe, deren Sicherheit und bedenkenlose Anwendung garantiert werden können.

Verständnis und Aufforderung zum Dialog

Zu dieser eindringlichen, per Pressemitteilung breit gestreuten Warnung nahmen jetzt der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e.V. (SVDGV), der Bundesverband der Arzneimittelhersteller e.V. (BAH) und der Bundesverband Internetmedizin (BiM) Stellung. Die Industrie- und Branchenverbände äußern dabei Verständnis, fordern allerdings auch zu einem offenen Dialog auf.

„Apps auf Rezept sollten keine Ausnahme sein, sondern zur Regel werden. Das ist auch gesetzlich so beabsichtigt. Wir verstehen die Bedenken der KVen als Signal für mehr Dialog und als Ansporn, für mehr Aufklärung zu sorgen. Digitale Gesundheitsanwendungen müssen zurecht die höchsten Anforderungen auch an Datenschutz, Datensicherheit und Qualitätssicherung erfüllen. Dazu gehört unter anderem der Nachweis positiver Versorgungseffekte durch evidenzbasierte und vom BfArM geprüfte vergleichende Studien.“

Die Mitgliedsunternehmen der Verbände würden sich täglich dafür einsetzen, dass die bestehenden Bestimmungen erfüllt werden, um Lösungen am Innovationsstandort Deutschland zu entwickeln. „Uns ist bewusst, dass dieses neue Prüfverfahren noch nicht flächendeckend und im Detail bekannt ist. Deshalb laden wir die Vorstände aller KVen, die Vertreter der Kammern und der Fachgesellschaften ein, über die Anforderungen an Datenschutz und Evidenz in gemeinsamen Treffen zu sprechen, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln.“

Kommentar: Besonnene Reaktion annehmen!

Aus Sicht von mednic.de ist die öffentliche und eindringliche Warnung der KV Bayern deplatziert. Mit der Pressemitteilung wird die Öffentlichkeit und die Ärzteschaft vor der Nutzung von Gesundheits-Apps gewarnt, als handele es sich dabei um ein verdorbenes Lebensmittel, das versehentlich in den Handel gekommen sei. Damit wird eine ganze Branche stigmatisiert.

Trotz einer hohen Anzahl seriöser Angebote und bestehender, strenger Auflagen durch Bundesbehörden wird hier – ob beabsichtigt oder nur plump formuliert –  eine junge, aufstrebende Branche so dargestellt, als sei sie mehrheitlich unseriös oder als stünde sie gar am Rande der Kriminalität.

Das ist Wasser auf die Mühlen für erzkonservative Medizinervertreter, die sämtliche Digitalisierungsmaßnahmen im Gesundheitsbereich als Teufelswerk ablehnen. Die KV Bayern sollte dringend darüber beratschlagen, ob sie sich hier tatsächlich so bereitwillig vor den Karren dieser Digitalisierungsgegner spannen lassen will. Sie ginge damit in eine klare Gegenposition zu den Bestrebungen im Bundesgesundheitsministerium, aber etwa auch zu fortschrittlichen Politikern innerhalb der CSU in Bayern. 

Fraglos ist es eine Aufgabe der KV‘en, die Ärzteschaft vor einem „unkalkulierbaren Haftungsrisiko“ zu warnen. Aber diese Bedenken hätte man auch angemessener als im Rahmen einer an die Presse verbreiteten Warnmeldung äußern können. Die Einladung zum Dialog ist eine mehr als besonnene Reaktion der Verbände BPI, SVDGV, BAH und BiM. Diese Aufforderung zu offenen, informativen Gesprächen sollte die KV Bayern bereitwillig annehmen, wenn sie sich nicht als harter Digitalisierungsgegner outen will.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) vertritt rund 270 Unternehmen. Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e.V. (SVDGV) wurde im Dezember 2019 gegründet und vereint mehr als 70 E-Health-Unternehmen. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) vertritt die Interessen von rund 400 Mitgliedsunternehmen. Der Bundesverband Internetmedizin (BiM) betrachtet sich als Plattform für Start-Ups, Leistungserbringer, Kostenträger und Anbieter von digitalen, medizinischen Leistungen.