Ärzte sehen staatlich verordnete Digitalisierung kritisch

Symbolfoto: Ärzte und Digitalisierung
Jameda-Befragung: „Digitalisierung gelingt nur, wenn sie sich an den Alltagssorgen von Ärzten orientiert. Störanfällige Technik und enge Fristen helfen da nicht weiter.“ (Foto: ilixe48/123rf.com)

Der Anbieter von Online-Terminvereinbarungen und Video-Sprechstunden Jameda hat 150 Ärzte zur Digitalisierung befragt. Während viele Mediziner digitale Anwendungen für die Praxisorganisation positiv bewerten, sieht eine Mehrheit E-Rezept und ePA höchst kritisch.

Mit dem neuen Digital-Gesetz will die Bundesregierung endlich schaffen, was trotz diverser Gesetzesänderungen bisher nicht gelungen ist: die elektronische Patientenakte (ePA) und das E-Rezept in die breite Nutzung bringen. Beide Anwendungen gelten als Schlüssel zur digitalen Gesundheit, kommen bislang aber kaum zum Einsatz: weniger als ein Prozent der gesetzlich Versicherten speichern Gesundheitsdaten in der ePA, während aktuell nur fünf Prozent der Ärzte aktiv E-Rezepte ausstellen.

Politische Beschlüsse, die Sanktionen gegen widerspenstige Ärzte einschließen, sind das Eine. Doch die Politik übersieht dabei, dass neben der Patientenaufklärung die Überzeugung der (niedergelassenen) Ärzte ein wichtiger Hebel ist, der letztlich für den Erfolg der staatlich verordneten Digitalisierung im Gesundheitswesen ein entscheidender Faktor ist. Die Umfrage von Jameda.de macht deutlich, dass sich nahezu die Hälfte der Ärzte mit digitalen Praxis-Tools überfordert oder allein gelassen fühlt. Ausfälle und technische Störungen dürften den Verdruss in vielen Arztpraxen weiter gesteigert haben.

Ärzteschaft in der Nutzenfrage gespalten

Die Digitalisierung ist in vielen Arztpraxen dennoch angekommen. Schon heute greifen Ärzte auf digitale Anwendungen in der Patientenversorgung und Praxisorganisation zurück. 51,4 Prozent der Befragten antworten auf die Frage, ob Digitalisierung ihre tägliche Arbeit erleichtert, mit einem „Ja“. Besonders positiv bewerten sie dabei Lösungen zur Bürokratie-Bewältigung (26,1 %), Terminorganisation (18,6 %) und Personal-Entlastung (6,3 %).

Belastung durch analoge und digitale Arbeitsabläufe

Skeptisch zeigen sich hingegen 48,6 Prozent der Befragten, die der Digitalisierung im Alltag bisher wenig Nutzen zusprechen und sich mehr Unterstützung zu deren Umsetzung wünschen. Als Grund nennen 29,4 Prozent technische Störungen und eine doppelte Belastung durch analoge und digitale Arbeitsabläufe. 5,8 Prozent der Befragten haben Zweifel an der Sicherheit sensibler Gesundheitsdaten und 4,2 Prozent fürchten um ihre persönliche Beziehung zu den Patienten.

„Enormes Patientenaufkommen, anhaltender Fachkräftemangel und enge Budgetgrenzen: wer mit diesen Herausforderungen kämpft, hat zur Nutzung digitaler Technik häufig wenig Zeit und noch weniger Nerven“, meint der Münchener Gastroenterologe Dr. Berndt Birkner. „Nicht selten verstellen Alltagssorgen aber den Blick auf die Chancen einer digitalen Praxis, Fehlbelastungen durch hohes Anrufaufkommen oder mangelnde Patientenselektion zu verringern.“  

ePA- und E-Rezept: Skepsis überwiegt

Seit Ulla Schmidts Ankündigung der elektronischen Patientenakte im Jahr 2003 wurde kaum ein Gesundheitsminister müde, ihre Wichtigkeit als Datenbasis für ein modernes Gesundheitswesen zu betonen. Umso mehr ernüchtert der Blick auf aktuelle Zahlen: Nur 35 Prozent der befragten Ärzte erwarten von der elektronischen Patientenakte Effizienzgewinne im Alltag, wobei sie das höchste Potenzial in zeitsparenden Entscheidungen (14,5 %), weniger Doppelmedikationen (10,9 %) und der Möglichkeit zur Fernbehandlung (9,1 %) sehen. 

65 Prozent der Befragten sind hingegen skeptisch. Sie halten die ePA für zu störanfällig (25,2 %), geben an, dass sie keine digitale Patientenakte brauchen (14,3 %), oder sehen Datenschutzrisiken durch den Zugriff von Krankenkassen (9,2 %). So klaffen auch 20 Jahre nach der ersten Ankündigung Anspruch und Realität bezüglich ePA auseinander, was auch für das E-Rezept gilt: nur 32 Prozent der Befragten glauben, dass die Anwendung ihre Patientenversorgung effizienter macht, bei 68 Prozent überwiegt die Skepsis. Für die politische Umsetzung beider Anwendungen vergeben die Befragten durchschnittlich nur 1,4 von zehn Punkten.

Finanzielle Unterstützung gefordert

Die aktuelle Jameda-Untersuchung zeigt, dass Ärzte in der Frage nach Akzeptanz und Nutzen digitaler Lösungen gespalten sind. Lediglich 51,4 Prozent der Befragten sind von ihrem Mehrwert überzeugt. „Um die andere Hälfte der Ärzte mit ins Boot zu holen, gilt die Devise: zuhören, erklären und finanziell unterstützen,“ folgert Dr. Birkner. „Dabei gilt Qualität vor Schnelligkeit: Digitalisierung gelingt nur, wenn sie sich an den Alltagssorgen von Ärzten orientiert. Störanfällige Technik und enge Fristen helfen da nicht weiter. Umgekehrt sind aber auch Ärzte gefordert, ihre Praxis aktiv auf digitale Prozesse umzustellen und mehr Beratung in Anspruch zu nehmen.“