„Ärzte müssen up to date bleiben“

E-Akte, Digital-Healthcare-Lösungen, Social Media und neue Webangebote verändern das Gesundheitswesen und damit auch den Arztberuf. Im zweiten Teil des Mednic-Interviews mit dem Hamburger Personalberater Fritz Grupe von InterSearch Executive Consultants geht es darum, welche Neuerungen hier keineswegs nur auf junge Ärzte zukommen.

Fritz Grupe ist Partner im Bereich Healthcare bei der Hamburger Personalberatung InterSearch Executive Consultants. Im ersten Teil des Interviews sprachen wir mit ihm über die Vorstellungen der „Generation Y“, massiven Personalmangel in deutschen Kliniken und über Veränderungen, die aus dem enorm gewachsenen Frauenanteil unter Medizinern in Deutschland resultieren.

Mednic.de: Wie wichtig ist es aus ihrer Sicht, dass Ärzte – gleich welchen Alters – neben ihrem medizinischen Fachwissen heute auch über Digital-Healthcare oder im weitesten Sinne digitale Technologien informiert sind?

Grupe: Damit der Patient künftig das, was medizinisch nach neuesten Erkenntnissen machbar sein wird, auch erfährt, bedarf es in den kommenden Jahren einer Neuausrichtung des Krankenhauses auch im Bereich der digitalen Technologien. Hierbei wird uns auch das Internet helfen können, die neuesten medizinischen Erkenntnisse und Angebote aufzubereiten, aber auch in den Social Networks, Blogs und über Twitter zu platzieren. Mittlerweile nutzen auch immer mehr ältere Menschen das Internet, um die besten Gesundheitsleistungen für sich entdecken zu können.

»Fachärztliches Wissen wird zukünftig auch eine Frage der Rechenkapazität und der digitalen Vernetzung im Krankenhaus sein«.

Das Krankenhaus der Zukunft wird daher auch eine Art Medienplattform sein, auf der sich Patienten informieren und mit Ärzten und Experten austauschen können. Auch die Patientenakte wird zukünftig eine sehr hohe Bedeutung erlangen. Wir können davon ausgehen, dass bereits heute 70 Prozent einer korrekten Diagnose davon abhängig ist, was der Arzt von seinem Patienten erfährt, bevor das erste Röntgenbild gemacht wurde bzw. die erste Blutuntersuchung stattgefunden hat. Allein diese Erkenntnis sollte dringend dazu führen, die Krankenkassenkarte endlich mit allen erforderlichen Informationen zu bestücken und den Menschen die Angst vor einer Verletzung des persönlichen Datenschutzes zu nehmen, zumal hier diverse Sicherheitsmaßnahmen integriert werden können.

Fachärztliches Wissen wird zukünftig auch eine Frage der Rechenkapazität und der digitalen Vernetzung im Krankenhaus sein. Hochkarätiges medizinisches Wissen wird nicht mehr an bestimmte Fachärzte gebunden sein. Wir werden zukünftig von kumulativen Facharztjahren sprechen, die eine Abteilung oder ein Krankenhaus vorzuweisen hat. In den Internetauftritten werden sich die Krankenhäuser mit der Leistung ihrer Expertensysteme überbieten und leicht auf ein gesammeltes Krankenhauswissen von vielen Tausend Facharztjahren kommen. In diesem Sinne sind alle Ärzte – gleich welchen Alters – gefragt, sich in der digitalen Entwicklung und deren täglichen praktischen Anwendung up to date zu halten.

Mednic.de: Welche Rolle werden digitale Technologien in den kommenden Jahren im deutschen Gesundheitswesen spielen?

Grupe: Stellen wir uns doch einmal vor, dass die medizinische Versorgung nicht mehr getrennt in einzelnen Sektoren stattfindet, sondern in virtuellen Clouds. Patienten navigieren durch ein digitales Netz von Dienstleistungen. Sie erstellen Eigendiagnosen mithilfe von intelligenten Computern, und sie handeln Preise mit Ärzten aus. Angebot und Nachfrage werden ähnlich wie bei Flugbuchungen den Preis für die Behandlung bestimmen. Eine Hüft-OP könnte dementsprechend in den Sommermonaten bei geringerer Nachfrage vor Ort ja günstiger sein, als im Winter. Muss ein Versicherter ins Krankenhaus, wählt er eines, das von der Online-Community die besten Noten erhält. Therapien, die nicht zum gewünschten Ergebnis führen, werden nicht mehr bezahlt.

Unser Gesundheitssystem würde funktionieren wie ein iPhone mit seinen Apps, das heißt wir navigieren uns durch ein perfekt vernetztes System von medizinischen Dienstleistungen. Jeder, der eine gute Idee und ein passenden Service via Apple anbieten will, kann dies tun. So wie allen Akteuren des globalen Marktes die Möglichkeit offen steht, ihre Dienste im Netz zu offerieren, so kann in einem I-health-System jeder der bekannten Akteure – von der Einzelpraxis bis zum Krankenhaus, von der Apotheke bis zum Pharmakonzern und vom Grund- und Regelversorgunger bis zu Universitätsklinik – dem Patienten seine Leistung im Netz der Gesundheit anbieten, und das alles perfekt vernetzt, in jeder Sekunde des Tages nutzbar, orientiert am maximalen Patientennutzen.

»Kein Patient betritt mehr ein Krankenhaus, ohne vorher online Informationen abgeglichen zu haben.«

Aber reicht das bereits aus, um auf dem Weg vom guten alten Gesundheitswesen hin zu einem Gesundheitssystem zu kommen, dass tatsächlich seinen Namen verdient? In den vergangenen Jahren hat es einige wichtige Entwicklungen in der Welt der Informationstechnologie und Internetkommunikation gegeben. Da sind zum einen die sozialen Netzwerke. Die Menschen in Netzwerken sind nicht nur online, sondern on health. Sie sind also mit ihren gesammelten Gesundheitsinformationen im Netz vertreten. Hinzu kommt, dass praktisch kein Patient mehr ein Krankenhaus betritt, ohne vorher seine Beschwerden, einen möglichen Behandlungsbedarf und den Informationen aus der Lebens-Gesundheitsakte online mit dem führenden Krankenhaus-Qualitätsportal abgeglichen zu haben.

Grupe beziffert die Zahl der unbesetzten Medizinerstellen in Deutschland auf rund 12.000 (Foto: InterSearch Executive Consultants)

Der zukünftige Patient ist sich seiner Gesundheit bewusst und nicht minder auch seiner Marktmacht. Er kann sogar seinen geplanten Aufenthalt im Krankenhaus simulieren, um zu erfahren, wie hoch das individuelle Risiko von Komplikationen oder der Grad der Einschränkung und die Stärke der Schmerzen sein wird. Bereits heute besteht die Möglichkeit, im sozialen Netzwerk nachzufragen, ob jemand mit dem Krankenhaus, dem medizinischen Fachbereich bzw. dem behandelnden Arzt schon Erfahrungen gemacht hat. Und wenn die persönliche Bewertung durch einen mehr oder wenig bekannten Onhealth-Freund nicht wirklich gut ausfällt, dann sucht man sich eben ein anderes Krankenhaus oder einen anderen Arzt aus. Manche Patienten posten bereits heute über Twitter direkt aus dem Krankenhaus, welche Erfahrungen sie gerade machen. Eine Transparenz, die nicht ohne Folgen für die Krankenhäuser und deren Personal sein wird, von den Pflegekräften bis zum Chefarzt.

»Der zukünftige Patient ist sich seiner Gesundheit bewusst und nicht minder auch seiner Marktmacht«

Mednic.de: Entstehen durch Digitalhealth neue Berufsbilder im medizinischen Umfeld, die es so vor ein paar Jahren noch nicht gegeben hat?

Grupe: In den Krankenhäusern beginnt bereits die Suche nach qualifizierten Ärzten, die eine Zusatzqualifikation im Bereich der digitalen Kommunikation mitbringen. Ziel dieser Krankenhäuser ist die digitale Marktführerschaft in der jeweiligen Region, was einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bedeuten wird. Aber auch Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen anbieten, die im Alltag auf die Gesundheit Einfluss haben, also Apotheken, Supermärkte, Restaurants, Reiseveranstalter, Hotels und Lifestyle Einrichtungen, werden versuchen, sich in einer zukünftigen Health-Cloud mit potentiellen Patienten und klinischen/ärztlichen Einrichtungen zu vernetzen. Voraussetzung für die Aufnahme in der Health-Cloud wird eine Akkreditierung als gesundheitsrelevantes Unternehmen sein. Um dies zu erreichen, werden die Unternehmen einen speziellen Akkreditierungsprozess durchlaufen und nachweisen, dass ihre Produkte und Dienstleistungen tatsächlich gesundheitsfördernd sind. Die potentiellen Patienten profitieren gleich doppelt, wenn sie von diesen Unternehmen Produkte oder Dienstleistungen kaufen, denn sie sind qualitätsgesichert und im Idealfall auch gesundheitsfördernd.

Mednic.de: Herr Grupe, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!