Wie der Gesundheitssektor schneller werden könnte

Der gesamte Gesundheitssektor steht heute unter hohem Innovationsdruck. Dem könnten Einrichtungen und Unternehmen mit agilen Methoden in Forschung und Entwicklung begegnen. Die Unternehmensberatung Bain & Company befragte hierzu rund 300 Führungskräfte. Dabei wurde deutlich, welche Faktoren häufig bremsen.

Pharmahersteller, Medtech-Unternehmen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen eint derzeit ein Thema: der enorme Innovationsdruck, der aus gestiegenen Qualitätsansprüchen, knappen Budgets, verändertem Patientenverhalten und begrenzten Patentlaufzeiten resultiert.

Ein gutes „Gegenmittel“ könnten agile Entwicklungsmethoden wie Scrum sein. Dies zeigt die Studie „How Agile is Powering Healthcare Innovation“ der Unternehmensberatung Bain & Company, für die rund 300 Führungskräfte im Gesundheitssektor befragt wurden. Fast 80 Prozent der Topmanager erklärten, ihr Unternehmen müsse agiler werden. Zugleich geben 70 Prozent an, sie seien noch nicht mit agilen Methoden und Werkzeugen vertraut.

Verkrustete Strukturen bremsen

„Das größte Hindernis für den Erfolg agiler Methoden in Forschung und Entwicklung ist die fehlende Bereitschaft, die grundlegenden Prinzipien anzuwenden“, betont Dr. Franz-Robert Klingan, Partner in der Praxisgruppe Gesundheitswesen bei Bain & Company. „Solange Unternehmen nur über Agilität reden und an ihren bestehenden Prozessen festhalten, verändert sich nichts.“ Die befragten Führungskräfte begründen das Scheitern von Innovationsprojekten in jüngster Zeit vor allem mit fehlender abteilungsübergreifender Zusammenarbeit, mangelnder Einbindung von Patienten, Krankenkassen und Regulierungsbehörden sowie unzureichenden Ressourcen für die Skalierung von Projekten.

Zeitenwende im Gesundheitsmarkt

Nach der Einschätzung von 60 Prozent der befragten Topmanager wird es dabei immer wichtiger, Innovationen so schnell wie möglich auf den Markt zu bringen. Entsprechend müsse sich ihr Unternehmen zügig an die sich verändernden Kundenbedürfnisse anpassen. „Wir stehen vor einer Zeitenwende im Gesundheitsmarkt“, stellt Klingan fest. „Auch in dieser Branche gehört die Zukunft schnellen und kundennahen Innovationen.“

Stichwort Scrum
Scrum ist ein Vorgehensmodell des Projekt- und Produktmanagements, insbesondere zur agilen Softwareentwicklung. Obwohl es aus der Softwaretechnik stammt, kann das Grundprinzip auch unabhängig davon in anderen Bereiche genutzt werden. Wichtige Kernpunkte sind: Fortschritte und Hindernisse eines Projektes werden regelmäßig und für alle sichtbar festgehalten. Projektergebnisse und Funktionalitäten werden regelmäßig bewertet. Anforderungen an ein Produkt, Pläne und Vorgehen werden nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern kontinuierlich und detailliert angepasst. Scrum reduziert damit zwar nicht die Komplexität einer Aufgabe, strukturiert sie aber in kleinere und weniger komplexe Bestandteile.

Bei der Entwicklung neuer Arzneimittel schränkt die strenge Regulierung den Einsatz agiler Methoden ein. Und Ärzte berücksichtigen beim Verschreiben von Medikamenten nur zu 50 bis 60 Prozent deren Wirksamkeit, Sicherheit und Nebenwirkungen. Zu 40 bis 50 Prozent beeinflussen die Erfahrungen des Mediziners und seiner Patienten die Entscheidung. Bei Zusatzleistungen und Informationen – also überall dort, wo die bestehende Regulierung dies zulässt – können die Hersteller mithilfe agiler Methoden binnen kurzer Zeit spürbare Fortschritte erzielen. In der Bain-Studie gibt jeder Vierte an, dass es im Wettbewerb in den kommenden drei Jahren weniger um das beste Produkt geht, sondern vielmehr um die besten Dienstleistungen, Informationen und Kundenerfahrungen sowie -erlebnisse. Beim Rückblick auf die vergangenen drei Jahre sind es lediglich acht Prozent.

Agile Teams liefern bessere Ergebnisse

Vorreiter nutzen agile Methoden bereits, um den Service rund um ihr Produkt zu verbessern. So fand ein Pharmahersteller im Dialog mit Patienten heraus, dass diese aufgrund komplexer Schritte zu Therapiebeginn häufig überfordert sind. Innerhalb von vier Monaten brachte das Unternehmen daraufhin neue Lösungen auf den Markt gebracht, um die Patienten besser durch die frühe Phase der Behandlung zu führen. Die Entwicklung des ersten Prototyps war in zweieinhalb Wochen abgeschlossen – auf herkömmliche Weise hätte dies ein halbes Jahr gedauert. Andere Unternehmen beschleunigen durch agile Methoden die Patientenrekrutierung für klinische Studien oder steigern die Betreuungseffizienz kostenintensiver Fälle.

Derzeit stehen vier Hürden einer schnelleren Verbreitung agiler Methoden im Weg:

–        fehlende Flexibilität bei der Budgetierung (laut 77 Prozent der Befragten)

–        fehlende unternehmensweite agile Strategie (71 Prozent)

–        fehlende Förderung der Agilität durch die Unternehmenskultur (66 Prozent)

–        fehlende IT-Unterstützung für agile Softwareteams (57 Prozent)

Aus Sicht von Bain-Partner Klingan sind diese Hindernisse überwindbar, nicht zuletzt deshalb, weil auch andere Branchen mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Zögernde Unternehmenslenker ermuntert er: „Drei von vier Führungskräften machen die Erfahrung, dass agile Teams viel bessere Ergebnisse liefern als klassische. Daraus ergibt sich ein entscheidender Wettbewerbsvorteil in Zeiten hohen Innovationsdrucks.“