Anlässlich des Beginns der Fachmessen Medica und Compamed 2019 stellte der Industrieverband Spectaris Berechnungen auf Basis vorläufiger Angaben des Statistischen Bundesamtes vor, wonach die deutschen Medizintechnik-Unternehmen im Zeitraum Januar bis August 2019 ein Umsatzplus von 9,8 Prozent erzielten.
Die deutsche Medizintechnikindustrie könnte in diesem Jahr das erste Mal die 32 Milliarden Euro Umsatz-Marke übersteigen. Zu diesem Ergebnis dürfte insbesondere das internationale Geschäft beitragen: Der Auslandsumsatz legte um 10,6 Prozent zu. Doch auch der Inlandsumsatz zeigt laut Spectaris mit einem Wachstum von 8,1 Prozent eine sehr positive Tendenz. Von diesem Trend profitierte auch die Beschäftigungsentwicklung. Die Anzahl der Mitarbeiter stieg um 3,5 Prozent. Setzt sich dieses Wachstum fort, könnten zum Jahresende mehr als 148.000 Menschen bei den 1.380 Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern beschäftigt sein, inklusive Kleinbetriebe wären es sogar mehr als 200.000 Menschen.
Ist Hochstimmung eine Ausnahmeerscheinung?
Die gesamte wirtschaftliche Entwicklung der Branche wird insbesondere von künftigen Entwicklungen bei Fragen der Regulierung und im Exportgeschäft beeinflusst. Insofern könnte die derzeitige Hochstimmung eine Ausnahmeerscheinung sein. Auch ob der Rekordzuwachs beim Umsatz bis Dezember durchhält, ist unklar. „Die Signale für ein insgesamt positives Jahresergebnis 2019 sind aber vorläufig gegeben“, heißt es in einer Erklärung des Verbands. „Mit einem Plus haben wir gerechnet, vor dem Hintergrund der zunehmenden konjunkturellen Eintrübung der Weltwirtschaft hat das bisherige Branchenergebnis aber selbst uns überrascht, auch wenn sich die Medizintechnik bereits in der Vergangenheit als deutlich krisenresistenter als andere Industriezweige gezeigt hat“, erläutert Marcus Kuhlmann, Leiter Medizintechnik des Spectaris-Industrieverbands.
Zunehmende Investitionen in Asien
Zur positiven Geschäftsentwicklung tragen mehrere Gründe bei. So ist etwa das Einkommensniveau in vielen Emerging Markets insbesondere in Asien nach der mehrjährigen weltwirtschaftlichen Boomphase deutlich gestiegen, mit der Folge stark zunehmender Investitionen in deren Gesundheitsbereichen. Die deutschen Medizintechnikausfuhren nach China legten beispielsweise um 12 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu. Als Folge der gegenseitigen Sanktionsdrohungen im US-chinesischen Handelskrieg kam es zudem zu vorgezogenen Medizintechnikkäufen. Umgekehrt muss allerdings damit gerechnet werden, dass ein zeitverzögerter Nachfragerückgang eintritt.
Produktionsverlagerungen aus Großbritannien
Auch der Brexit wirkt sich vorübergehend positiv auf das Wachstum aus. Laut der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI) sind Anzeichen für eine Vorratsbildung von medizintechnischen Produkten im Vereinigten Königreich vor einem möglichen EU-Austritt zu beobachten. Die deutschen Ausfuhren unterstreichen diese Einschätzung: Nach einem Rückgang in den Jahren 2016 bis 2018 legten die deutschen Medtech-Exporte nach UK erstmalig wieder zu und lagen im Zeitraum Januar bis August 2019 um 16 Prozent über dem Referenzwert des Vorjahres. Daneben ist davon auszugehen, dass es aufgrund des Brexits und den damit verbundenen Unsicherheiten Verlagerungen von Produktion und Vertrieb auch nach Deutschland gegeben hat.
MDR wird negative Folgen haben
Unabhängig vom Brexit sind auch erste vorgezogene Medizintechnikkäufe zur Vermeidung eines möglichen Versorgungsengpasses aufgrund der Auswirkungen der neuen europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR) nicht auszuschließen. Dieser positiv auf den Umsatz wirkende Sondereffekt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich schon zeitnah die MDR negativ auf die wirtschaftliche Situation der Medtech-Unternehmen auswirken könnte. „Vor zwei Jahren trat die Verordnung in Kraft, doch noch immer sind viele Fragen zur praktischen Umsetzung offen und die Probleme der Unternehmen angesichts der steigenden Bürokratie noch nicht gelöst. Das verunsichert auch die Anwender“, erklärt der Spectaris-Vorsitzende Medizintechnik Dr. Martin Leonhard.
Für kräftige Wachstumsimpulse sorgt nicht zuletzt die Digitalisierung des Gesundheitswesens weltweit. Laut Prognose einer Gemeinschaftsstudie der Unternehmensberatung Roland Berger, Spectaris und der Messe Düsseldorf aus dem Jahr 2018 soll der Umsatz mit digitalen Produkten und digitalen Gesundheitsdienstleistungen jährlich um durchschnittlich 16 Prozent ansteigen und im Jahr 2028 einen Wert von 15 Milliarden Euro erreichen.
Der Verband geht davon aus, dass das Wachstum des Medizintechnikmarktes auch in den kommenden Jahren anhält. Bis 2024 rechnet Frost & Sullivan mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerung um 5,6 Prozent. Die deutschen Hersteller sind mit ihren innovativen Produkten gut positioniert, um von dieser Entwicklung zu profitieren und ihre Stellung im Weltmarkt zu behaupten. Aktuell entfallen 12 Prozent der globalen Ausfuhren von Medizintechnik auf Deutschland. Die Unternehmen sind damit Export-Vizeweltmeister, nur die US-Hersteller führen noch mehr Güter aus.