In Sachen Digitalisierung gibt es bei vielen Ärzten noch eine Menge zu tun. Noch werden Notizen von Medizinern meist handschriftlich verfasst, Mails haben Briefe noch lange nicht ersetzt und die elektronische Patientenakte fristet ein Nischendasein. Doch obwohl sie beim Einsatz digitaler Anwendungen momentan noch zögerlich sind, sehen sieben von zehn Ärzten die Digitalisierung als große Chance für die Gesundheitsversorgung. Das zeigen die Ergebnisse einer Umfrage, die der Bitkom gemeinsam mit dem Hartmannbund durchgeführt hat. Dabei wurden 477 Ärzte aller Funktionen und Fachrichtungen befragt, darunter Ärzte im Krankenhaus und niedergelassene Ärzte.
67 Prozent der befragten Ärzte sind der Ansicht, dass Arztpraxen und Krankenhäuser ihre Kosten mithilfe digitaler Technologien senken können. 62 Prozent meinen, dass digitale Technologien die Prävention verbessern werden und jeder Dritte (34 Prozent) geht sogar davon aus, dass sie die Lebenserwartung der Menschen verlängern. Allerdings werden digitale Gesundheitsangebote zurzeit nur sehr spärlich eingesetzt. Neun von zehn Klinikärzten (93 Prozent) geben zwar an, dass ihr Haus den Patienten die Untersuchungsergebnisse auch auf CD zur Verfügung stellt und 39 Prozent der Krankenhausärzte tauschen sich untereinander per Telemedizin aus. Doch die telemedizinische Überwachung von Patienten (zehn Prozent) oder die Online-Terminvereinbarung (zehn Prozent) werden derzeit selbst von Krankenhäusern kaum eingesetzt.
In den Praxen der niedergelassenen Ärzte kommen digitale Angebote noch seltener zur Anwendung: Nur drei Prozent der Arztpraxen nutzen derzeit eine Online-Patientenakte. Zum Vergleich: Bei der Krankenhäusern liegt der Anteil immerhin bei neun Prozent. Noch größere ist das Gefälle, wenn es um einen eigenen Auftritt in sozialen Netzwerke geht. Während sieben Prozent der Arztpraxen in sozialen Netzwerken aktiv sind, liegt der Anteil der Krankenhäuser mit einem Auftritt bei Facebook und Co. bei 30 Prozent. „Es gibt in der Ärzteschaft eine große Offenheit gegenüber digitalen Technologien, man spürt eine regelrechte Aufbruchstimmung. Die Skepsis der vergangenen Jahre ist einer neuen Offenheit gegenüber digitalen Technologien gewichen. Nun braucht es aber noch mehr Mut und Entschlossenheit, digitale Angebote auch im Praxisalltag zu nutzen“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. Derzeit liege Deutschland in Sachen digitale Gesundheit immer noch im grauen Mittelfeld. Die Patientenversorgung werde künftig nur mit digitaler Unterstützung funktionieren.
Politik soll Digitalisierung vorantreiben
Wenn es um die weitere Digitalisierung der Medizin geht, sehen Ärzte die Wirtschaft und die Politik in der Pflicht. So zweifelt jeder zweite Arzt (47 Prozent) daran, dass die digitalen Anwendungen bereits praxisreif sind. Fehlende Mittel für die Umsetzung beklagen 43 Prozent der befragten Ärzte und 38 Prozent sehen die starke Regulierung des Gesundheitssektors als Hürde.
Besonders groß sind die Bedenken, wenn es um das Thema bei IT-Sicherheit (60 Prozent) und Datenschutz (67 Prozent) geht. „Die Digitalisierung und der damit einhergehende Fortschritt lassen sich nicht aufhalten. Im Gegenteil: Unsere Chance ist es nun, die Digitalisierung aktiv zu gestalten und die Chancen für unseren Beruf und die Patienten beherzt und entschlossen zu ergreifen“, sagte Dr. Klaus Reinhardt, Bundesvorsitzender des Hartmannbundes. Dazu müssten vorhandene Hemmnisse weiter abgebaut werden. Gerade in einer alternden Gesellschaft habe die Digitalisierung riesiges Potenzial, um den Menschen länger ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Innovationen müssten daher frühzeitig und gezielt gefördert werden. „Der Zugang digitaler Angebote zum Gesundheitsmarkt, insbesondere zur Regelversorgung, muss dazu noch erleichtert werden“, betont Reinhardt.
Anstrengende Patienten wegen Digitalisierung
Auch das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten verändert sich durch die Digitalisierung. Immer mehr Patienten informieren sich online, bevor sie in die Praxis kommen. Knapp zwei Drittel der Ärzte (64 Prozent) empfinden den Umgang mit Patienten, die sich im Internet vorinformiert haben, als anstrengend. Allerdings gibt umgekehrt jeder Zweite an, dass er durch den Austausch mit gut informierten Patienten schon einmal hinzugelernt hat (51 Prozent). Ebenfalls jeder Zweite (48 Prozent) sagt, dass die Patienten durch Informationen aus dem Internet mündiger werden.
Auch im Bereich Mobile Health könnte sich das Verhältnis von Arzt und Patient grundlegend wandeln. Das Smartphone wird bereits als Stethoskop des 21. Jahrhunderts angesehen. Es liegt nicht mehr in der Hand des Arztes, sondern beim Patienten, der in seinem Alltag sehen kann, ob sich etwa sein Zustand verbessert, die Therapie anschlägt oder er den Arzt aufsuchen muss. 53 Prozent der Ärzte steht Gesundheits-Apps positiv gegenüber. Jeder vierte Mediziner (25 Prozent) wurde von Patienten schon auf eine Gesundheits-App angesprochen. Und 83 Prozent glauben, dass Apps den Patienten helfen, ihre Vitaldaten selbst zu kontrollieren. 69 Prozent der Ärzte sagen allerdings auch, dass Gesundheits-Apps nur etwas für Technikaffine sind. „Jetzt sind nützliche und niederschwellige Angebote gefragt. Außerdem müssen auch wir Ärzte Digitalkompetenzen erwerben, in Fort- und Weiterbildung. Lebenslanges Lernen wird in der digitalen Welt von morgen immer wichtiger und ist außerdem von jeher Grundvoraussetzung für unseren Berufsstand“, sagte Reinhardt. „Digitale Anwendungen werden den Arzt nicht ersetzen, aber sinnvoll unterstützen. Die Gesundheitsversorgung wird sich dadurch insgesamt verbessern und flächendeckend gewährleistet bleiben.“ Angesichts der Vielzahl von Apps und Anwendungen werde es vor allem auch Aufgabe der Ärzte sein, die „Spreu vom Weizen zu trennen“ und geordnete Zertifizierungsverfahren zu entwickeln.
Befragt nach Zukunftsszenarien für das Jahr 2030 sieht jeder zweite Mediziner (47 Prozent) Operations-Roboter im alltäglichen Einsatz. Weitere 39 Prozent sind der Ansicht, dass OP-Roboter zumindest vereinzelt eingesetzt werden. Acht von zehn Befragten sind davon überzeugt, dass Prothesen und Implantate 2030 standardmäßig oder vereinzelt im 3D-Druck-Verfahren hergestellt werden. Künstliche Intelligenz, die Ärzte beispielsweise bei der Diagnose unterstützt, sieht jeder dritte Arzt (35 Prozent) 2030 im Alltagseinsatz. Jeder Fünfte (22 Prozent) glaubt außerdem, dass die Medikamenteneinnahme und –abgabe durch unter die Haut implantierte Mikrochips erfolgt und solche Chips zudem die Funktionsfähigkeit von Organen verbessern. „Die Digitalisierung ist der zweite große Entwicklungsschritt der Medizin nach der Einführung der Antibiotika vor rund hundert Jahren“, ist Rohleder überzeugt.
Erleichterung elektronische Patientenakte
Auch andere digitale Angebote wie die elektronische Patientenakte werden von der Ärzteschaft positiv angenommen. So sagen 65 Prozent, dass dank der Akte eine einfachere Zusammenarbeit zwischen Ärzten möglich werde. 54 Prozent meinen, dass es so zu weniger Doppeluntersuchungen komme. Als größte Hürde beim Roll-out der E-Akte sehen die Ärzte die Gefahr des Datenmissbrauchs (75 Prozent). „Damit Patienten und Ärzte künftig die Gesundheitsdaten zusammenführen, verwalten und austauschen können, muss die notwendige Sicherheit erhöht werden. Bei sensiblen Gesundheitsdaten gelten höchste Anforderungen“, so Reinhardt. Seiner Einschätzung nach könnte durch die Vernetzung der Leistungserbringer nicht nur qualitativ hochwertigeres medizinisches Wissen generiert werden, es könnte auch schneller zur Verfügung stehen.