Ein aktueller Psychatrie-Kongress kommt zu dem Ergebnis, dass Internet-gestützte Interventionen die Chance bieten, die Versorgungssituation psychisch erkrankter Menschen zu verbessern.
Der hybride Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) stand in diesem Jahr unter dem Leitthema „Digitale Transformation und psychische Gesundheit“, was alleine schon den Stellenwert der Digitalisierung und der Nutzung digitaler Therapieprogramme in der Psychiatrie hervorhebt.
Mit Beginn der COVID-19-Pandemie hat sich der Einsatz digitaler Versorgungsangebote im Bereich psychischer Erkrankungen einer aktuellen Erhebung zufolge um mehr als 90 Prozent im Vergleich zum Zeitraum Oktober bis Dezember 2019 erhöht. Die Digitalisierung in der Medizin komme nicht nur in Form virtueller Videosprechstunden der Arzt-Patienten-Kommunikation zugute, sondern in Form von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) auch der Psychotherapie und der Begleitung der Patienten, erklärte Professor Dr. Dieter F. Braus aus Eltville. Es habe sich herausgestellt, dass die Nutzung der ambulanten Psychotherapie via Videosprechstunde von etwa einem Drittel der Patienten nicht erreicht wird.
Initiale Hürden bei einigen DiGAs ausgeräumt
Die Chancen und der hohe Bedarf an DiGAs sei schon lange bekannt, so Professor Dr. Michael Landgrebe aus Hausham. Was dem breiten Einsatz jedoch in den letzten Jahren im Weg stand, waren unzureichende Evidenz, erhebliche Qualitätsunterschiede und Vergütungsfragen. Diese initialen Hürden seien zumindest bei einigen DiGAs inzwischen ausgeräumt. Folgerichtig hebt die DGPPN in einer Stellungnahme hervor, dass Internet-gestützte Interventionen die Chance bieten, die aktuelle Versorgungssituation zu verbessern – vorausgesetzt sie basieren auf wissenschaftlich anerkannten Verfahren und erfüllen die Sicherheitsstandards.
Am Beispiel der DiGA „deprexis“, dem laut ihrem Anbieter Servier bislang einzigen dauerhaft im DiGA-Verzeichnis gelisteten Online-Therapieprogramms zur Behandlung von Depressionen, wurde die breiten Einsatzmöglichkeiten der digitalen Psychotherapie diskutiert. Die Wirksamkeit der gelisteten psychotherapeutischen App wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen.
BfArM -Verzeichnis gibt Überblick
Seit dem Inkrafttreten des digitalen Versorgungsgesetzes (DVG) Ende 2019 gibt es erstmals klar festgelegte Qualitätsstandstandards für Internet-basierte Interventionen. Die aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen als wirksam bewerteten Apps werden – entweder vorläufig oder dauerhaft – in das DiGA-Verzeichnis des BfArM aufgenommen. Sie können dann von Ärzten und Psychotherapeuten auf Rezept verordnet werden. Dauerhaft gelistete DiGA haben den Nachweis der Wirksamkeit anhand von klinischen Studien bereits sicher nachweisen können, vorläufig gelistete müssen diesen innerhalb eines Jahres anhand zusätzlicher Studien noch endgültig erbringen.
Großer Bedarf für Online-Therapien
Der Bedarf für Online-Therapien im Bereich der Depression ist besonders groß, gab Landgrebe auf dem Kongress zu bedenken. Mit knapp 20 Wochen sei die durchschnittliche Wartezeit auf einen ersten Termin in der Richtlinienpsychotherapie inakzeptabel lang. In ländlichen Gebieten sind zeitaufwändige Anfahrtswege ein weiteres Hindernis für eine adäquate psychotherapeutische Versorgung. Durch die Verordnung Internet-basierter Anwendungen, die flexibel genutzt werden können, die Qualitätskriterien erfüllen und nachweislich wirksam sind, kann die bestehende Versorgungslücke geschlossen werden.
Das 1954 gegründete Unternehmen Servier ist mit 22.500 Mitarbeitern das zweitgrößte Pharmaunternehmen Frankreichs. Es erwirtschaftete im Jahr 2020 Umsatzerlöse in Höhe von rund 4,7 Milliarden Euro in 150 Ländern.