Eine digitale Therapie zur Behandlung von Angststörungen in den eigenen vier Wänden bietet nun als erste Krankenkasse in Deutschland die Techniker Krankenkasse (TK) an.
Die von der Firma Sympatient entwickelte Therapie mit dem Namen „Invirto“ soll mit Virtual Reality (VR) und einer App erstmalig eine leitliniengerechte Fernbehandlung von Angststörungen ermöglichen.
Innerhalb von vier Wochen können Betroffene die App-gestützte Therapie mit zahlreichen Schulungsvideos und digital angeleiteten Übungen absolvieren. Das Kernstück von Invirto ist die Konfrontation nach therapeutischen Prinzipien mit Angst auslösenden Situationen wie Aufzug- und U-Bahnfahrten oder Menschenansammlungen. „Unser Behandlungskonzept ermöglicht den Patienten einen schnellen Zugang ohne Wartezeiten zu einer hochwertigen Psychotherapie“, sagt TK-Vorstandsvorsitzender Dr. Jens Baas. Angststörungen zählen zu häufigsten psychischen Erkrankungen. Studien zufolge leiden zehn Millionen Menschen in Deutschland im Verlauf eines Jahres an dieser Erkrankung.
Der Patient entscheidet
Vor dem Therapiestart untersucht das Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZiP) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) alle Teilnehmer im Rahmen einer umfassenden psychotherapeutischen Diagnostik. Danach erhalten die Teilnehmer die VR-Brille und einen App-Zugang nach Hause. „Anders als bei einer klassischen Psychotherapie mit einem in der Regel einstündigen Besuch beim Psychotherapeuten pro Woche kann bei dem neuen Angebot jeder Patient selbst entscheiden, wann, wo und wie oft er die verschiedenen Schulungsmodule und Übungen absolviert.“, erläutert Baas. Während der Therapie werde der Patient von einem Psychotherapeuten des UKSH per Telefon und Video begleitet. „Gerade in Regionen mit wenigen spezialisierten Therapeuten und langen Anfahrtswegen ist das eine sehr attraktive Therapieoption”, betont der TK-Vorstandsvorsitzende.
App prüft psychische Verfassung
Im Verlauf der Behandlung erfasst die App mithilfe eines Fragenkatalogs regelmäßig die psychische Situation der Teilnehmer. „Wenn die Teilnehmer eine Verschlechterung ihres psychischen Zustands erfahren, haben sie direkten Zugang zu Notfallnummern und können sofort hilfreiche Übungen wiederholen“, erklärt Julian Angern, einer der drei Gründer und psychologischer Leiter von Sympatient. In Krisenfällen nehmen spezialisierte Mitarbeiter der Klinik direkt mit den Teilnehmern Kontakt auf. Die von der App verwendeten Patientendaten sind sicher, so der Sympatient-Gründer. Die Software sei von einer externen Stelle hinsichtlich der Sicherheit geprüft wurden.
Umfangreiches Material
Für die digitale Fernbehandlung hat das vor zwei Jahren aus einer wissenschaftlichen Studie am UKSH heraus gegründete Unternehmen Sympatient acht Stunden therapeutisches Schulungsmaterial und fast vier Stunden VR-Bildmaterial für sieben verschiedene Angstszenarien erstellt. Damit sollen die häufigsten angstauslösenden Situationen abgebildet sein.
Hoher Leidensdruck
Patienten mit einer Angststörung stehen unter sehr hohem Leidensdruck. „Anfangs sind es oft sehr diffuse und unspezifische Symptome wie Schweißausbrüche, Herzklopfen oder Übelkeit. Deshalb erkennen die Patienten zu Beginn häufig nicht, dass ihre Ängste diese Symptome hervorrufen“, erläutert Dr. Bartosz Zurowski, Oberarzt und Leiter des Bereichs Angst- und Zwangsstörungen am UKSH-Campus in Lübeck. Im weiteren Verlauf würden die Symptome häufig komplexer. Manchmal trauten sich die Betroffenen dann gar nicht mehr, ihre Wohnung zu verlassen. Eine Berufstätigkeit, Einkäufe oder eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben seien für diese Menschen häufig gar nicht mehr möglich. „Deshalb ist es wichtig, dass Angstpatienten möglichst frühzeitig und niederschwellig ihre Störung mit einem wirksamen Gesamtkonzept bearbeiten können“, so Dr. Zurowski.
Digitale Technik hilfreich
Die einzelnen Bausteine der Therapie seien wissenschaftlich sehr gut erprobt und haben sich in zahlreichen Studien bewährt. Für den Experten wird es höchste Zeit, diese neuen digitalen Techniken endlich in der ambulanten Versorgung einzusetzen. Er ist überzeugt, dass sich damit die Behandlung entscheidend verbessern und das bisherige Angebot der ambulanten Psychotherapie ergänzen lässt.