Im Interview erläutert Dr. Wolfgang Heimsch, Leiter Kundenservice bei Siemens Healthineers, wie sich die COVID-19-Krise auf sein Aufgabenfeld auswirkt und erklärt, was sie für die Service-Strategie des Unternehmens bedeutet.
Redaktion: Herr Heimsch, wie viele PSAs, also persönliche Schutzausrüstungen, haben Sie zu Hause?
Heimsch: Schutzausrüstung überlasse ich den Personen, die vor Ort in den Krankenhäusern und Praxen ihre so wichtige Arbeit machen. Ich arbeite momentan, wie empfohlen, von Zuhause. Wir haben aus den vergangenen Krisen, wie der SARS-Epidemie 2002 und dem Tsunami in Japan 2011, viel gelernt und uns beispielsweise mit Schutzausrüstungen für unsere eigene Mitarbeiter rechtzeitig versorgt.
Herausforderung bleibt
Redaktion: Wie ist Customer Services sonst noch auf solche außergewöhnlichen Ereignisse vorbereitet?
Heimsch: Wir sind weltweit eine sehr große Service-Organisation und haben mit drei Remote-Service-Centern die notwendigen Strukturen geschaffen, um unsere Kunden rund um die Uhr betreuen zu können und immer erreichbar zu sein. Mit unserer Trainings- und Informationsplattform PEPconnect stellen wir online das nötige Wissen zur Verfügung. Dies wird ergänzt durch unsere weltweite Logistik. Auch hier haben wir durch das rechtzeitige Auffüllen der weltweiten Lager Vorsorge getroffen. Trotzdem bleibt dies eine Herausforderung wegen der stark reduzierten Flugpläne.
Ganz wichtig ist auch unsere Leistungsfähigkeit durch remote erbrachten Service, die wir in den letzten Jahren gewaltig gesteigert haben. Vor mehr als 15 Jahren haben wir begonnen, ein Smart-Remote-Service-Netzwerk aufzubauen, das nun das Rückgrat unserer heutigen Prozesse ist. Damit helfen wir unseren Kunden ihren Betrieb sicherzustellen.
Auch vor Ort gefragt
Trotz aller digitalen Lösungen sind wir weiterhin vor Ort gefragt, wenn zum Beispiel eine Röntgenröhre in einem Computertomografen ausgewechselt werden muss. Da danke ich meinen Mitarbeitern auf der ganzen Welt sehr. Sie scheuen sich nicht, in dieser Krisensituation vor Ort in den medizinischen Einrichtungen ihre Leistung zu erbringen.
Redaktion: Wie verändert die COVID-19-Krise die Arbeit Ihrer Service-Organisation? Was sind die Herausforderungen?
Heimsch: Wir machen heute wirklich alles, was nur irgendwie möglich ist, remote – also ohne direkten Kontakt. Das ist auch deshalb notwendig, weil viele medizinische Einrichtungen uns den Zugang nicht mehr zu jeder Zeit ermöglichen können. Die Herausforderung ist hier eine performante IT-Infrastruktur auch unter hoher Last sicherzustellen.
Gleichzeitig sehen wir, dass sich die Investitionen auszahlen, die wir in den letzten Jahren getätigt haben. So können wir nun online in unseren Service-Centern abklären, mit welchen Mitteln eine Störung vor Ort behoben werden kann, und zwar gleich im ersten Anlauf. Zweitbesuche beim Kunden sind damit wesentlich seltener geworden.
Redaktion: Erleben wir in diesem Fall die Krise als Beschleuniger der Digitalisierung im Service?
Heimsch: Ja! Vernetzung und damit Remote Service helfen uns jetzt sehr. Ein weiteres Beispiel: Mit Hilfe unserer Technologie können wir Kunden auch remote beim Scannen mit Computertomografen und Magnetresonanzgeräten unterstützen, wenn sie im Arbeitsalltag ein Problem damit haben sollten. Wir sehen unseren strategischen Ansatz bestätigt. Wir sehen aber auch, dass wir unsere Remote-Serviceangebote und -aktivitäten mit noch mehr Nachdruck verfolgen und schneller erweitern müssen.
COVID-19-spezifisches Onlinetraining
Redaktion: Was können Sie sonst tun, um den Betrieb bei den Kunden aufrecht zu erhalten?
Heimsch: Wir haben viele Möglichkeiten unsere Kunden in ihrer täglichen Arbeit zu entlasten: In Ländern, deren rechtliche Lage es erlaubt, können sich klinische Applikationsspezialisten von Siemens Healthineers dazu entscheiden, jetzt in Krankenhäusern vor Ort zu unterstützen, beispielsweise bei der Durchführung von Untersuchungen mit Hilfe von CTs.
Außerdem bieten wir kostenlos COVID-19-spezifisches Onlinetraining an, das unseren Kunden auf unserer Plattform PEPconnect zur Verfügung gestellt wird. Dort werden unter anderem Anleitungen für die Desinfektion von Geräten oder besondere Verhaltensregeln für klinisches Personal vermittelt. Medizinisches Personal kann außerdem lernen, wie man sich mit spezieller Fernwartungssoftware gegenseitig remote unterstützen kann. Schließlich bieten wir auch innovative Dienstleistungen für die Hilfe vor Ort an, wie zum Beispiel Remote-Scanning-Unterstützung für bestimmte bildgebende Geräte oder Smart-Collaboration-Lösungen.
Redaktion: Customer Services ist eine sehr große Organisation. Haben Sie ein Bespiel dafür, wie eine tägliche Herausforderung für Ihre Mitarbeiter und ihre Kunden aussieht?
Heimsch: Ja, hier eine Begebenheit, die unsere Herausforderungen in dieser Zeit sehr anschaulich beschreibt: Letzten Monat meldete uns das People’s Hospital von Luhuo County in der chinesischen Provinz Sichuan eine Störung an einem Computertomographen. An diesem Gerät werden COVID-19-Patienten untersucht. Unsere Mitarbeiter im Remote-Service-Center konnten via Netzverbindung zum Gerät die Röntgenröhre als Ursache der Störung identifizieren.
Also machte sich in der Provinz Sichuan einer unser Kundendiensttechniker zusammen mit einem regionalen Service-Manager sofort mit einer neuen Röntgenröhre im Gepäck auf den Weg. Aber schon an der ersten Kontrollstelle wurde ihnen die Weiterfahrt verwehrt, weil ihnen das offizielle Siegel des Landesteils zur Prävention von Epidemien fehlte. Daraufhin riefen sie den Kunden an und erhielten den erforderlichen Stempel auf das Handy übermittelt. Die beiden Kollegen mussten dann im Bus eines Logistikdienstleisters noch zehn weitere Kontrollpunkte passieren und sogar den Zheduo Snow Mountain auf einer Höhe von 4.000 Metern überqueren, bis sie nach 13 Stunden schließlich am Ziel waren. Die Röntgenröhre konnte so trotz aller regulatorischer und geografischer Herausforderungen innerhalb von nur drei Tagen repariert werden. Eine hervorragende Leistung in schwierigen Zeiten!
Remote Service ist der richtige Ansatz
Redaktion: Wagen wir jetzt mal einen Blick auf die Zeit nach der COVID-19-Krise: Was lernt der Service schon jetzt aus der Krise?
Heimsch: Spätestens jetzt muss klar sein: Remote Service ist der richtige Ansatz auch in der Medizintechnik. Argumente gegen eine Remote-Anbindung von unseren Systemen – egal von wem – werden es zukünftig deutlich schwerer haben. In Zukunft werden wir uns bei jeder Investition fragen: Hilft uns diese Investition, besseren Remote Service zu erbringen?
Die Verwertung von Daten wird im Service eine wesentlich größere Rolle spielen können als bisher, da dort Daten aus verschiedenen Systemen und Applikationen zusammenfließen. Beispielsweise können wir mit KI-unterstützten Methoden mögliche Störungen in unseren Systemen für Bildgebung oder Labordiagnostik erkennen und beseitigen, bevor sie überhaupt auftreten. Wir erproben aber auch schon längst innovative Technologien, wie Augmented und Virtual Reality oder Chatbots und Online-Ersatzteil-Tracking. Da sind noch viele Möglichkeiten zur Digitalisierung des Service offen!