Die Digitalisierung in Klinik und Praxis soll vorwärts kommen. Doch wie sieht der Status Quo aus? Eine aktuelle Studie macht deutlich, dass das Potenzial längst nicht ausgeschöpft ist. Patienten stehen dabei vielen Neuerungen aufgeschlossen gegenüber.
Der Bundestag hat mit der Verabschiedung des „Digitale-Versorgung-Gesetzes“ (DVG) den Weg für mehr Digitalisierung geebnet. Und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn lässt bei jeder sich bietenden Gelegenheit keine Zweifel daran aufkommen, dass er das deutsche Gesundheitswesen digital vorwärtsbringen will. Die aktuelle Studie „Digitalisierungsreport 2019: Der digitale Patient im deutschen Gesundheitswesen“ verdeutlicht jedoch, dass technologische Möglichkeiten und die konkrete Umsetzung in Praxis und Klinik oft noch deutlich auseinander liegen. Die Studie wurde von dem Marktforschungsinstitut Splendid Research GmbH im Auftrag des Softwarespezialisten Samedi GmbH durchgeführt. Befragt wurden 1.009 gesetzliche Krankenversicherte in Deutschland zum Status Quo der Digitalisierung in hiesigen Arztpraxen.
Die Technik ist vorhanden und einsatzbereit: Telemedizin, E-Rezepte, Online-Terminvereinbarung oder Web-Sprechstunde – alles ist machbar und längst auch genehmigt. Aber welche Services werden tatsächlich bereits genutzt?
Digitalisierungsfall Arztpraxis
Patienten stehen schrittweise mehr digitale Angebote zur Verfügung: 35 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, dass sie Arzttermine bereits online buchen, 34 Prozent suchen online nach ihrem Arzt und jeder Vierte lässt sich per E-Mail oder SMS an den Arztbesuch erinnern. 15 Prozent nutzen Gesundheits-Apps. Die Zahlen verdeutlichen, dass sich viele Bürger neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen zeigen.
Das Digitalisierungspotenzial im deutschen Gesundheitswesen ist jedoch noch lange nicht ausgeschöpft: Nur fünf Prozent der Befragten nutzen bereits eine digitale Patientenakte, lediglich drei Prozent haben beim Arzt schon einmal einen Self Check-in durchgeführt. Ebenfalls nur drei Prozent haben ihren Impfpass in digitaler Form vorgelegt. Häufige Ursache: Arztpraxen und Kliniken bieten derartige Services schlicht noch nicht an. Das bremst alle Beteiligten: All diese Lösungen könnten Wartezeiten verkürzen, den Therapieerfolg erhöhen und Missverständnisse bei der Kommunikation verringern.
Da nicht jede Praxis die Online-Terminbuchung anbietet, bucht mehr als die Hälfte der Befragten (57 Prozent) ihre Termine nur selten online. Das Angebot kommt der Nachfrage nach Online-Terminen nicht hinterher: Ganze 74 Prozent der Patienten gaben an, dass Ärzte diesen Service zu selten offerierten. Das Resümee des Studien-Auftraggebers Samedi: „Der Patient namens Arztpraxis benötigt noch digitale Therapie“.
Kein Anschluss unter dieser App
Ein ähnliches Bild zeichnet sich beim Teilen digitaler Gesundheitsdaten: Ganze 86 Prozent der Befragten gaben an, sie würden Gesundheitsdaten mit ihren Ärzten teilen. Doch das bedeutet für die Arztpraxen Mehraufwand und wird deshalb häufig nicht angeboten. 37 Prozent der teilungswilligen Nutzer unter den Befragten gaben an, ihr Doktor könne diese Daten leider gar nicht digital entgegennehmen. Hier schlummert verborgenes Potenzial, um Abläufe zu beschleunigen und ein ganzheitliches Gesundheitsbild zu gewinnen. Gefragt sind hier sichere Schnittstellenanbieter aber auch standardisierte Lösungen, damit die Mediziner nicht in einem Chaos von Daten und unterschiedlichen Apps versinken.
Patienten wünschen sich Alltagshelfer
Grundsätzlich ist die Wunschliste der deutschen Patienten aber gar nicht so Hightech, wie vielfach angenommen. Gefragt sind primär simple Tools, die den Alltag vereinfachen: 73 Prozent würden ihre Termine online buchen, sofern dies digital möglich wäre. 60 Prozent freuen sich über Terminerinnerung via E-Mail oder SMS. Und auch bei den 33 Prozent, die sich Gesundheitsapps wünschen, stehen praktische Helfer wie etwa ein Diabetiker-Tagebuch (24 Prozent) an erster Stelle. Die Angst vieler Praxen, dass die Digitalisierung gleich hochkomplex daherkommt, erscheint unbegründet.
Selbstbestimmung über Gesundheitsdaten
Die Sicherheit ihrer Gesundheitsdaten nehmen die Befragten sehr ernst. 87 Prozent fordern ein, selbst über ihre persönlichen Daten bestimmen zu können. 65 Prozent äußerten Angst vor Datenmissbrauch und 50 Prozent fürchten, zum „gläsernen Patienten“ zu werden. Die Versicherten sind sich uneinig, ob derzeit genug für den Datenschutz getan wird. Für das Gesundheitswesen bedeutet dies, auf sichere und etablierte Technologie-Anbieter zu setzen. Für Software-Entwickler ergibt sich im Umkehrschluss die Aufgabe noch besser über die Sicherheit und Vorteile ihrer Lösungen aufzuklären.
Wartezeiten in der Kritik
Grundsätzlich zeichnet sich ein positives Bild zwischen Patienten und Arztpraxis. 83 Prozent bewerten die Freundlichkeit ihres Arztes oder ihrer Ärztin positiv, 81 Prozent lobten die fachliche Kompetenz und 75 Prozent empfinden auch die Behandlungszeit als angemessen. Auch das Personal wird in hohem Maße als freundlich (78 Prozent) und kompetent (76 Prozent) bewertet. Die durchschnittliche Wartezeit in Arztpraxen fällt der Studie zufolge nicht ganz so schlimm aus, wie befürchtet: 37 Prozent der Patienten warten zwischen 30 bis 60 Minuten. Damit war eine knappe Mehrheit von 55 Prozent zufrieden.
Vergleicht man diesen Wert jedoch mit der durchaus hohen Zufriedenheit bei den anderen abgefragten Faktoren, wird klar, dass bei der Wartezeit besonders starkes Optimierungspotenzial schlummert. Die Einführung von Online-Terminvergabe und besseren Planungstools für die Praxen könnten hierbei schnell und unkompliziert helfen.
Für die Studie wurde die Methode einer Online-Umfrage unter in Deutschland lebenden Personen mit gesetzlicher Krankenversicherung im Alter von 18 bis über 70 Jahren herangezogen.