Als die COVID-19-Krise ausbrach, mangelte es vielen Krankenhäusern an medizinischer Ausrüstung, so auch in Frankreich. Unter der Leitung eines Pariser Chirurgen startete daraufhin eine neue Initiative: der 3D-Druck von medizinischem Material nach Bedarf.
Als Ende des letzten Jahres im chinesischen Wuhan der erste Fall von COVID-19 auftrat, ahnten die meisten nicht, dass bald eine Pandemie unsere Welt verändern würde. In Frankreich gab es bis dato mehr als 178.000 Fälle mit über 26.000 Toten.
Überall auf der Welt, und vor allem in Ländern, in denen die Zahl der Erkrankten rapide anstieg und die Krankenhausbetten knapp wurden, wurde die medizinische Versorgung wichtiger als alle anderen Versorgungsleistungen. Im medizinischen Bereich mangelte es an allem: an Zeit, Personal, Energie und Ressourcen.
An diesem Punkt entstand eine neue Initiative, deren Hauptpfeiler die 3D-Technologie bildete: Covid3D.org. Leiter des Projekts war der Chirurg Dr. Roman Khonsari vom Pariser Krankenhausverbund APHP (Assistance Publique – Hôpitaux de Paris). Die Finanzierung übernahm die Universität Paris und der Luxusmarkenkonzern Kering. Das Projekt sollte in großem Stil aufgezogen werden und schnell funktionieren.
3D-Druckerei entsteht unter Zeitdruck
Der Plan war, eine 3D-Druckerei in Paris einzurichten, in der medizinische Produkte designt und je nach Bedarf rasch und billig ausgedruckt werden konnten. Die Herausforderung bestand für die Beteiligten darin, dass sie bei null anfingen und juristisches Neuland betraten.
Darüber hinaus war der Zeitdruck sehr hoch, denn die Zahl der Coronafälle und der Fabrikschließungen auf der ganzen Welt nahm stetig zu. Mit Unterstützung und Mobilisierung von 50 Ärzten, Ingenieuren, Entwicklern, Unternehmern und Akteuren aus dem öffentlichen und privaten Sektor wurde Covid3D in nur zehn Tagen aus dem Boden gestampft.
Viele juristische Fragen
„Leider gibt es keine Anleitung dafür, wie man während einer weltweiten Epidemie medizinische Produkte in 3D druckt“, klagt Dr. Khonsari. „Eine der großen Herausforderungen waren die vielen juristischen Fragen, die zu klären waren. Unter normalen Umständen wäre so ein Projekt ja gar nicht möglich gewesen. Wir mussten erst einmal den rechtlichen Rahmen für den 3D-Druck von medizinischem Zubehör schaffen.“
Die Tatsache, dass in den Pariser Krankenhäusern das Material für Corona-Fälle knapp wurde, war laut Dr. Khonsari nicht das einzige Problem. Da die Produktionsstätten in China und den USA ihren Betrieb einschränkten oder die produzierten Güter für die eigenen Länder reservierten, entstand nun ein Bedarf an medizinischen Produkten, der über den COVID-19-bedingten Bedarf hinausging. Dringend benötigt wurden beispielsweise Ventile, Intubationsmaterial, Beatmungsgeräte, Spritzenpumpen, Masken und medizinische Steckverbinder.
Anzumerken ist, dass die gedruckten Produkte nicht unbedingt kompliziert zu fertigen sind. „Wir bauen hier keine Raumschiffteile!“, betont Dr. Khonsari. Doch da sie für den medizinischen Einsatz gedacht sind, ist ein hohes Maß an Qualität, Präzision und Sicherheit erforderlich.
Einsatz hochauflösender 3D-Scanner
Um eine submillimetergenaue Präzision zu gewährleisten, kam der 3D-Scanner Artec Space Spider zum Einsatz. Als hochauflösender 3D-Scanner, der für die durchgehend präzise Erfassung kleiner Objekte und winziger Details entwickelt wurde, eignet sich Artec Space Spider ideal für Gussteile, Schlüssel, Computerkomponenten oder, wie in diesem Fall, für spezielle medizinische Produkte. Mit Hilfe der Blue-Light-Technologie nimmt der Space Spider auch die kleinsten Feinheiten auf, etwa Details einer Münze oder einzelne Partien des menschlichen Ohrs.
Beschleunigte Zulassung für Medizingüter
Die größte Herausforderung für das Covid3D-Team waren die rechtlichen Vorgaben. „Das war hart – wir haben Tag und Nacht an der Qualität der Drucke gearbeitet“, erzählt Khonsari. Angesichts der dringlichen Lage wurden die Verordnungen, die den Druck der Medizingüter ermöglichen sollten, beschleunigt erlassen. Heute verfügt das Team über die entsprechende Zulassung, muss sich allerdings an ein striktes Verfahrensprotokoll halten.
„Zunächst mussten wir nachweisen, dass der Artikel nicht lieferbar ist und kein anderes Produkt den gleichen Zweck erfüllt“, erklärt Dr. Khonsari. Ist ein Engpass nachgewiesen, kann der 3D-Druck des Artikels unter strengster Einhaltung des vorgeschriebenen Protokolls erfolgen: Es muss nicht nur sichergestellt werden, dass der Artikel nach angemessenen Standards gefertigt wurde, sondern dass er auch die Reinigung und Qualitätskontrolle übersteht, ohne Schaden zu erleiden. Medizinische Reinigungsverfahren wie die Sterilisierung und Desinfektion beanspruchen das Material extrem stark. Artikel, die nicht auf Beständigkeit ausgerichtet sind, können hierbei beschädigt werden.
Produktionsstart nach drei Wochen
In nur drei Wochen wurde ein vollkommen neues System in der Abtei Port-Royal installiert, einem historischen Gebäude neben dem Hôpital Cochin. Hier produzieren 60 3D-Drucker rund um die Uhr verschiedene Arten medizinischer Produkte. Überwacht werden sie von fünf schichtweise arbeitenden Ingenieuren. Die Artikel werden in Losen zu 100 gedruckt. Von jedem Los wird ein Artikel mit Artec Space Spider eingescannt, um die Qualität zu überprüfen.
Die zu druckenden 3D-Designs stammen entweder aus Scans bereits vorhandener Produkte oder werden von den Ingenieuren neu entworfen. Die Scans ermöglichen den Vergleich zwischen den neu gedruckten Artikeln und ihren traditionell gefertigten Vorläufern. Für den Datenvergleich werden Mehrzweck-Softwareprogramme wie Avizo, eine auf Industriedaten spezialisierte Anwendung, eingesetzt.
Wenn der Scan zeigt, dass das neue Produkt den Anforderungen genügt und die Haupteigenschaften des jeweiligen Artikels aufweist, hat das Los den Qualitätstest bestanden. Ist das nicht der Fall, wird das gesamte Los vernichtet. Für Geräte, bei denen innen gelegene Schläuche sehr präzise gedruckt werden müssen, wird neben Space Spider auch ein CT-Scanner verwendet.
Neue Möglichkeit für Notfallsituationen
Jetzt, da das Team die juristischen Hürden genommen hat und nach Protokoll vorgeht, ist es zuversichtlich, dass es seine Arbeit fortsetzen kann – und für die Zukunft gut gerüstet ist. Da die Artikel günstig und in Serie zu produzieren sind, bietet sein Konzept eine neue Möglichkeit zum Umgang mit Notfallsituationen.
Laut Sélim Amrani vom zertifizierten Artec-Partner CADvision liefert die 3D-Technologie zwar schnelle Antworten, doch die Qualität ist noch wichtiger. „In den ersten zwei Monaten wollten viele Unternehmen helfen, indem sie Gesichtsvisiere oder Ventile druckten“, berichtet Amrani. „Aber es ist nicht so einfach, diese Teile zu drucken. Man muss sehr spezielle Standards einhalten.“ Deshalb nimmt die Qualitätskontrolle durch 3D-Scans einen ganz zentralen Platz ein. „CADvision ist natürlich stolz darauf, an der Lösungsfindung zur Herstellung dieser Produkte beteiligt zu sein.“
3D-Drucklösungen für andere Länder
Für Dr. Khonsari ist das nur der Anfang: „Künftig können ähnliche 3D-Drucklösungen in Kriegsgebieten oder bei weiteren Epidemien entwickelt werden“, meint er. Das Team wurde bereits von Organisationen aus anderen Teilen Frankreichs oder Europas, sowie aus Mexiko und afrikanischen Ländern angesprochen.
Auch jetzt, da die COVID-19-Zahlen in Frankreich sinken und immer mehr Patienten von der Intensivstation verlegt werden können, ist das Team bestens gerüstet. Laut Dr. Khonsari verfügt es für diese Phase über 3D-gedruckte Beatmungsmasken.
Aufgrund der Aufhebung der Alltagsbeschränkungen in Frankreich stellen sich Dr. Khonsari und sein Team auf einen neuen Anstieg der Krankheitsfälle ein, der vielleicht schon bald eintreten wird. „Zumindest was die medizinisch notwendigen Maßnahmen angeht, können unsere Krankenhäuser auf ausreichende Produktionskapazitäten zurückgreifen“, erklärt Khonsari. „Wir sind gewappnet, falls es zu einer zweiten Krankheitswelle kommt.“