Vision intelligentes Krankenhaus: Wie viel KI ist realisierbar?

Dr. Jobst Landgrebe ist approbierter Arzt, Mathematiker, KI-Experte und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Cognotekt. (Foto: Cognotekt)
Dr. Jobst Landgrebe ist approbierter Arzt, Mathematiker, KI-Experte und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Cognotekt. (Foto: Cognotekt)

Künstliche Intelligenz (KI) soll auch die stationäre Gesundheitsversorgung revolutionieren. Doch die praktische Umsetzung liegt weit hinter den Versprechen zurück. In seinem Gastbeitrag erläutert Dr. Jobst Landgrebe, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Cognotekt, in welchen Bereichen sich der Einsatz von KI sowohl medizinisch als auch wirtschaftlich lohnt.

Gastbeitrag von Dr. Jobst Landgrebe

Laut einer Studie der Bitkom setzen gerade einmal neun Prozent aller deutschen Krankenhäuser KI-Systeme ein, und dies auch nur sporadisch und keineswegs flächendeckend. Warum ist die Zahl so niedrig, gemessen an dem großen Potenzial, das viele Experten der Technologie zuschreiben? Die Frage hat zwei Antworten: Zum einen werden die Möglichkeiten von KI überschätzt, zum anderen ist die Digitalisierung noch längst nicht weit genug fortgeschritten, um sie sinnvoll einzusetzen.

Voraussetzungen fehlen

Grundvoraussetzung für die Entwicklung und Verfügbarkeit von KI-Anwendungen sind große Mengen an Daten, die Informationen (Gegenstände, Begriffe und Messungen der medizinischen Versorgungsroutine) enthalten, die in strukturierter, eindeutiger und maschinen-verarbeitbarer Form vorliegen. Erforderlich ist dafür ein durchweg digitalisiertes Gesundheitssystem, das im europäischen Vergleich allerdings nur unterdurchschnittlich vorangeschritten ist. Diesen Rückschritt versucht die Bundesregierung seit 2020 durch gesetzgebende Maßnahmen auszugleichen. Unter diese Initiativen fallen unter anderem das Krankenhauszukunftsgesetz, das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz und diverse Änderungen des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches hinsichtlich der digitalen Infrastruktur im Gesundheitswesen.

Die häufigsten Anwendungsfelder von KI im Krankenhaus

Die meisten KI-basierten Systeme werden zur Bildauswertung in der Diagnostik eingesetzt. KI-Systeme erkennen hier Auffälligkeiten, weil sie mit bereits klassifizierten und markierten Input-Bildern – etwa pathologischen Strukturen auf Thoraxaufnahmen – entsprechend trainiert wurden. Sie lassen automatisiert auffällige Stellen erkennen, klassifizieren und möglichen Diagnosen zuordnen. Doch muss der Arzt jedes Bild auch selbst genau ansehen, da die Verfahren lediglich approximativ sind und beispielsweise nicht die Anzahl der Lungenmetastasen auf einer Thoraxaufnahme zählen können. Selbst bei der großen Anzahl von diagnostischen Bildern, die in Kliniken ausgewertet werden müssen, führt die KI nur zu einer geringfügigen Entlastung der Ärzte. Insgesamt ist das Potenzial zur Kosteneinsparung durch KI in der bildgebenden Diagnostik so gering, dass sich die Investition derzeit betriebswirtschaftlich nicht lohnt.

Etwas besser sieht es im therapeutischen Bereich aus, beispielsweise bei operativen Interventionen. Investitionen in Digital Surgery Technologies boomen derzeit. Doch noch haben alle KI-Anwendungen, die im Kontext von Operationen eingesetzt werden, akademischen Projektcharakter und sind meistens Prototypen. Daher kommen die Anwendungen nur in hochspezialisierten klinischen Zentren zum Einsatz und sind in der Regel gerade erst aus universitären Forschungsprojekten mit Industriepartnern hervorgegangen beziehungsweise sogar noch in der Studienphase.

Trotzdem liegt hier viel Potenzial für eine verbesserte Behandlungsqualität: So stehen OP-unterstützender KI-Software Daten aus mehreren Millionen Operationen zur Verfügung. Diese Daten werden zur Entwicklung von Algorithmen genutzt, die während einer Narkose Vitaldaten analysieren, Anästhesisten warnen und mit Entscheidungshilfen versorgen können. Sie können die Präzision bei Operationen steigern und Risiken vor und nach invasiven Eingriffen verkleinern.

Hohes Einsparpotenzial

Prozessoptimierung in der Klinikverwaltung geschieht derzeit zum Beispiel bei cloudbasierten Codierungssoftwares und KI-gestützter Spracherkennung. Sie können Informationen über klinische Leistungen aus medizinischen Freitexten extrahieren und diese semi-automatisch codieren oder mittels Spracheingabe schneller klinische Dokumente erstellen. Das Klinikum Stuttgart zeigt als jüngstes Beispiel das Einsparungspotenzial: So erhalten die Mitarbeiter einen ganzen Tag mehr pro Monat, den sie in die Zuwendung der Patienten investieren können. 

Das medizinische Personal des Uniklinikum Jena beispielsweise konnte die Zeit, die es für die Erstellung von OP-Berichten braucht, um die Hälfte reduzieren. Besonders in der Unfallchirurgie und der Zentralen Notaufnahme des Klinikums hat es sich als besonders hilfreich erwiesen, dass Dokumente nun schneller verfügbar sind. Auch in weiteren Bereichen der Krankenhausverwaltung können KI-Systeme administrative Routinetätigkeiten übernehmen, um Personal etwa in der Personalplanung zu entlasten. Allerdings sind die tatsächlichen Einsparungen von Zeit und Personal insgesamt noch äußerst gering und belaufen sich nach eigenen Analysen bei maximaler Ausschöpfung des derzeitigen Potenzials auf ein bis drei Prozent.

Prozessoptimierung interner IT-Systeme

Insgesamt ist der Einsatz von KI im Krankenhaus heute betriebswirtschaftlich noch nicht lohnend. Die Implementierung ist kostspielig, weshalb sie derzeit eher im medizinischen Alltag großer Universitätskliniken eingesetzt werden kann und so schnell keinen Weg in die Grund- und Regelversorgung findet. Obwohl KI-Systeme die medizinische Qualität grundlegend verbessern können, wird die Idealvorstellung eines höheren Qualitätsstandards bei gleichzeitig geringeren Kosten auf absehbare Zeit nicht erfüllbar sein. Eine Revolution durch KI in der Medizin wird es nicht geben, allenfalls marginale Verbesserungen. In Anbetracht der jetzigen Situation, in der viele Kliniken in tiefroten Zahlen stecken und ihnen eine Schließung droht, müssen Krankenhäuser noch stärker als bisher den Fokus auf das Verhältnis von Kosten und Nutzen legen. Und da gilt: Es ist betriebswirtschaftlich betrachtet sinnvoller, die digitale Infrastruktur zu verbessern. Hier gibt es genug zu tun: Um die medizinische Breitenversorgung zu verbessern, brauchen wir beispielsweise eine breit genutzte elektronische Patientenakte – und dafür unter anderem Investitionen in die sektorenübergreifende Vernetzung und die Interoperabilität bestehender IT-Systeme.