Digitalisierte Datenerfassung und künstliche Intelligenz (KI) sollen künftig dazu beitragen, das Risiko von Komplikationen bei Operationen zu minimieren. Die Auswertung individueller Patientendaten soll dazu eine verlässliche Risikoabschätzung liefern.
Jedes Jahr finden in Deutschland mehr als 16 Millionen Operationen statt. Dabei kommt es immer wieder zu Komplikationen, die nicht selten zum Tod führen: In den westlichen Industrienationen versterben 0,4 bis 0,8 Prozent der Operierten bei oder nach einem Eingriff.
Leitlinienpapiere schwer anwendbar
Zwar gibt es Leitlinienpapiere, die das medizinische Personal der Abschätzung des Risikos für einen Patienten unterstützen. Sie führen unter anderem Art und Anzahl von sinnvollen Voruntersuchungen auf. Doch in der Praxis sind diese Leitlinien nicht leicht anwendbar. Es sind vielschichtige Dokumente, und ihre Anwendung erfordert die Berücksichtigung einer Fülle von Informationen, deren Beschaffung nicht immer einfach ist.
Hier setzt ein neues Projekt namens „KIPeriOP“ an. Es will den Prozess des perioperative Risikomanagements vereinfachen und so das Risiko von Komplikationen bei Operationen minimieren. Basis sind digitalisierte Entscheidungsleitlinien und selbstlernende Algorithmen. Damit soll es möglich werden zu bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit bei einem Patienten oder einer Patientin bestimmte Komplikationen auftreten können. Ziel ist es, diese Komplikationen dann zu vermeiden.
Koordiniert wird das Projekt durch Prof. Dr. Anja Hennemuth vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS sowie Prof. Dr. Patrick Meybohm vom Universitätsklinikum Würzburg. Beteiligt sind Ärzte der Asklepios Medical School GmbH, des Universitätsklinikum Frankfurt, sowie der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Sie arbeiten mit Spezialisten aus den Bereichen KI, Benutzerführung, Ethik, und Gesundheitsökonomie zusammen.
Daten sammeln und auswerten
Die Forschenden erproben im Rahmen des Projektes ein klinisches Entscheidungsunterstützungssystems (CDS-System). Die vom Börm-Bruckmeier Verlag entwickelte Software soll zunächst patientenindividuell und leitlinienkonform mögliche Risikofaktoren sammeln, miteinander in Bezug setzen und als Ergebnis eine Risikoeinschätzung liefern: Wie wahrscheinlich ist es für einen bestimmten Patienten, dass während oder nach einer OP ernsthafte Komplikationen auftreten? „Auf Basis dieser Risikoeinschätzung können Ärzte zum Beispiel entscheiden, ob weitere Untersuchungen notwendig sind und durch welche Maßnahmen der Patient optimal auf die Operation vorbereitet werden kann“, so Meybohm.
KI spürt unerkannte Risikofaktoren auf
Als Eingangsdaten sollen in das CDS-System möglichst viele Informationen über den jeweiligen Patienten einfließen. Dazu zählen beispielsweise Laborwerte, Medikationsplan, Vitaldaten sowie Auskünfte über die Lebensgewohnheiten. Zusätzlich zur Berücksichtigung der Leitlinie wird in KIPeriOP auch eine Künstliche Intelligenz (KI) die digital erfassten Daten analysieren: Lernfähige Algorithmen suchen nach Mustern und Korrelationen. Sie sollen verraten, welche Konstellationen von Risikofaktoren wahrscheinlich zu welchen Komplikationen führen. So könnte mit Hilfe der KI besser erkannt werden, dass ein Patient an einer unerkannten Herzschwäche leidet und damit ein erhöhtes OP- Risiko aufweist.
Verschiedene Verfahren im Test
Um ein optimales Modell zu finden, werden im Rahmen des Projektes verschiedene KI-Verfahren getestet. Damit sie verlässlich funktionieren, müssen die Algorithmen zunächst trainiert werden. Dazu werden sie mit vielen Datensätzen über tatsächliche Voruntersuchungen und OP-Verläufe „gefüttert“. Diese Daten erheben die vier klinischen Projektpartner. „Wir sammeln hier nicht nur Daten, die sowieso schon vorhanden sind, sondern können die Datenerhebung speziell an unsere Bedürfnisse anpassen“, sagt Meybohm. „Dadurch erhoffen wir uns eine größere Relevanz und Genauigkeit der Algorithmen und Handlungsempfehlungen.“
Herausforderung Bedienbarkeit
Eine der Herausforderungen bei der Entwicklung des CDS-Systems ist seine Bedienbarkeit. „Wir müssen die KI-basierte Lösung so gestalten, dass sie die Arbeit der Mediziner bereichert und nicht als Belastung empfunden wird“, so Hennemuth, die auch eine Professur an der Charité – Universitätsmedizin Berlin innehat. „Das notwendige Vertrauen in die neue Technik kann nur entstehen, wenn wir transparent machen, wie und mit welcher Sicherheit die Algorithmen zu ihren Ergebnissen kommen.“ Die KI soll dabei helfen Unsicherheiten und mögliche Fehlerquellen transparent machen. Die Entwicklung erfolgt in enger Abstimmung mit den klinischen Partnern, aber auch einem Ethik-Team der RWTH Aachen.
Weiterer Nutzen
Die Forschenden hoffen, dass das CDS-System sogar noch einen weiteren Nutzen bringt und in den Daten bis dato unbekannte Zusammenhänge zwischen Eingangsinformationen und Komplikationshäufigkeiten erkennt. Damit ließen sich bis dato unbekannte Risikofaktoren entdecken. Diese Erkenntnisse könnten in künftige Leitlinien einfließen und Operationen für Patienten noch sicherer machen.