„Natürlich haben auch Ärzte Wissenslücken“

Die ausschließlich für Ärzte zugängliche Onlineplattform „coliquio“ erfreut sich großer Beliebtheit: Rund 150.000 Mediziner in Deutschland nutzen das Angebot regelmäßig. Coliquio dient als Forum zum Austausch mit Kollegen, wobei die Themen von Fragen des Praxismanagements über medizinische Fachfragen bis zu allgemeinen, tagesaktuellen Ereignissen wie etwa dem Brexit reichen. Gegründet wurde coliquio von den Wirtschaftsingenieuren Felix Rademacher und Martin Drees im Jahr 2007. Dabei war das Interesse der Ärzteschaft anfangs „gleich null“, wie Rademacher im Interview mit mednic.de einräumt. Wir sprachen mit den Firmengründer und heutigen CEO Felix Rademacher und mit Markus Munk, Chief Product Officer.

Geschäftsidee entstand auf einer Party

mednic: Wie kamen Sie auf die Idee, die Onlinecommunity für Ärzte coliquio zu gründen?

Rademacher: Die Idee zu coliquio entstand tatsächlich auf einer Party meiner Eltern, bei der auch mehrere Ärzte als Gäste anwesend waren. Ich war damals Student und mir fiel auf, dass die Mediziner ein Grüppchen bildeten und sich über Themen wie Praxismanagement, bestimmte Präparate und schwierige Fälle unterhielten. Die Ärzte nutzten also die Party, um sich über ihre Arbeit auszutauschen! Die wichtigste Erkenntnis von mir und meinem damaligen Kommilitonen Martin Drees war, dass die Ärzteschaft in Deutschland einen regen Informations- und Austauschbedarf hat. Heute wissen wir: Das medizinische Fachwissen verdoppelt sich alle zwei Jahre, dadurch haben natürlich auch Ärzte Wissenslücken und einen hohen Informationsbedarf. Damals entstand erst einmal unsere Abschlussarbeit und im Jahr 2007 wurde aus der Hochschule Konstanz heraus das Unternehmen coliquio gegründet. Allerdings haben die Ärzte anfangs null Interesse für das neue Angebot gezeigt, das war ernüchternd. Wir mussten uns sehr engagieren und haben unzählige, persönliche Gespräche mit Ärzten geführt. Und dennoch war es erst einmal unglaublich schwierig, die ersten hundert Ärzte zur Anmeldung zu bewegen. Danach ging es ganz langsam immer besser. Aus hundert Ärzten wurden schnell 1.000, der Sprung von 1.000 auf 10.000 dauerte gar nicht lange.

“Es war unglaublich schwierig, die ersten hundert Ärzte zur Anmeldung zu bewegen”

mednic: Warum richtet sich coliquio ausschließlich an Ärzte? Könnten nicht beispielsweise Apotheker oder Pflegepersonal ebenfalls wertvolle Forumsbeiträge leisten?

Munk: Gespräche und Befragungen haben gezeigt, dass hier ein Wunsch nach Exklusivität besteht. Das schätzen die allermeisten Ärzte sehr. Sichergestellt ist damit ein fachlich hohes Niveau.
Rademacher: Sicherlich könnte auf manche Frage beispielsweise auch ein Apotheker fachlich sehr kompetent antworten, aber ich fürchte, für diese Gruppe müssten wir ein anderes Forum schaffen.

mednic: Gibt es eine Art „Hitliste“ der meistdiskutierten Themen oder Fragen?

Munk: Nein, es gibt keine ‚Hitliste’. Die Themen sind in der Tat sehr vielschichtig. Es geht häufig um Fragen des Praxismanagements, um schwierige Fälle, um neue Gesetze, um Einsparpotentiale oder auch um Fortbildungsfragen. Aber es gibt auch auf den ersten Blick „nichtmedizinische“ Themen, wie aktuell beispielsweise den Brexit, der häufig diskutiert wird. Die Aktivitätsquote ist bei unseren Mitgliedern sehr hoch.
Rademacher: Das hat sich anfangs sehr langsam entwickelt, was auch verständlich ist. Vertrauen muss sich erst einmal entwickeln.

“Vertrauen muss sich erst einmal entwickeln”

mednic: Es gibt hunderttausende Mediziner im deutschsprachigen Raum. Wie internetaffin ist diese große und nicht sehr homogene Gruppe?

Rademacher: Natürlich sind die allermeisten Ärzte heute online. Wir sprechen hier von einer sehr gebildeten Gruppe, die zum allergrößten Teil sehr internetaffin ist.
Munk: Das Internet wird von sehr vielen Ärzten im Alltag genutzt. Das iOS-Tablet wird ständig auch für berufliche Zwecke genutzt! Und wir selbst tragen dazu bei, die Internetaffinität weiter zu fördern: Die Ärzte ‚gebrauchen’ uns tagtäglich!

Markus Munk, CEO coliquio
Markus Munk ist als Chief Product Officer für coliquio tätig. (Foto: coliquio)

mednic: Was ist das Geschäftsmodell von coliquio? Ist der Datenschutz sichergestellt?

Munk: Sehr viele Pharmaunternehmen sind unsere Partner. Hier geht es nicht um klassische Bannerwerbung, sondern um kompetente Fachinhalte von hohem Nutzwert, die beigesteuert werden. Gemeinsam mit der pharmazeutischen Industrie bieten wir ausschließlich nutzerorientierte Inhalte. Wir wollen Wissenslücken identifizieren und schließen. Dieses Angebot wird von den Medizinern sehr geschätzt.
Rademacher: Anfangs gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der Pharmabranche übrigens sehr schwierig, aber das hat sich zum Glück grundlegend geändert. Heute, wo wir fast jeden zweiten Arzt in Deutschland erreichen, arbeiten wir mit nahezu jedem namhaften Pharmaunternehmen zusammen.
Munk: Das Thema Datenschutz liegt uns dabei sehr am Herzen. Wir achten auf hohe Datensicherheit. Wir überprüfen beispielsweise sehr genau, dass sich auch wirklich nur Ärzte bei uns anmelden. Wer sich etwa mit einer Adresse von Web.de bei uns anmeldet, wird von unserem Team freundlich aufgefordert, einen Nachweis über die Zugehörigkeit zur Ärzteschaft zu erbringen. Innerhalb des Forums ist es üblich, dass mit Synonymnamen gearbeitet wird. Es lässt sich also nicht zuordnen, welcher Arzt da gerade welche Frage stellt. Ein weiterer Punkt: Es dürfen niemals Namen von Patienten erwähnt werden!
Rademacher: Von diesen ganzen Maßnahmen abgesehen ist es auch nicht unser Geschäftsmodell Adressen zu verkaufen.

“Gemeinsam mit der pharmazeutischen Industrie bieten wir ausschließlich nutzerorientierte Inhalte”

mednic: Wie wird sich coliquio in nächster Zeit weiterentwickeln? Welche Pläne haben Sie?

Rademacher: Erst einmal sind wir sehr stolz darauf, dass sich coliquio zu einem Unternehmen mit heute rund 100 Mitarbeitern entwickelt hat. Für die Zukunft verfolgen wir vor allem ein Ziel: Jeder Arzt im deutschsprachigen Europa soll coliquio am Tag 10 Minuten nutzen, um alles an die Hand zu bekommen, das er für seinen praktischen Alltag benötigt. Hierzu müssen wir immer bessere Funktionen und Inhalte in der Community bereitstellen. Die Internationalisierung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle und so haben wir in Indien eine weitere Ärztecommunity aufgebaut, die über 125.000 Ärzte als Mitglieder zählt.

mednic: Herr Munk, Herr Rademacher! Herzlichen Dank für dieses Gespräch!