KI-Modell für den Wettlauf gegen Krebs

Molekulare Struktur einer Krebszelle
Molekulare Struktur einer Krebszelle: In Heidelberg forscht NEC unter anderem an KI-Modellen im Kampf gegen Krebserkrankungen (Foto: vecstock /123rf.com)

Die NEC Laboratories haben ein neues KI-Modell entwickelt, das die Entwicklung einer personalisierten Krebsimmuntherapie beschleunigen soll. Der Mangel verfügbarer Trainingsdaten bremst die Entwicklung jedoch.

Das KI-Modell unter der Bezeichnung ‚Attentive Variational Information Bottleneck’ (AVIB) baut auf früheren Entdeckungen auf und kann die Bindung zwischen verschiedenen Proteinen und Molekülen vorhersagen, die eine wichtige Rolle bei der Fähigkeit des menschlichen Immunsystems spielen, Krebs zu erkennen und zu bekämpfen. Genauer gesagt erhalten Biotechnologen die Möglichkeit, die Bindung zwischen T-Zell-Rezeptoren und Antigenen auf der Oberfläche von Krebszellen vorherzusagen.

An der Entwicklung haben die US-amerikanischen NEC Laboratories America und NEC Laboratories Europe in Heidelberg gemeinsam gearbeitet. Zu den Forschungsschwerpunkten des Unternehmens in Heidelberg gehören künstliche Intelligenz, Blockchain-Sicherheit, 5G- und 6G-Netze sowie IoT-Plattformen.

Der NEC Immune Profiler und das NEC Neoantigen Prediction System nutzen Bioinformatik und maschinelles Lernen, um die DNA und RNA von Krebspatienten zu analysieren und Neoantigene zu identifizieren, die von Krebsmutationen herrühren. Neoantigene können zur Entwicklung personalisierter therapeutischer Krebsimpfstoffe verwendet werden, die dem Immunsystem des Patienten beibringen, Krebszellen zu erkennen und abzutöten. Allerdings binden nicht alle Neoantigene auf der Oberfläche von Krebszellen mit der gleichen Wahrscheinlichkeit an T-Zell-Rezeptoren, die die zur Zerstörung der Krebszellen erforderliche Immunreaktion auslösen.

Möglichst schnelle Intervention ist entscheidend

Da T-Zell-Rezeptoren sehr unterschiedlich sind, stellt das Testen, welche Neoantigene von den T-Zell-Rezeptoren erkannt werden, eine große Herausforderung dar. Dr. Anja Moesch, Research Scientist bei NEC Laboratories Europe, erläutert die Problematik: „Wenn es um Krebs geht, ist es entscheidend, möglichst schnell zu intervenieren. Bis vor kurzem haben Biotech-Unternehmen ihre Immuntherapien in der Regel so entwickelt, dass sie in einem Labor getestet haben, welche Neoantigene auf der Oberfläche der Krebszellen eines Patienten vorhanden sind und ob sie von den T-Zellen des Patienten erkannt werden können.“ Methoden des maschinellen Lernens haben dazu beigetragen, diesen zweistufigen Prozess zu automatisieren. Gleichwohl gibt es immer noch große Lücken in den Möglichkeiten des maschinellen Lernens, die verhindern, dass schnell wirksame Impfstoffe entwickelt werden können. AVIB kann dazu beitragen, diese Lücke zu schließen, so dass sich für Biotechnologen die Zeit für die Entwicklung einer personalisierten Krebsimmuntherapie deutlich verkürzt”, so Moesch weiter.

Mangel verfügbarer Trainingsdaten und hohe Komplexität

Die jüngsten Fortschritte in der Immuntherapie sind zum Teil auf Methoden des maschinellen Lernens zurückzuführen, die die Präsentation von Neoantigenen auf der Oberfläche von Krebszellen vorhersagen können. Der Fortschritt hat sich jedoch verlangsamt, da die Modelle des maschinellen Lernens nicht in der Lage sind, zuverlässig vorherzusagen, welche T-Zell-Rezeptoren Neoantigene erkennen würden. Das liegt an der begrenzten Menge öffentlich verfügbarer Trainingsdaten für Modelle und an der hohen Komplexität der zu analysierenden Moleküle.

AVIB ist ein erster Schritt in Richtung der Vorhersage der Wahrscheinlichkeit, dass T-Zell-Rezeptoren Neoantigene auf der Oberfläche von Krebszellen erkennen werden. Für die Krebsimmuntherapie ermöglicht dies den Biotechnologen eine bessere Einstufung der wirksamsten Impfstoffelemente, indem sie die Präsentation von Neoantigenen auf den Krebszellen eines Patienten und deren Bindung an T-Zellen berücksichtigen können.

Weg für eine T-Zell-Therapie 

Die Fähigkeit von AVIB, vorherzusagen, ob T-Zellen Neoantigene erkennen werden, öffnet auch die Tür für eine potenzielle T-Zell-Therapie – ein wichtiger Fortschritt in der Immuntherapie. Mit diesem Ansatz können T-Zellen direkt mit T-Zell-Rezeptoren ausgestattet werden, um an Neoantigene auf den Krebszellen eines Patienten zu binden und deren Zerstörung auszulösen.