Digitales Pflege-Ökosystem ohne Kamera und Mikrofon 

Buildtelligent-CTO Dr. Fabian Degenhart
Buildtelligent-CTO Dr. Fabian Degenhart: „Digitale Zukunft mit mehr Menschlichkeit und Fürsorge im Pflegebereich“. (Foto: Buildtelligent)

Das Unternehmen Buildtelligent GmbH setzt mit seiner „RafiCare“-Lösung auf smarte Pflege ohne aufdringliche Überwachung. Im Interview mit mednic erklärt CTO Dr. Fabian Degenhart, wie sich die Technologie des Wiener Start-ups unterscheidet. 

Auch weraus Altersgründen oder aufgrund körperlicher Einschränkungen auf fremde Hilfe angewiesen ist, möchte dennoch meist nicht ständig überwacht werden. Viele digitale Lösungen in der Pflege funktionieren aber genauso: Die Bewohner müssen ständig ein Armband tragen. Anders bei RafiCare: Die Technik bleibt dezent im Hintergrund. Sie kommt ohne Zugtaster oder Notfallarmband aus. Stattdessen werden Notsituationen automatisch erkannt und das Pflegepersonal unmittelbar benachrichtigt.

mednic: Herr Dr. Degenhart, dass auch in der Pflege durch Digitalisierungsschritte effizientere Abläufe möglich sind, ist unstrittig. Welche Lösungen bietet Buildtelligent den Betreibern konkret an?

Dr. Fabian Degenhart: Als Technologieanbieter sind wir fest entschlossen, unseren Beitrag zur Bewältigung der enormen Herausforderungen zu leisten, vor denen die Pflegebranche heute und in der Zukunft steht. Wir sind überzeugt, dass jeder Mensch das Recht darauf hat, seinen letzten Lebensabschnitt in Würde und Geborgenheit zu verbringen. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die in stationären Einrichtungen und im Betreuten Wohnen Ihre Selbstständigkeit ein Stück weit aufgeben mussten. Mit RafiCare haben wir ein digitales Ökosystem entwickelt, das nicht nur Pflegekräfte entlastet, sondern auch die Sicherheit und das Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner erhöht. Durch intelligente Sensorik hat das Pflegepersonal die Möglichkeit in jedem Pflegezimmer gleichzeitig zu sein – ganz ohne Kamera oder Mikrofon. Mit gezielten Meldungen und automatischer Dokumentation schafft das System die dringend benötigten Freiräume für das Pflegepersonal, um über soziale Interaktionen Bindungen zu den Bewohnerinnen und Bewohnern aufzubauen. Wir sehen das System außerdem als zentrale Plattform, die als Bindeglied zwischen den Pflegebedürftigen und einer Pflegekraft steht und eine digitale Zukunft mit mehr Menschlichkeit und Fürsorge im Pflegebereich ermöglicht. RafiCare bietet Schnittstellen zur Pflegeinfrastruktur, einschließlich Pflegedokumentation, Lichtruf und Alarmserver oder Telefonanlage. Gleichzeitig sind wir offen für die Integration weiterer Lösungsanbieter, beispielsweise Sensorik oder Analyse-Tools, um einen einheitlichen Datenstrom zu gewährleisten und die Meldungen in gewohnter Weise an das Pflegepersonal zu übermitteln.

Alle Meldungen werden automatisch generiert und erfordern kein aktives Eingreifen der pflegebedürftigen Person.

Dr. Fabian Degenhart

mednic: Wie unterscheiden sich diese Lösungen von anderen Angeboten?

Degenhart: RafiCare zeichnet sich durch eine Vielzahl einzigartiger Merkmale aus. Dies beginnt bereits bei unseren grundlegenden Auswahlkriterien für die eingesetzte Sensorik: Unsere Sensoren erfassen Daten kontaktlos, ohne auf Kameras oder Mikrofone zurückzugreifen. Dadurch können wir Datenschutzbedenken von vornherein ausschließen. Obwohl wir Daten sammeln, sind unsere Sensoren praktisch ‘taub und blind’. Darüber hinaus zeichnet sich unser Ökosystem durch eine breite Palette von Einzelsensoren mit unterschiedlichen Funktionen aus. Diese Vielseitigkeit ermöglicht es uns, die Lösung genau auf die individuellen Anforderungen der Pflegebedürftigen anzupassen. Ganz gleich, ob es um die Überwachung von Vitalparametern oder andere spezifische Bedürfnisse geht, unser System kann flexibel erweitert werden, ohne dass eine aufwendige Verkabelung erforderlich ist. Dies bedeutet auch, dass RafiCare in jedem Gebäude eingesetzt werden kann. Ein weiteres entscheidendes Merkmal sind unsere nahtlosen Schnittstellen zur bestehenden Pflegeinfrastruktur. Das Pflegepersonal benötigt keine intensive Schulung und arbeitet weiterhin auf die vertraute Art und Weise, da Meldungen über die bereits bekannten Systeme wie Lichtruf oder Telefon angezeigt werden. Zusätzlich bietet RafiCare durch die kontaktlosen Technologien ein hohes Maß an Sicherheit für die Bewohnerinnen und Bewohner. Alle Meldungen werden automatisch generiert und erfordern kein aktives Eingreifen der pflegebedürftigen Person. Zum Beispiel wird ein Sturz im Zimmer automatisch erkannt und sofort gemeldet, unabhängig davon, ob ein Notfallarmband getragen wird oder nicht.

mednic: Konnten Sie bereits Pflegeheime oder andere Einrichtungen ausstatten?

Degenhart: Ja, wir haben sowohl im stationären Pflegebereich wie auch im Betreuten Wohnen Einrichtungen ausstatten können. Dies umfasst sowohl private Pflegeeinrichtungen wie auch Einrichtungen größerer Betreiber. Aktuell sind wir primär in Deutschland und Österreich aktiv.

mednic: Gibt es auch Möglichkeiten, die Lösungen im klinischen Bereich einzusetzen?

Degenhart: Die Anforderungen im klinischen Bereich und in Pflegeeinrichtung zur Versorgung unserer Seniorinnen und Senioren haben eine sehr große Schnittmenge. Die ganzheitliche Vernetzung und Funktionen der Sensoren decken den Bedarf aus dem klinischen Bereich, insbesondere in akut- und intensivmedizinischen Abteilungen. Einer unserer Sensoren misst kontaktlos die Atem- und Herzfrequenz der im Bett liegenden Person. Momentan gilt RafiCare als reines Assistenzsystem und ist nicht als Medizinprodukt zertifiziert.

mednic: Wir haben uns kürzlich auf einer Veranstaltung des Systemhauses SEC-COM im Ruhrgebiet kennengelernt. Suchen Sie Partner, um ihre Lösungen noch breitflächiger anbieten zu können?

Degenhart: Als innovatives, stark wachsendes Unternehmen sind wir ständig auf der Suche nach Branchenpartnern, die sich mit den Anforderungen im Pflegebereich auskennen und unsere Vision teilen. So können wir unseren Kunden den bestmöglichen Service liefern.

mednic: Sind auch private Nutzer im Rahmen der ambulanten Pflege eine interessante Zielgruppe?

Degenhart: Der Bedarf an Unterstützungsmöglichkeiten für die ambulante Pflege sowie die Pflege von Angehörigen im privaten Bereich wird in den kommenden Jahren sehr stark zunehmen. Unser System eignet sich hervorragend für den Privatgebrauch, da Meldungen nicht nur an die Pflegeinfrastruktur, sondern auch per Pushnachricht oder SMS direkt auf das Telefon eines Angehörigen gesendet werden kann. Dementsprechend ist auch dies eine interessante Zielgruppe, die wir zukünftig bedienen werden.

mednic: Eine Frage zu ihrem Firmensitz: Sie kommen zwar aus Stuttgart, ihr heutiger Firmensitz befindet sich aber in Wien. Was war ausschlaggebend für diese Standort-Entscheidung?

Degenhart: Zwei unserer drei Gründer stammen aus Wien, was eine starke Bindung an die Stadt schafft. Des Weiteren wird in Wien die Kernkomponente unserer Software zur Datenverarbeitung entwickelt, was den Standort besonders relevant macht. Wir haben auch unsere ersten Pilotprojekte in Österreich durchgeführt und von hier aus unsere ersten Erfahrungen gesammelt. Jedoch hat sich in der Zwischenzeit der deutsche Markt als besonders vielversprechend erwiesen. Wir haben zahlreiche Pilotprojekte und Installationen von RafiCare in Deutschland durchgeführt, und unsere Präsenz auf dem deutschen Markt hat stark zugenommen. Infolgedessen haben wir eine weitere Niederlassung in Deutschland eröffnet und unser Team arbeitet zunehmend verteilt in verschiedenen Städten, wobei Homeoffice eine wichtige Rolle spielt. Dies ermöglicht uns eine flexiblere und effektivere Zusammenarbeit mit unseren Kunden und Partnern in beiden Ländern.