Digitale Gesundheitsangebote immer wichtiger

Telemedizinische Beratung
Telemedizinische Beratung: Vor allem die 50- bis 64-Jährigen haben die Videosprechstunde für sich entdeckt (Foto: andreypopov/123rf.com)

Ergebnis einer Umfrage des Bitkom: Fast acht von zehn Bundesbürgern (78 Prozent) ist durch die Corona-Pandemie in den vergangenen 18 Monaten die Bedeutung der Digitalisierung des Gesundheitswesens klar geworden.

Zugleich sagen drei Viertel (75 Prozent), mit digitalen Technologien ließen sich solche Krisen besser bewältigen – das ist eine Steigerung um mehr als 20 Prozentpunkte verglichen mit 2020, als 53 Prozent dieser Aussage zustimmten. 

Wasser auf die Mühlen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: 71 Prozent der Befragten wünschen sich mehr Tempo beim Ausbau digitaler Angebote in der Medizin – (2020: 65 Prozent). Und 70 Prozent sind der Meinung, Deutschland hänge bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems hinter anderen Ländern zurück – 60 Prozent waren es vor einem Jahr. 

Digitalisierung besser nutzen

„Die Probleme der Gesundheitsämter beim Durchbrechen von Infektionsketten, die verbreiteten Schwierigkeiten bei der Organisation von Impfterminen oder das Hickhack um die Corona-Warn-App haben bei vielen Menschen zu Ernüchterung und Frustration geführt. Der Kampf gegen Corona geht weiter, und Deutschland muss die Potenziale der Digitalisierung viel besser nutzen“, resümiert Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. Zwar sei laut Rohleder zuletzt Schwung in die Sache gekommen, allerdings stünden angesichts der sich anbahnenden vierten Infektionswelle erneut die bekannten Probleme auf dem Plan. So sei etwa der Datenaustausch der Gesundheitsämter auch im zweiten Jahr der Pandemie noch immer nicht gesichert. 87 Prozent der Deutschen bemängeln in diesem Zusammenhang die Nachverfolgung von Infektionsketten durch die Gesundheitsämter als zu langsam. 

Das sind zentrale Ergebnisse zweier repräsentativer Befragungen, die der IT-Branchenverband Bitkom beauftragt hat. Eine erste Befragung zu Themen der digitalen Gesundheitsversorgung wurde im Mai 2021 unter 1.157 Personen in Deutschland ab 16 Jahren durchgeführt, eine zweite speziell zum digitalen Impfnachweis Anfang Juli 2021 unter 1.005 Personen in Deutschland ab 16 Jahren. 

Gefragter Impfnachweis

Ein großes Interesse besteht bei den Bundesbürgern am digitalen Impfnachweis. 42 Prozent der Nutzer eines Smartphones haben ihn bereits auf dem eigenen Smartphone gespeichert – und zwei Prozent auf dem Smartphone einer anderen Person. Weitere 41 Prozent wollen sich den digitalen Impfnachweis künftig besorgen – 26 Prozent „in jedem Fall“ und 15 Prozent „wahrscheinlich“. Lediglich 12 Prozent geben an, kein Interesse am digitalen Impfnachweis zu haben, obwohl sie ein Smartphone haben.

„Mit der Einführung des digitalen Impfnachweises rechtzeitig vor den Sommerferien hat die Bundesregierung doch noch einen digitalen Sprint hingelegt. Er hilft Reisenden, Restaurantbesuchern oder auch Berufstätigen, wieder in den Alltag zurückzukehren. Er ist ein Paradebeispiel dafür, wie digitale Tools die Menschen in der Pandemie ganz praktisch unterstützen können“, betont Rohleder. Die meisten Nutzer des digitalen Impfnachweises haben ihn in der Apotheke ausstellen lassen (31 Prozent), 26 Prozent im Impfzentrum und rund ein Fünftel (22 Prozent) in der Arztpraxis. Einige wenige bekamen ihn auch per Brief (8 Prozent) oder per E-Mail (6 Prozent) zugesandt. 

Drei Viertel (76 Prozent) setzen den digitalen Impfnachweis jetzt oder künftig für Freizeitaktivitäten ein – und 61 Prozent für Urlaub und Reisen. Die Hälfte derer, die den digitalen Impfnachweis nutzen oder künftig nutzen wollen, wollen damit Restaurants besuchen (53 Prozent), und je etwas mehr als ein Drittel zu Großevents (37 Prozent) bzw. in Clubs oder Bars (35 Prozent) gehen. 

Reges Interesse am E-Rezept

Neben dem digitalen Impfnachweis ist am 1. Juli 2021 auch das E-Rezept offiziell an den Start gegangen – allerdings vorerst nur in einem Pilotprojekt. Die zugehörige App ist ebenfalls seit kurzem für Apple- und Android-Geräte verfügbar. Das E-Rezept wird per QR-Code in einer Apotheke eingelöst, ab Januar 2022 haben alle Versicherten einen rechtlichen Anspruch darauf. Das Interesse ist groß: 59 Prozent der Deutschen wollen das E-Rezept nutzen, aber 39 Prozent wollen dies nicht. Verbandschef Rohleder reicht die derzeitige Funktionalität des digitalen Rezepts noch nicht aus: „Die aktuell verfügbare E-Rezept-App der Gematik bietet die von den Menschen gewünschten Funktionen nicht. Es sollten Schnittstellen verfügbar gemacht werden, damit Drittanbieter E-Rezept-Apps mit zusätzlichen Funktionen auf den Markt bringen können.“ 

Zwei Drittel wollen ePA nutzen 

Seit dem 1. Januar 2021 bieten die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten die elektronische Patientenakte (ePa) an. Die Kluft zwischen signalisiertem Interesse und tatsächlicher Nutzung ist bislang noch riesig: Zwei Drittel (66 Prozent) wollen sie künftig gern nutzen, aktuell haben sie allerdings erst 0,2 Prozent der Befragten in Gebrauch (Stand: Mai 2021). Ein Fünftel (21 Prozent) hat an der ePA kein Interesse – und ein Zehntel (10 Prozent) gibt an, sich bislang noch nicht mit der ePa befasst zu haben. Wer an der ePa interessiert ist, sieht als Vorteil vor allem, dass andere Ärzte Diagnosen, Befunde oder Arztbriefe einsehen können (74 Prozent). 71 Prozent wollen per ePa selbst alle Infos über die eigene Krankengeschichte im Blick haben und 64 Prozent finden vorteilhaft, dass Doppeluntersuchungen durch die digitale Dokumentation in der ePa vermieden werden. 

Diejenigen, die die ePa nicht nutzen wollen, haben vor allem Bedenken, dass ihre Daten nicht sicher sind (56 Prozent). Etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) sorgt sich um Eingabefehler und einem Drittel (31 Prozent) erscheint die Beantragung zu aufwendig. 

Videosprechstunde bei Älteren beliebt

Auch die Verbreitung der Videosprechstunde ist in den vergangenen 12 Monaten fortgeschritten – nach dem Ergebnis der Bitkom-Befragung allerdings eher gemächlich. 14 Prozent der Menschen in Deutschland ab 16 Jahren haben demnach eine Videosprechstunde schon einmal genutzt – 13 Prozent waren es im Sommer 2020, jedoch lediglich fünf Prozent im Jahr 2019. Vor allem die 50- bis 64-Jährigen haben die Videosprechstunde für sich entdeckt: Mehr als ein Fünftel aus dieser Gruppe (22 Prozent) hat schon einmal einen digitalen Arztbesuch absolviert. 18 Prozent sind es bei den 16- bis 29-Jährigen und 15 Prozent bei den 30- bis 49-Jährigen. Von den Seniorinnen und Senioren ab 65 Jahren haben allerdings lediglich drei Prozent schon einmal das Angebot genutzt.

Der Bitkom-Hauptgeschäftsführer kritisiert die Deckelung bei der Telemedizin: „Es ist unverständlich, dass Videosprechstunden weiterhin nur halbherzig geöffnet werden. So sollen Ärztinnen und Ärzte künftig lediglich 30 Prozent ihrer Sprechstunden als Online-Sprechstunden abrechnen dürfen – weitere telemedizinische Beratungen müssen sie auf eigene Kosten durchführen und werden von den Kassen nicht honoriert. Diese Deckelung passt nicht in eine Zeit, in der sich Menschen durch Kontaktbeschränkungen vor Ansteckungen schützen müssen und die medizinische Infrastruktur in ländlichen Regionen immer schwächer wird. Nötig ist eine vollumfassende Gleichstellung von Videosprechstunden mit dem Arztbesuch vor Ort, wie dies zum Beispiel in Frankreich bereits der Fall ist.“

Apps auf Rezept etablieren sich langsam

Seit Herbst 2020 sind so genannte digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) verfügbar, also zertifizierte Gesundheitsapps, die sich die Versicherten auf Rezept verschreiben lassen können. In der Bitkom-Studie geben 51 Prozent der Befragten an, sie könnten sich künftig vorstellen, eine solche App zu nutzen, die etwa bei Tinnitus oder Schlafstörungen, Migräne oder Adipositas hilft. Für 45 Prozent sind Gesundheits-Apps auf Rezept nach eigenem Empfinden nicht geeignet. Allerdings hat nur eine sehr geringe Anzahl von Menschen eine solche App schon einmal genutzt.

Mit Blick auf die Bundestagswahl und den anstehenden Regierungswechsel erhofft sich der Branchenverband Bitkom, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter mit hohem Tempo vorangetrieben wird.