Computermodell errechnet Zellverhalten

Ein jetzt vorgestelltes Computermodell könnte einen völlig neuen Ansatz für die Erforschung von Krankheiten und deren Behandlung auf zellulärer Ebene bieten. Entwickelt wurde es von den Wissenschaftler Mohammad Lotfollahi, Alex Wolf und Fabian Theis vom Institute of Computational Biology am Helmholtz Zentrum in München.

Das auf künstlicher Intelligenz basierende Computermodell „scGen“ soll das Verhalten einer Zelle vorhersagen. Mit scGen können den Forschern zufolge zelluläre Reaktionen auf Erkrankungen und ihre Behandlung abgebildet und untersucht werden, ohne dazu experimentelle Daten zugrunde legen zu müssen.

Informationen nutzbar machen

Schon bald werden umfangreiche biochemische und genetische Informationen über die Vielfalt menschlicher Zellen verfügbar sein, insbesondere im Rahmen des internationalen Human Cell Atlas-Projekts. Die Funktion von Zellen, Geweben und Organen im gesunden Zustand soll dadurch besser verstanden werden können. Zudem sollen die Informationen als Referenz für Diagnose, Überwachung und Therapie von Krankheiten genutzt werden. Für die traditionelle Life Science Forschung im Labor ist die flächendeckende Auswertung dieser Informationen aufgrund der vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten jedoch zu arbeits- und kostenintensiv. 

Aus diesem Grund ist es ein wichtiges Ziel der Computerbiologie, Reaktionen von Zellen auf Störeinflüsse wie Krankheiten und Stoffe genau modellieren zu können. Bisherige Modelle haben statistische und mechanistische Ansätze als Grundlage. Eine auf maschinellem Lernen basierende Lösung für unbeobachtete, hochdimensionale Phänomene gab es bislang nicht. Diese Lücke könnte scGen schließen.

Vorhersage für Patienten

Zudem ist scGen das erste Tool, das zelluläre Reaktionen „out-of-sample“ vorhersagt. Wenn das Computermodell mit Daten trainiert wird, die den Effekt von Störungen für ein bestimmtes System erfassen, soll es zuverlässige Vorhersagen für ein anderes System treffen können. „Zum ersten Mal haben wir die Möglichkeit, Daten aus einem Modellsystem wie der Maus zu verwenden, um Krankheitsprozess und therapeutische Wirksamkeit bei menschlichen Patienten vorherzusagen“, sagt Mohammad Lotfollahi, Doktorand am Helmholtz Zentrum München und der Technischen Universität München.

Als generatives Deep-Learning-Modell scGen setzt Ideen aus der Bild-, Sequenz- und Sprachverarbeitung ein und wendet sie erstmals an, um das Verhalten einer Zelle in silico zu modellieren. Ihre bisherigen Ergebnisse haben die Forscher jetzt in der Fachzeitschrift Nature Methods veröffentlicht. 

Vorhersagekraft erhöhen

Im nächsten Schritt arbeiten die Wissenschaftler daran, die die Vorhersagekraft des Computermodells zu erhöhen und auch Kombinationen von Störungen zu untersuchen. Alex Wolf und Fabian Theis, Direktor des Instituts für Computational Biology und Inhaber des Lehrstuhls für Mathematische Modellierung biologischer Systeme der Technischen Universität München: „Wir können jetzt damit beginnen, scGen zu optimieren, um immer komplexere Fragen zu Krankheiten zu beantworten.“