Arzt kritisiert Corona-Apps

Dr. med. Stefan Streit
Dr. med. Stefan Streit ist Hausarzt in Köln. (Foto: S. Streit)

Der Kölner Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. med. Stefan Streit äußert sich in der aktuellen Diskussion um Corona-Apps kritisch. Die Annahme, ein Mensch sei gesund, werde durch die Pflicht ersetzt, Gesundheit zu beweisen.

Können so genannte „Corona-Apps“ dazu beitragen, das Leben der Bürger in der Corona-Pandemie sicherer zu machen? Der Hausarzt Dr. med. Stefan Streit hält es in diesem Zusammenhang für nachrangig, ob Corona-Apps Daten zentral oder dezentral speichern oder ob der Speicherort sicher oder unsicher ist. Der Kölner Mediziner warnt vor möglichen sozialen Folgen und nicht zuletzt vor negativen Auswirkungen insbesondere für seinen eigenen Berufsstand.

„Freiwillige Datenspenden und App-Nutzungen entfalten in einer zweiten Phase sozialen Druck. Sehr schnell kann die freiwillige Nutzung einer App zur verpflichtenden Voraussetzung für soziale Teilhabe werden. Die Annahme ein Mensch sei gesund, wird durch die Pflicht ersetzt, Gesundheit zu beweisen, damit soziale Teilhabe gewährt wird.“

Quasi-Berufsverbot für Ärzte?

Streit warnt seine Kollegen nachdrücklich: „In diesem Kontext ist zu erwarten, dass Ärzte ohne eine solche App gar nicht mehr praktizieren dürfen, weil Versicherungen (wie etwa Haftpflicht-, Lebens- und Krankenversicherungen) das Tragen eines Fitness-Armbandes oder die Aktivierung einer Kontakt-App auf dem Smartphone von Ärzten fordern. Ob der Zugang zum Arbeitsplatz, ins Flugzeug, zum Bürgeramt, zur Schule, zum Theater erlaubt wäre, hängt dann ab vom App-Status. Als nächste Stufe wären PCR-Nachweise auf Virusfreiheit oder der Immunität über Antikörpertests denkbar.

“Die Menschen werden stetig und immer wieder beweisen müssen, dass sie gesund sind. Das ist noch viel schwieriger, als den Beweis für die Fahrtauglichkeit oder die Geschäftsfähigkeit anzutreten, wenn erst mal Zweifel daran laut geworden sind.”

Dr. med. Stefan Streit

Weiter eskalieren könnte man mit einer verpflichtenden Kontrolle, ob nach einer vorgenommenen Impfung tatsächliche Immunität besteht und ob sie nach einer gewissen Zeit immer noch besteht.“ Streit betont, dass es sich bei seinen Ausführungen nicht etwa um eine abwegige Verschwörungstheorie handelt. So verweist er auf einen Artikel im Kölner Stadtanzeiger vom 17. April 2020, in dem es heißt: „Dazu wird an einem digitalen Gesundheitszertifikat gearbeitet, das den Träger ausweist als einen gerade vor wenigen Stunden oder Tagen negativ getesteten Menschen. Oder auch als bereits infiziert und gesundet oder vielleicht später als geimpft.”

Missbrauch durch verschiedene Mobiltelefon-Identitäten

Streit weißt auch auf einen weiteren Problempunkt hin: Nicht unwahrscheinlich sei es, dass Mobiltelefonbesitzer mehrere Geräte nutzen, um so sozialem Druck durch Corona-Apps auszuweichen. Streit: „Es liegt nahe, verschiedene Infektionsidentitäten vorzuhalten, um dem sozialen Druck der App-Nutzung zu entsprechen, aber gleichzeitig die soziale Teilhabe nicht durch ständige Alarme in Frage zu stellen. Bitte machen Sie sich klar, ein Alarm beendet jede Planung und erfordert zwei negative Tests und eine Isolierung, bis das PCR-Ergebnis vorliegt. Nur die, die es sich leisten können, verfügen über drei oder vier Telefon-Geräte, die sie wechselweise mit sich führen und über genug Geld für entlastende Tests (100 Euro je Test!), wenn es mit der Verschleierung mal nicht geklappt hat. Alle anderen, also alle, die weniger Geld haben, sitzen 14 Tage in der Quarantäne ab.“

Definition von Gesundheit wird verändert

Der Hausarzt warnt auch vor den Konsequenzen, welche die angekündigten Apps für den Gesundheitsbegriff haben können. „Gesund ist heute, wer nicht darüber nachdenken muss. Gesundheit ist bis heute untrennbar mit Unbestimmtheit verbunden. Nur in Unbestimmtheit gründet auch unsere Vorstellung von Freiheitlichkeit! Digitalisierung kennt konzeptionell keine Unbestimmtheit! Deshalb verändern digitalisierte und vernetzte Gesundheitsdaten in Tracing-Apps die Definition von Gesundheit. Datenschutzkonzepte ändern daran nichts. Deshalb ist es am Ende egal, wo und ob Daten gespeichert werden. Die Menschen werden stetig und immer wieder beweisen müssen, dass sie gesund sind. Das ist noch viel schwieriger, als den Beweis für die Fahrtauglichkeit oder die Geschäftsfähigkeit anzutreten, wenn erst mal Zweifel daran laut geworden sind.“

Die technologische Digitalisierung führe zum Verlust des Geheimnisses der Unbestimmtheit, der Anonymität und der Privatheit, ohne dass die soziale Digital-Transformation schon einen Ersatz für diese Konzepte hervorgebracht hätte, warnt Dr. Streit. „Die aus diesem gesellschaftlichen Vakuum erwachsende informationelle Schutzlosigkeit benachteiligt vor allem Menschen in materieller Armut und ohne Bildung und vergrößert weiter deren Risiko für Krankheit und vorzeitigen Tod. Wir Ärzte können die Gesundheit unserer Patienten nicht befördern, wenn wir neben dem Körper, nicht die Seele, das soziale Umfeld und die auf den Patienten einwirkenden Informationsimpulse berücksichtigen. Wenn möglich, wirken wir Ärzte darauf hin, gesundheitsschädliche Einflüsse von unseren Patienten fern zu halten. Das gilt für Magensäure, Angst, psychovegetative Überlastung, aber auch für Gesundheitsdaten, die den Lebens(ver-)lauf negativ verändern. Gesundheit ist untrennbar mit sozialer Teilhabe verbunden.“

Staat muss Nachteile ausgleichen

Freiwillige Datenspenden sind aus der Sicht des Kölner Arztes nur akzeptabel, wenn dem die staatliche Garantie entgegensteht, soziale Nachteile der Spender umfänglich auszugleichen. „An dieser Stelle ist es nicht fair, auf das Unvermögen derer zu spekulieren, die sich nicht vorstellen können, dass eine Datenspende mit einem ganz konkreten, persönlichen Risiko einher geht. Politik und Verwaltung müssen Gewinne aus der Ökonomisierung von digitalisierten Gesundheits-Daten einfordern und für die Kompensation der Quarantäne-/Krankheitsnachteile aller Menschen zu verwenden. Weder aus der freiwilligen Datenspende noch aus einer verpflichtenden Geldzahlung bei einem KI-Projekt, leitet sich für die Zukunft ein weitergehendes Nutzungs- oder Eigentumsrecht ab.“

Das Fazit von Stefan Streit: „Neben der technologischen Digitalisierung bedarf es einer Anpassung sozialer Übereinkünfte. Digitale Transformation erfordert Gerechtigkeit beim Zugang zur sozialen Teilhabe.“