Wird das Digitale Versorgungsgesetz ein Flop?

Die Digital Health-Beraterin Dr. Ursula Kramer warnt davor, dass es trotz des Digitalen Versorgungsgesetzes (DVG) Medizin-Apps weiterhin schwer haben werden, sich im Gesundheitsmarkt zu etablieren. Krankenkassen, ärztliche Fachgesellschaften und nicht zuletzt die Mediziner selbst sehen die digitalen Lösungen oftmals skeptisch.

In Rekordgeschwindigkeit ist das Digitale Versorgungsgesetz (DVG) auf den Weg gebracht worden. Durch den Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sollen etwa Apps auf Rezept in der Regelversorgung kommen und so von Patienten auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen genutzt werden können. „Trotzdem werden Medizin-Apps keine Selbstläufer, der Markt entwickelt sich nicht von allein“, betont Dr. Ursula Kramer vom Freiburger Beratungsunternehmen Sanawork, einem Mitglied im Beraternetzwerk Healthcare Shapers.

In ihrer Stellungnahme zur Verabschiedung des DVG im Kabinett beschreibt die Digital Health Expertin, warum fehlende Digitalkompetenz der Nutzer und die hohe Komplexität, die mit der Integration digitaler Innovationen in die verschiedenen Behandlungspfade verbunden ist, zu großen Stolpersteinen werden können. So konnten schon vor dem DVG Apps im Rahmen der besonderen Versorgung nach Paragraf 140a SGB V erstattet werden. „Doch von diesen Apps hat sich keine im Markt etablieren, das heißt ihre potentiellen Nutzerzielgruppen in relevantem Maße erreichen können“, gibt Kramer zu bedenken. Anders als Ernährung-, Entspannung und Bewegungs-Apps kommen Apps für das Selbstmanagement chronischer Erkrankungen nach dem Urteil der Expertin bisher kaum bei den Nutzern an.

Mangel an ärztlicher Unterstützung bremst

Auch der Blick in andere Märkte zeigt, wie schwer es sein kann, Innovationen ohne die aktive Empfehlung von Seiten der Ärzte zu etablieren. Die HPV-Impfung – eine wirksame Impfung gegen Viren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen können – führt nach mehr als zehn Jahren trotz Empfehlung der ständigen Impfkommission STIKO und trotz Erstattung durch die Gesetzlichen Krankenversicherungen ein Schattendasein. Nur etwa 30 Prozent der Anspruchsberechtigten jungen Frauen im Alter zwischen 12 und 17 werden erreicht.

Kramer verdeutlicht, welche Faktoren die digitalen Entwicklungen häufig bremsen: Im Gegensatz zu den Impfstoffherstellern – alles große Pharmaunternehmen – sind App-Anbieter und Health Startups, die mit digitalen Innovationen im Markt Fuß fassen wollen, in einer deutlich schlechteren Position. Sie verfügen beispielsweise über keinen Außendienst, der die Ärzte besucht. Startups sind außerdem kaum dazu in der Lage, Mediziner zu ärztlichen Fortbildungen ihrer erklärungsbedürftigen Produktinnovationen einzuladen. Kurzum: Sie unterschätzen die Komplexität, die mit der Markterschließung verbunden ist.

Gegenwind für digitale Anwendungen

Kommunikations- und Market Access Strategien, die die Strukturen und die Stakeholder im regulierten Gesundheitsmarkt nutzen, seien entscheidende Erfolgsfaktoren für Anbieter von digitalen Gesundheitsanwendungen. Doch diese müssen mit heftigem Gegenwind kämpfen: Die Kassen befürchten Mehrausgaben für digitale Angebote mit zweifelhaftem Nutzen für die Versorgung und die ärztlichen Fachgesellschaften fordern den wissenschaftlichen Nutzennachweis für Medizin-Apps, bevor sie erstattet werden. Ärzte beklagen zudem die mangelnde Einbindung von Therapeuten und Patienten. Sie fürchten einen hohen Erklärungsaufwand und wollen nur Anwendungen therapiebegleitend nutzen, die sie selbst empfohlen haben.

Versorgungsqualität könnte sich verbessern

„In diesem Marktumfeld, das alles andere als freundlich ist, kommen die Stärken unserer Experten zum Tragen“, ergänzt Günther Illert, Gründer des Healthcare Shapers-Netzwerks. Interdisziplinär und sektorenübergreifend zeigen sie Wege auf, um Versorgungspfade neu zu strukturieren und neue Rollen zu definieren, etwa im individualisierten Therapiemanagement.  „Die von Patienten mit Apps erhobenen Daten aus ihrem Lebensumfeld geben neue Einblicke in die Lebensqualität und die Patientenpräferenzen. Fließen sie in die Therapieplanung ein und werden von Leistungserbringern analysiert, könnten sich Therapieadhärenz und Versorgungsqualität vieler Menschen mit chronischen Erkrankungen deutlich verbessern,“ ist Dr. Kramer überzeugt.