Seltene Erbkrankheiten: Mit KI zur schnelleren Diagnose

Rund eine halbe Million Kinder weltweit wird pro Jahr mit einer seltenen Erbkrankheit geboren. Eine sichere Diagnose einer solchen Erkrankung ist kompliziert und dauert lange. Für Verbesserung sorgen könnte eine Diagnose mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI).

In einer jetzt veröffentlichten Studie zeigen Forscher der Universität Bonn und der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dass mithilfe Künstlicher Intelligenz die Diagnose seltener Erbkrankheiten effizienter und sicherer erfolgen kann. Ein neuronales Netzwerk kombiniert dazu automatisch Porträtfotos mit Gen- und Patientendaten. An der Studie waren 679 Patienten mit 105 verschiedenen seltenen Krankheiten beteiligt. Die Ergebnisse werden nun im Journal „Genetics in Medicine” vorgestellt.

Bis zur richtigen Diagnose vergeht bei vielen Patienten mit einer seltenen Erbkrankheit eine lange Zeit. „Dadurch geht wertvolle Zeit verloren, die eigentlich für eine frühzeitige Therapie gebraucht wird, um unter anderem fortschreitende Schädigungen abzuwenden“, sagt Prof. Dr. med. Dipl. Phys. Peter Krawitz vom Institut für Genomische Statistik und Bioinformatik des Universitätsklinikums Bonn (UKB). Zusammen mit einem internationalen Forscherteam zeigt er, wie sich mit Künstlicher Intelligenz bei der Gesichtserkennung vergleichsweise rasche und sichere Diagnosen erstellen lassen.

Besonderheiten erkennen

Die Forscher nutzten die Daten von 679 Patienten mit 105 verschiedenen Erkrankungen, die durch die Veränderung an einem einzigen Gen ausgelöst werden. Dazu zählt etwa die Mukopolysaccharidose (MPS), bei der es unter anderem zu Knochenverformungen, zur Minderung der geistigen Fähigkeiten und Kleinwuchs kommt. Auch das Mabry-Syndrom führt zu einer mentalen Entwicklungsverzögerung. Die Krankheiten haben eine Gemeinsamkeit: In den Gesichtszügen der Betroffenen zeigen sich Auffälligkeiten. Besonders charakteristisch ist dies beispielsweise beim Kabuki-Syndrom, das an die Schminke einer traditionellen japanischen Form des Theaters erinnert. Die Augenbrauen setzen hoch an, der Augenabstand ist weit und die Lidspalten sind lang.

Solche Besonderheiten im Erscheinungsbild kann smarte Software automatisch aus einem Foto herauslesen. Zusammen mit den klinischen Symptomen der Patienten und Erbgutdaten lässt sich mit hoher Treffsicherheit berechnen, um welche Erkrankung es sich handelt. Das digitale Gesundheits-Unternehmen FDNA hat das neuronale Netzwerk DeepGestalt entwickelt, das die Forscher als Werkzeug der Künstlichen Intelligenz für ihre Studie nutzen. „PEDIA ist ein einzigartiges Beispiel für die Technologien der nächsten Generation der Phänotypisierung“, sagte Dekel Gelbman, CEO der FDNA.  Er ist davon überzeugt: „Die Integration eines fortschrittlichen KI- und Gesichtsanalyse-Frameworks wie DeepGestalt in den Workflow der Variantenanalyse wird zu einem neuen Paradigma für überlegene Gentests führen.“

Training für das Programm

Die Wissenschaftler haben das Programm mit rund 30.000 Porträtbildern von Menschen „trainiert“, die von seltenen syndromalen Erkankungen betroffen sind. „In Kombination mit der Gesichtsanalyse lassen sich die entscheidenden genetischen Faktoren herausfiltern und Gene priorisieren“, so Krawitz. Die Zusammenführung der Daten im neuronalen Netzwerk reduziere die Zeit der Datenanalyse und führe zu einer höheren Diagnosequote.

„Die Patienten wünschen sich eine zeitnahe und korrekte Diagnosestellung. Künstliche Intelligenz unterstützt Ärzte und Wissenschaftler darin, den Weg zu verkürzen“, sagt Dr. Christine Mundlos, stellvertretende Geschäftsführerin der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e.V. Damit werde ein stückweit auch die Lebensqualität der Betroffenen verbessert.

Bei der Konferenz der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik (ESHG) vom 15. bis 18. Juni in Göteborg (Schweden) wollen die Wissenschaftler die Studie gemeinsam mit FDNA vorstellen.