Nach Recherchen des NDR-Verbrauchermagazins „Markt“ können verschreibungspflichtige Medikamente – sogar Opiate – bei einigen Online-Anbietern ohne Arztbesuch bestellt werden. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin findet das „ethisch unhaltbar“.
Patienten nutzen zunehmend Fernbehandlungen. Neben klassischen Arztpraxen, die eine Videosprechstunde offerieren, setzen immer mehr Patienten auch auf reine Online-Arzt-Portale. Ein prosperierendes Geschäftsfeld dieser Portale sind einem Bericht des NDR-Verbrauchermagazins „Markt“ zufolge (Sendung vom Montag, 13. September, 20.15 Uhr im NDR-Fernsehen) Rezepte für verschreibungspflichtige Medikamente, die großzügig ausgestellt werden. Die Recherchen der NDR-Sendung ergaben, dass verschreibungspflichtige Medikamente wie Antibiotika, Potenzmittel und sogar Opiate sehr einfach und gänzlich ohne Arztbesuch bestellt werden können. Interessierte müssen nur einige Fragen online beantworten, AGBs klicken und schon liefert die Partnerapotheke das gewünschte rezeptpflichtige Medikament.
Angaben per Fragebogen reichen aus
In einer Stichprobe orderte „Markt“ bei sechs verschiedenen Online-Arzt-Portalen verschreibungspflichtige Medikamente, darunter auch abhängig machende Opiate. Bei allen Anbietern wurde nur schriftlich per Fragebogen das Problem und der Gesundheitszustand abgefragt – Videochat oder Telefonat waren nicht nötig. Trotz erfundener Angaben und Identität kamen die Medikamente alle nach wenigen Tagen an.
Bei allen Medikamenten handelte es sich um Präparate, die nach Einschätzung von Professor Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin, eine Beratungssituation oder eine Nachbetreuung benötigen. Die Verschreibung der Medikamente ohne Identitätsprüfung und ohne direkten Arztkontakt bezeichnet Scherer als „ethisch unhaltbar“. Vor allem bei der Verschreibung von Opiaten warnt er: „Wenn ich so leicht an das Medikament drankomme ohne klaren Identitätsnachweis, dann sind Dealern Tor und Tür geöffnet.“
Ärzte mit irischer und bulgarischer Zulassung
Verschrieben wurden die Medikamente von Ärzten mit irischer oder, im Fall des Opiates, bulgarischer Zulassung. Mediziner aus Deutschland waren nicht dabei. Die Fernbehandlung ausschließlich per Fragebogen ist für deutsche Ärztinnen und Ärzte nur der Ausnahmefall. Im europäischen Ausland ist die Rechtslage anders. Da gilt das Berufsrecht des Mitgliedstaates, in dem der Arzt oder die Ärztin seinen/ihren Sitz hat. Das Fazit des NDR-Berichts: Dieses Schlupfloch nutzen die Unternehmen aus.
Auf Anfrage betonte einer der Anbieter, es hätte noch keinen einzigen „Anspruch (…) mit dem Inhalt eines Behandlungsfehlervorwurfes“ gegeben. Zudem würde das deutsche Gesetz „keinen Ausschluss für eine fragebogengestützte Anamnese“ kennen.