App hilft Geflüchteten

Die App gibt es in deutscher und arabischer Sprache. (Screenshot: Universität Leipzig)

Eine App zur Unterstützung im Umgang mit posttraumatischem Stress und verwandten psychischen Belastungen haben Forschende der Universität Leipzig gemeinsam mit syrischen Geflüchteten und einer Agentur für E-Mental-Health-Angebote entwickelt.

Die App „Sanadak“ wurde bereits wissenschaftlich überprüft. Ab sofort steht sie kostenlos in arabischer und deutscher Sprache zur Verfügung. „Damit bieten wir ein niedrigschwelliges Soforthilfe-Programm an, das Wissen und Orientierung bei psychischen Gesundheitsfolgen von Flucht liefert und auf interaktive Weise einfache, alltagsorientierte Schritte zur Bewältigung von posttraumatischem Stress vermittelt“, sagt Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller, Direktorin am Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) der Medizinischen Fakultät. 

Flucht vor Krieg und Konflikten wirkt sich häufig auf die psychische Gesundheit aus. Gleichzeitig sind kultur- und sprachsensitive Behandlungsmöglichkeiten in Aufnahmeländern oft knapp und mit langen Wartezeiten verbunden. „Außerdem werden therapeutische Angebote aus Angst und aufgrund von Vorurteilen gegenüber psychischen Erkrankungen häufig gar nicht erst aufgesucht“, sagt Dr. Susanne Röhr, Projektkoordinatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am ISAP. Mit der App wollen die Partner diese Versorgungslücke füllen. Außerdem wollen sie Stigmatisierungen gegenüber psychischen Erkrankungen abbauen und die Hürden für eine Therapieaufnahme senken. 

Baukasten-System

Um die tatsächlichen Bedürfnisse der NutzerInnen zu kennen, wurden die Inhalte der App in enger Abstimmung mit syrischen Geflüchteten entwickelt. Es gibt eine arabischsprachige und eine deutschsprachige Version. Die App ist nach dem Baukasten-System aufgebaut.  Zentrale Inhalte beschäftigen sich mit der Bewältigung von psychischen Belastungen oder dem Umgang mit Trauma-Auslösern auf Basis erprobter verhaltenstherapeutischer Techniken. Außerdem bietet das Programm Hilfe bei der Suche nach sozialer Unterstützung. Darüber hinaus zeigt die App auf, welche Aktivitäten beim Entspannen helfen. 

Die WissenschaftlerInnen überprüften die Wirksamkeit der App mit einer randomisierten Kontrollstudie an der Medizinischen Fakultät. Insgesamt nahmen 133 syrischen Geflüchteten im Alter zwischen 18 und 65 Jahren an der Studie teil. Sie kamen aus Leipzig, Dresden und Halle/Saale an der Studie. Die Hälfte der Teilnehmenden nutzte die App über einen Zeitraum von vier Wochen. Die andere Hälfte erhielt im Rahmen einer aktiven Kontrollbedingung eine umfangreiche psychoedukative Broschüre zu posttraumatischem Stress und Bewältigungsstrategien. 

Weniger depressive Symptome und Angst

Nach der Testphase und erneut nach vier Monaten wurden die Teilnehmenden befragt. Dabei zeigte sich ein starker Rückgang der posttraumatischen Belastung, von depressiven Symptomen und des Angsterlebens in beiden Gruppen. Die App-NutzerInnen empfanden ihre psychische Erkrankung zudem weniger als Stigmatisierung. Unerwünschten Nebenwirkungen traten nicht auf. „Aus unseren Studienergebnissen lässt sich schlussfolgern, dass Sanadak Vorurteile gegenüber psychischen Belastungen abbaut und als erste Hilfe sowie zur Überbrückung von Wartzeiten auf eine ambulante Therapie hilfreich sein kann“, so Dr. Röhr.

Hoher Bedarf

Seit Ausbruch des Krieges in Syrien im Jahr 2011 sind laut Vereinten Nationen über sechs Millionen Menschen aus dem Land geflüchtet. Damit war Syrien bis 2021 das weltweit größte Herkunftsland von Geflüchteten. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge suchten in Deutschland bisher fast 900.000 Syrer Asyl. Der Bedarf nach psychologischer Unterstützung ist hoch. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass rund drei Viertel der syrischen Geflüchteten in Deutschland vor, während oder nach der Flucht traumatische Ereignisse selbst erlebt haben oder mit ansehen mussten. In der Konsequenz leidet mehr als jeder Zehnte an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Depression oder an Angststörungen. 

Das Projekt erhielt eine Förderung vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Mit der Veröffentlichung der App betreut der Anbieter frühlingsproduktionen das Projekt ehrenamtlich weiter.