„Partnerschaften sind entscheidender Faktor für Marktzugang“

Shabnam Fahimi-Weber
Medizinerin und dubidoc-CEO Dr. med. Shabnam Fahimi-Weber: „Partnerschaften sind für diejenigen schlecht, die mit Barrieren und abgeschotteten Systemen Geld verdienen“ (Foto: dubidoc)

Der Weg hin zu einem funktionierenden Geschäftsmodell ist im Gesundheitswesen bekanntlich alles andere als trivial. Dabei geht es nicht nur um mögliche Zulassungen. Dr. med. Shabnam Fahimi-Weber kennt die Herausforderung, vor der Start-ups im Gesundheitsmarkt stehen.

Anbieter von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) sind ein leuchtendes Beispiel dafür, dass auch jenseits einer Zulassung im Gesundheitswesen große Hürden zu erwarten sind. Die Möglichkeit, ein Produkt zu vermarkten, bedeutet noch lange nicht, dass dies in der Praxis wirklich genutzt wird.

Als CEO von dubidoc bietet Dr. med. Shabnam Fahimi-Weber selbst eine Software für Arztpraxen an. Gleichzeitig kennt sie als praktizierende Ärztin auch die andere Seite der Medaille. Wir haben Sie daher nach ihren Einblicken gefragt. Im mednic-Interview skizziert Dr. med. Fahimi-Weber Schwierigkeiten, die beim Marktzugang im Gesundheitswesen existieren und welche Lösungsansätze vor allem für digitale Anbieter denkbar sind.

mednic: Frau Fahimi-Weber, warum brauchen Innovationen im Gesundheitswesen so lange, bis sie sich durchsetzen?

Fahimi-Weber: Meinem Eindruck nach sind weite Teile der Ärzteschaft durchaus offen für Innovationen. Aber: Praxisteams spüren sehr genau, ob eine neue Lösung Probleme wirklich löst oder zum Beispiel nur Probleme digitalisiert. Oft braucht es eben Jahre, bis eine neue Anwendung wirklich optimal auf den Alltag im Gesundheitswesen abgestimmt ist.

Eine Rolle spielt auch das Selbstverständnis unter ärztlichen Kolleginnen und Kollegen. Fortbildung spielt eine wichtige Rolle für das Berufsbild, aber nicht alle Praxisinhaber begreifen sich auch als Unternehmer. Das Weiterentwickeln von Abläufen jenseits medizinischer Empfehlungen begreifen also viele gar nicht als Teil ihrer täglichen Arbeit. Dementsprechend bleiben die Abläufe leider oft so, wie sie immer schon waren.

mednic: Bringen neue Lösungen nicht auch neue Komplexität in den medizinischen Arbeitsalltag?

Fahimi-Weber: In vielen Fällen stimmt das leider. Anbieter von medizinischer Software konzentrieren sich zu oft auf neue Features und vernachlässigen dabei die Verbesserung der Usability. Dadurch wird Software unhandlich und behäbig. Usability muss daher eine Priorität haben. Praxisteams haben meistens weder Zeit noch Lust, neue komplexe Abläufe einzustudieren.

Komplexität entsteht auch dann, wenn verschiedene Anwendungen nicht gut miteinander kommunizieren. Wir setzen deshalb auf Standardschnittstellen und suchen gezielt nach Möglichkeiten, um unsere innovativen Module in bestehende Software zu integrieren. Aus Praxisperspektive kann ich sagen: Abgeschottete Anwendungen, die nicht interoperabel sind, sind ein konstantes Ärgernis. Zusätzliche Insellösungen kann keine Praxis gebrauchen.

mednic: Wenn mangelnde Interoperabilität in der Praxis so ärgerlich ist, warum wird dann in der Gesundheitsbranche noch so viel darüber gesprochen? Warum haben wir Interoperabilität noch nicht erreicht?

Fahimi-Weber: Gerade im Bereich der Praxissoftware ist die Interoperabilität der Systeme technisch wirklich machbar. Dafür gibt es Standardschnittstellen wie GDT. Wer diese Schnittstellen nicht einsetzt, will es auch nicht. Einige Anbieter versuchen leider immer noch, ihre Kunden um jeden Preis im eigenen Produktkosmos zu halten. Ich finde, das ist aus der Zeit gefallen – ein völlig falsches Konkurrenzdenken. Digitalisierung im Gesundheitswesen müssen wir gemeinschaftlich und partnerschaftlich angehen. Meine Beobachtung ist, dass immer mehr Anbieter das verstehen und sich für Partnerschaften öffnen. Ich bin mir sicher, Partnerschaften sind ein entscheidender Faktor für den Marktzugang im Gesundheitswesen.

mednic: Auf welche Art von Partnerschaft setzen Sie?

Fahimi-Weber: Im Wesentlichen suchen wir zwei Arten von Partnern für dubidoc. Zum einen arbeiten wir mit Vertriebspartnern, die dubidoc an Arztpraxen weiterempfehlen. Hier legen wir großen Wert darauf, dass unsere Partner über einen guten Draht in Arztpraxen verfügen und die Herausforderungen in den Praxen wirklich verstehen. Zum anderen kooperieren wir mit Integrationspartnern, die dubidoc als Ganzes oder in Teilen in ihre eigenen Angebote einbinden. Das funktioniert auch sehr gut, weil unsere Software von Anfang an modular aufgebaut ist. Und natürlich stellen wir unsere Module auch als White-Label-Lösung zur Verfügung.

mednic: Aus Start-up-Perspektive verhilft eine solche Zusammenarbeit zu Marktzugang. Warum lohnt sich eine Start-up-Kooperation auch für etablierte Partner?

Fahimi-Weber: Für etablierte Partner kann die Kooperation einen Innovationsvorteil bedeuten. Oft sind es ja Start-ups, die ganz neue Ansätze entwickeln. Diesen Aufwand sparen sich etablierte Partner, wenn Sie mit einem Start-up kooperieren. Gleichzeitig werten die Partner ihre eigenen Angebote auf. So wird es möglich, auch dann Innovationen anzubieten, wenn die eigenen Entwicklungskapazitäten dafür eigentlich gar nicht ausreichen. Davon profitieren dann auch Praxen, die etwa eine sehr spezialisierte Nischensoftware benötigen. Partnerschaften sind in jedem Fall ein wichtiger Hebel, um Innovationen wirklich in die Praxis zu bringen.

mednic: Sie sprechen viel über die Kraft enger Partnerschaften. Haben Sie ein konkretes Beispiel für den Effekt einer solchen Zusammenarbeit?

Fahimi-Weber: Anfang 2022 konnten wir zusammen mit Noventi und Zava in kürzester Zeit ein Impfangebot für Apotheken auf die Beine stellen. Hier hat jeder Partner seine Stärken eingebracht: Noventi etwa den Zugang zu Apotheken und wir unser neu entwickeltes Impfmodul. Wir waren damit einer der ersten Anbieter und konnten mehreren Hundert Apotheken schnell helfen. Alleine hätte das niemand von uns schaffen können.

mednic: Gibt es überhaupt so etwas wie schlechte Partnerschaften?

Fahimi-Weber: Das ist eine Frage der Perspektive. Grundsätzlich sind Partnerschaften für diejenigen schlecht, die mit Barrieren und abgeschotteten Systemen Geld verdienen. Gerade für unabhängige Anbieter bieten Kooperation große Chancen. Und das wiederum ist gut für das ganze Ökosystem im Gesundheitswesen.