Auch Radsportler sind im September 2016 bei den Paralympics in Rio de Janeiro mit dabei. Um Bestleistungen zu erzielen, benötigen sie optimal angepasste Prothesen. Bisher ist es jedoch schwierig, diese an den Bewegungsablauf beim Radfahren anzupassen. In einem neuen Bewegungslabor lassen sich die künstlichen Glieder mit Hilfe einer Testprothese jetzt schnell und präzise optimieren.
Radfahren mit einer Prothese ist eine besondere Herausforderung: Zwar gibt es professionelle Modelle, die für den Radsport ausgelegt sind, allerdings ist die Suche nach den optimalen künstlichen Gliedmaßen für Sportler schwierig. Da die Einschränkungen der Radler individuell verschieden sind, müssen sich die Athleten meist zahlreiche, teure Prothesen anfertigen lassen und dann ausprobieren, welche am besten passt.
Prothesen wissenschaftlich angepasst
Forscher des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart haben gemeinsam mit der Uniklinik Freiburg und der Radsport-Abteilung des Deutschen Behindertensportverbands DBS einen mobilen biomechanischen Messplatz aufgebaut und eine geeignete Testprothese entwickelt. „Die Testprothese ermöglicht es uns, die individuell optimale Anpassung zu finden“, erläutert Florian Blab, Wissenschaftler am IPA. „Somit heben wir die subjektive Wahrnehmung des Sportlers erstmals auf eine wissenschaftliche Ebene“. Bislang waren es Orthopädietechniker, mit deren handwerklicher Hilfe die individuellen Prothesen angepasst wurden.
Ziel der Forscher ist es, objektive Parameter zu etablieren, über die sie sowohl die Passform der Prothese als auch die Bewegungsabläufe des Sportlers überprüfen können. Über diese Parameter passen sie die Prothese präzise an die individuellen körperlichen Voraussetzungen, den aktuellen Trainingszustand und das Körpergewicht des Sportlers an.
Dafür sitzen die Sportler im Bewegungslabor auf einem feststehenden Fahrrad, einem Rad-Ergometer. Sie sind dabei mit Markern bestückt. Während sie in die Pedale treten, bestimmen acht bis zwölf Infrarotkameras die Position der Marker auf einen halben Millimeter genau. Sensoren in den Pedalen messen die Kräfte, die der Sportler auf die Pedale ausübt in allen drei Raumrichtungen. „Aus diesen Daten können wir auf die Gelenkkräfte schließen, ebenso auf die Leistung der Muskeln“, sagt Blab. Kommen beispielsweise 300 Watt am Ergometer an, überprüfen die Wissenschaftler, ob der Sportler auch mit einer Leistung von 300 Watt tritt oder ob er mehr Kraft aufbringen muss, da ein Teil der Leistung in der Prothese oder falschen Bewegungsabläufen verlorengeht.
Optimale Einstellung durch Testradeln
Um die Prothese perfekt einzustellen, übertragen die Forscher die erfassten Daten zunächst in eine Software. Das Programm simuliert die möglichen Einstellungen und ermittelt die besten drei oder vier davon. Diese testen die Wissenschaftler wiederum im realen Versuch mit dem Sportler. Mit der Testprothese können sie die Einstellungen schnell und einfach ändern, ohne die künstlichen Gliedmaße wechseln zu müssen. Solche Einstellungen sind zum Beispiel die Länge der Prothese oder auch der Vorderfußhebel, die Position, an der die Fußplatte an den Pedalen befestigt wird.
Die Forscher nutzen die Trainingslager vor den Paralympics, um die Eingangsdaten der Sportler zu erheben. Angestrebt ist eine langfristige Kooperation der beteiligten Forschungspartner mit der Para-Cycling-Nationalmannschaft auch über die Paralympics 2016 hinaus sowie eine Versorgungsoptimierung von Nachwuchsathleten.