Warum dringend benötigte Fachkräfte im Gesundheitswesen oft bereits vor dem Antritt einer neuen Arbeitsstelle wieder abspringen und wie Kliniken das verhindern können, erläutert Gastautor Veit Lemke in seinem Beitrag. Bei der Haufe Group ist Lemke für die Weiterentwicklung des Themenfeldes Mitarbeiter-Onboarding verantwortlich.
Gastbeitrag von Veit Lemke
Im Gesundheitswesen wird aktuell jede helfende Hand gebraucht. Neue Mitarbeiter wegen einer mangelhaften Einarbeitung bereits zu Beginn zu verlieren, ist somit ein No-Go. Und deswegen sollten auch Situationen wie folgende möglichst vermieden werden: Der erste Arbeitstag eines neuen Mitarbeiters rückt langsam näher und immer noch keine Nachricht von der neuen Arbeitsstelle – Nervosität und Unbehagen machen sich breit: „Wissen die überhaupt noch, dass ich schon bald komme?“ „Wann und wo soll ich eigentlich am ersten Tag erscheinen?“ Ein schlecht durchgeführtes Onboarding sät bereits vor dem Eintritt ins Krankenhaus erste Zweifel, im schlimmsten Fall sagt der Kandidat sogar wieder ab, bevor er seinen neuen Job überhaupt begonnen hat.
Die Haufe Onboarding-Studie 2019 bestätigt diese Beobachtungen: Jedes dritte Unternehmen hat damit zu kämpfen, dass Bewerber bereits zwischen Vertragsunterzeichnung und dem ersten Arbeitstag wieder abspringen. Gerade in einem von COVID-19, zunehmender Digitalisierung, Fachkräftemangel und hoher Anfangsfluktuation geprägten Arbeitsmarkt wird ein strukturiertes On- bzw. Preboarding (noch vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn) immer wichtiger. Besonders im Gesundheitswesen starten aktuell viele neue Mitarbeiter in den Job. Ein effizientes Onboarding ist hier essenziell.
Veraltete Strukturen und Technologien
Bereits vor der jetzigen Akutsituation hat sich die Suche nach medizinischem Fachpersonal und Ärzten als Herausforderung gestaltet – hauptsächlich dem Fachkräftemangel geschuldet. Hinzu kommt, dass die Rekrutierung oft mit erheblichem administrativem und zeitlichem Aufwand verbunden ist. Kliniken fehlt oft sogar die Zeit, passendes Personal auszusuchen – von der Einarbeitung ist hier noch keine Rede. Es werden überholte Rekrutierungsmaßnahmen genutzt und mit veralteten hierarchischen sowie technischen Strukturen gehadert. Hier müssen neue Wege im Bereich Talent Management, Mitarbeiterführung und Recruiting gegangen werden.
Mitarbeiterbindung auch im Krankenhaus wichtig
Eine gute Mitarbeiterbindung setzt für diese notwendigen Änderungen ein gutes Fundament. Themen wie Work-Life-Balance, Gesundheit, technische Ausstattung, Qualifizierung und nicht zuletzt Führung/Aufstiegschancen sind die Handlungsfelder, die angewendet werden müssen und so die Unternehmenskultur und die einzelnen Mitarbeiter (positiv) beeinflussen. Gleichzeitig kann dies multiplikatorisch als Employer Branding- sowie Rekrutierungsinstrument genutzt werden. Besonders beliebt bei Mitarbeitern und Bewerbern sind Kliniken, die prozessoptimiert – durch technologische Programme und moderne Geräte – handeln können. Die Einführung einer elektronischen Krankenakte beispielsweise ist ein echter „Magnet“. Aber auch ein guter Onboarding-Prozess kann eine solche Strahlkraft, besonders auf junge Talente, ausüben.
Denn vor allem die stark umworbenen Young Professionals suchen nach Arbeitgebern, die zu ihren Wertvorstellungen und Arbeitsweisen passen. Das Problem: Die wenigsten sind bereits mit dem dauerhaft stressigen Arbeitsablauf in einem Krankenhaus vertraut, sie brauchen Eingewöhnungszeit und Unterstützung. Genau hier setzt ein gut strukturierter Onboarding-Prozess an.
Was Kliniken tun können
Um das Onboarding erfolgreich zu gestalten, sollte von Beginn an die soziale Integration ins Team gefördert werden. Es lohnt sich, Talents vor dem ersten Arbeitstag „Stück für Stück“ Informationen zum neuen Arbeitsleben zu übermitteln.
Neben Infomaterialien und internen Schulungen können folgende Ideen helfen, neue Mitarbeiter sanft in den neuen Berufsalltag und die Unternehmenskultur einzugliedern:
Welcome Day
In größeren Unternehmen finden üblicherweise in den ersten Tagen Begrüßungsveranstaltungen für alle neuen Mitarbeiter statt, die ungefähr zeitgleich neu anfangen. Dies lässt sich auch auf das Gesundheitswesen und Kliniken übertragen. An einem gemeinsamen „Welcome Day“ kann die Klinik allen Neuen die Klinikkultur, die einzelnen Abteilungen und abteilungsübergreifende Regelungen vorstellen. Somit fördert das Krankenhaus schon zu Beginn das Networking über Abteilungsgrenzen hinaus. Eine kleine Vorstellungsrunde, eine „interne Visite“, hilft dem Onboardee enorm.
Regelmäßiges Feedback
In regelmäßigen Mitarbeitergesprächen während der Probezeit stellt die Führungskraft die Weichen für die künftige Performance des Mitarbeiters. Hier vereinbart der Vorgesetzte gemeinsam mit dem Mitarbeiter Aufgaben und Ziele und bespricht die bisherigen Arbeitsergebnisse. Feedback sollte dabei stets als konstruktive Rückmeldung verstanden werden und keine Einbahnstraße sein: Feedback des neuen Mitarbeiters ist im Gesundheitswesen/Kliniken ein unschätzbares Gut, denn dieser bringt einen neuen und frischen Blick auf möglichweise eingefahrene Arbeitsabläufe mit und liefert so vielleicht die ein oder andere Möglichkeit zur Prozessoptimierung.
Onboardee-Netzwerk
Die Einrichtung eines „Netzwerk-Circles“ bietet eine gute Möglichkeit zum Austausch. Solche Netzwerke unter Neuankömmlingen halten sich oft sehr lange und bieten die Möglichkeit zu abteilungsübergreifendem Austausch. Es lohnt sich ebenfalls, den Newbies einen Paten zur Seite zu stellen, der bereits eine ähnliche Situation erlebt hat. An diesen kann sich der neue Mitarbeiter dann mit Problemen wenden.
Digitales Onboarding
Kliniken sollten gelungenes Mitarbeiter-Onboarding immer aus Sicht verschiedener Dimensionen betrachten: Aus dem Blickwinkel der Mitarbeiter, der Sicht der Organisation und einer möglichen technologischen Unterstützung. Damit jeder Beteiligte beim Onboarding eines neuen Mitarbeiters weiß, wer was wann zu tun hat, ist es hilfreich, wenn eine Software die verschiedenen Prozesse digital anstößt und überwacht. Dies ist auch in vielen Unternehmen noch längst kein Standard. Nur zwölf Prozent setzen bislang auf Software-Unterstützung ( Haufe Onboarding-Studie 2019). Die Vorteile einer digitalen Lösung liegen dabei auf der Hand: Verschiedene am Onboarding-Prozess beteiligte Personen können die einzelnen Aufgabenpakete Schritt für Schritt abarbeiten und nachhalten. Neben dieser Workflow-Unterstützung können relevante Informationen, Aufgaben oder News neuen Mitarbeitern optimal und zeitpunktgesteuert ausgespielt werden. Diese digitale Lösung könnte für das Gesundheitswesen neben der elektronischen Krankenakte zu einem Hauptfaktor im Kampf um neue Mitarbeiter werden.