Mit Hightech gegen Fake-Medikamente

Weltweit schicken Pharmahersteller täglich Güter auf den Weg durch verzweigte Lieferketten. Mit bekanntem Ziel, aber oft unbekannten Zwischenstationen. Wie moderne Technologien dabei für mehr Transparenz und Sicherheit sorgen, darüber berichten Sandro Lindner und Christian Gessner in ihrem aktuellen Gastbeitrag für mednic.de. Sandro Lindner ist Geschäftsführer und Head of EMEA Sales Commercial der Unisys Deutschland GmbH und Christian Gessner, Head of Sales EMEA Transport & Logistics bei Unisys.

Gastbeitrag von Sandro Lindner und Christian Gessner

Ob Medikamente oder Versuchsstoffe für klinische Studien: Weltweit schicken Pharmahersteller täglich Güter auf den Weg durch verzweigte Lieferketten. Mit bekanntem Ziel, aber oft unbekannten Zwischenstationen. Was passiert mit Pharmagütern während des Transports? Wo befinden sie sich zu welchem Zeitpunkt – und wie lange? Fehlende Transparenz in der Supply Chain von Medikamenten stellt viele Pharmaunternehmen heute noch vor offene Fragen. Eine Ungewissheit, die Unternehmen wie Patienten Sorgen bereitet. Es geht um Geldverluste in Milliardenhöhe, wenn Medikamente auf ihrem Weg von der Produktionshalle bis zum Empfänger beschädigt oder durch Fake-Medikamente ersetzt werden – vom Einfluss auf die Gesundheit von Patienten ganz zu schweigen.

Verborgene Schwachstellen in der Lieferkette

Diebstahl und Fälschung von Medikamenten sind die größten und schwerwiegendsten Probleme der Pharmaindustrie: Tatsächlich geht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davon aus, dass zehn Prozent aller weltweit gehandelten Medikamente und pharmazeutischen Mittel Fälschungen sind. Erst im Juni 2017 ging eine Warnung des Bundesinstituts für Arzneimittel an die Bevölkerung in NRW, als in einer Apotheke ein gefälschtes Hepatitis-C-Medikament entdeckt wurde.

Abgesehen haben es kriminelle Organisationen heute besonders auf hochpreisige Arzneimittel wie Krebsmedikamente, die sie unbemerkt aus der Lieferkette stehlen und durch gefälschte Medikamente ersetzen. Viele von ihnen beherrschen ihr Handwerk mittlerweile so gut, dass die Verpackungen der Fake-Medikamente nicht mehr von den Originalen zu unterscheiden sind.

Ein weiteres Problem der Pharmabranche: Auch wenn in Deutschland strenge Regeln für den Transport von Medikamenten herrschen und Temperatur, Hygiene und Sicherheit jederzeit sichergestellt sein müssen, kommt es immer wieder zu Beschädigungen und Rückrufen von Arzneimitteln. Eine permanente Prozessüberwachung unter Einsatz moderner Technologien könnte hier Abhilfe schaffen.

Christian Gessner ist Head of Sales EMEA Transport & Logistics bei Unisys. (Foto: Unisys Deutschland GmbH)

Serialisierung: Die Gesetzgebung reagiert

In den USA und Europa hat die Gesetzgebung auf diese Probleme bereits reagiert: Damit gefälschte Medikamente nicht in Umlauf kommen können, werden Pharmaunternehmen durch das Gesetz der sogenannten „Serialization“ beziehungsweise „Serialisierung“ dazu verpflichtet, jedes verschreibungspflichtige Medikament (Rx Medikament), das die Produktionshallen verlässt, mit einer individuellen Seriennummer zu versehen – das betrifft die kleinste zu transportierende Einheit wie Medikamentenfläschchen oder Tablettenbriefchen ebenso wie das Behältnis, in dem sie sich befindet, und den Transport-Container. Damit sorgt die sogenannte Fälschungsschutzrichtlinie dafür, dass Großhandel und Apotheken Medikamente innerhalb eines End-To-End-Überprüfungssystems jederzeit nachverfolgen und authentifizieren können. Während das Gesetz in den USA bereits 2019 in Kraft tritt, zieht Europa 2023 nach.

Auf dem Weg eines Produkts von der Herstellung bis zum Empfänger kann anhand regelmäßiger Kontrollen der Seriennummer seine Echtheit und Qualität nachgewiesen werden. Da die Waren nicht länger als 96 Stunden auf dem Transportweg sein dürfen und nach maximal 16 Stunden ihren Zwischenlagerungsort verlassen müssen, bleibt für Kriminelle kaum Zeit, um den Barcode eines Medikaments in der Datenbank zu hacken und zu fälschen. Zumal Datenbanken heute mit modernsten Sicherheitstechnologien geschützt und für Unbefugte unzugänglich sein müssen.

Mehr Transparenz in der Supply Chain verschafft nicht nur Unternehmen, sondern auch und vor allem Konsumenten Sicherheit: In Zukunft wird jeder Patient nach Erhalt des Medikaments anhand selbst prüfen können, ob er auch wirklich das echte in Händen hält und die Inhaltsstoffe auch das bewirken, was sie versprechen – Eingabe und Abgleich der Seriennummer im System werden genügen.

Medikamenten auf der Spur – mit IoT und Big Data

Zusätzlich zum Einsatz von Seriennummern, anhand derer Beteiligte der Supply Chain Güter an Frachtübergangen kontrollieren können, können modernste IoT– und Big Data-Technologien dank Track-And-Trace-Funktionen für mehr Transparenz und Sicherheit auf den Lieferwegen sorgen. Sie ermöglichen es beteiligten Unternehmen der Suppy Chain, auf dem Lieferweg entstehende Datenmengen so zu erfassen und aufzubereiten, dass Abweichungen oder Probleme während des Transports End-to-End und in kürzester Zeit ersichtlich werden.

Data-Analytics-Plattformen können heute schon in Echtzeit aufzeigen, wo Medikamente außerplanmäßige Transportrouten durchlaufen, wo und wie es zu Beschädigungen an der Verpackung gekommen ist und wo äußere Umstände wie Temperatur die Qualität des Medikaments beeinträchtigen könnten. Pharmahersteller können dadurch beinahe in Echtzeit reagieren und Maßnahmen ergreifen, um Probleme frühzeitig zu beheben.

Die Erfassung von Daten erfolgt über intelligente Container und Behälter oder über IoT-Sensoren, die an diesen angebracht und mit dem Mobilfunknetz verbunden sind. Sie tracken den Transport und können Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Lichtverhältnisse und Bewegungen während des Transports messen – Daten, die dann an die Systeme aller Beteiligten der Supply Chain weitergeleitet werden. Liegen die Werte nicht im gewünschten Bereich oder kündigen sich Abweichungen an, schlägt die Software Alarm. Im besten Fall können Unternehmen Beschädigungen oder Manipulationen von Medikamenten vermeiden, noch bevor es zu spät ist.

„Smarte Container“ reagieren heute schon in Echtzeit auf Umweltveränderungen, ohne dass ein Eingriff von außen erforderlich ist: Für den sicheren Transport von temperaturempfindlichen Medikamenten stehen zum Beispiel intelligente Kühlcontainer zur Verfügung, die Temperaturschwankungen auf dem Transportweg ausgleichen und für eine konstante, kühle Temperatur im Inneren sorgen.

Sicher ist sicher: Datenschutz und Blockchain

Alle Transaktionsdaten, die in der Lieferkette entstehen, liefern nicht nur Beteiligten wertvolle Informationen, sondern auch kriminellen Organisationen. Der Schutz der Daten muss damit für Pharmaunternehmen in Zukunft oberste Priorität haben. Mehrere Sicherheitstechnologien müssen hier zusammenspielen, damit ein umfassender Schutz gewährleistet werden kann. Der erste grundlegende Schritt kann der Einsatz einer Blockchain zwischen Pharmahersteller und Empfänger sein: Dank kryptographischer Verkettungen zwischen den einzelnen, fortlaufend entstehenden Datensätzen können Daten nicht nachträglich manipuliert oder verändert werden – wie in Stein gemeißelt geben sie Unternehmen die Sicherheit, dass die abgebildeten Transaktionen auch tatsächlich so stattgefunden haben.

Vom Einsatz einer Blockchain profitieren nicht nur Hersteller, sondern auch alle anderen, an der Supply Chain beteiligten Firmen: Airlines zum Beispiel, die für die sichere Übersendung von Medikamenten zuständig sind, erfassen Transaktionsdaten in ihrer eigenen Blockchain, um die Sicherheit und Qualität ihrer Transportdienstleistungen bezeugen zu können. Sie können so alle Schritte von der Empfangnahme der Ware am Flughafen über die Weiterleitung durch Logistikdienstleister bis hin zum Eintreffen am Zielflughafen nachzeichnen und Pharmaunternehmen wie Patienten den sicheren Transport von Medikamenten nachweisen.

Um grundsätzlich zu vermeiden, dass Daten in falsche Hände geraten, müssen Zugriffsrechte präzise verwaltet und kontinuierlich überwacht werden. Mit Identity Access Management-Lösungen können IT-Verantwortliche kleine Nutzergruppen definieren, die Zugang zu sensiblen Daten und stets einen Überblick darüber haben, wer in welchem Moment auf welche Daten zugreift. Privilegierte Nutzer sollten nach dem „Least Privilege“-Prinzip dabei nur die Zugangsberechtigungen erhalten, die sie für die Ausübung ihrer Tätigkeiten auch wirklich benötigen.

Um den Datenschutz auf der gesamten Lieferkette hoch zu halten, sollten Unternehmen neben Identity-Management-Systemen die darauf aufbauende Mikrosegmentierung einsetzen. Mit dieser Sicherheitslösung lassen sich sogenannte „Communities of Interest (CoI)“ für autorisierte Nutzer einrichten – kleine Perimeter beziehungsweise Sicherheitseinheiten, die über Software auf Servern und Workstations für die CoI definiert werden. Neben der Kontrolle von Zugriffen können Anwender von Mikrosegmentierung das Ausmaß eines potentiellen Hackerangriffs auf ein einzelnes Mikrosegment im Firmennetzwerk oder der Cloud beschränken – alle anderen Bereiche der Infrastruktur bleiben für Angreifer dadurch unsichtbar. Damit verringert sich die Gefahr, dass die gesamte Lieferkette durch einen Hackerangriff unterbrochen oder in Mitleidenschaft gezogen wird.

Fazit

Moderne Technologien zur Verbesserung der Prozesstransparenz und zum Schutz von Daten können Pharmaunternehmen helfen, gefälschte Medikamente frühzeitig zu enttarnen, vorgeschriebene Transportbedingungen einzuhalten und den Warenfluss zu verbessern. Obwohl die schärferen, gesetzlichen Vorschriften erst in ein paar Jahren greifen, ist es schon jetzt an der Zeit, zu handeln. Aus gutem Grund: Nach Schätzungen des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) entsteht der Pharmabranche in Deutschland durch gefälschte Arzneimittel ein finanzieller Schaden von mehr als einer Milliarde Euro und Umsatzeinbußen von 2,9 Prozent. Besorgniserregend sind dabei aber vor allem die Auswirkungen auf die Gesundheit von Patienten sind: Weltweit verlieren bis zu einer Million Menschen ihr Leben, nachdem sie gefälschte Medikamenten eingenommen haben.