Der Kölner Allgemeinmediziner Dr. med. Stefan Streit wirft der Gematik bei der Störungsbehebung der Telematikinfrastruktur (TI) Verantwortungslosigkeit vor. Die Kostenregelung für die Fehlerbehebung bezeichnet er als irritierend.
Von Dr. med. Stefan Streit
Durch einen Konfigurationsfehler bei der Telematikinfrastruktur wurden 80.000 Trust Service Status Lists auf den Arztpraxisservern ungültig. Seit dem 27. Mai 2020 ist die digitale Kommunikation in der Medizin gestört. Behoben werden kann das Problem kann nur in jeder Praxis einzeln, vor Ort. Am Anfang hieß es: Dies sei simpel und in wenigen Minuten umgesetzt.
Neben der Frage, ob IT-Laien an einer sicherheitsrelevanten Struktur freihändig tätig sein sollten, stellt sich die Frage, wer die 80.000 IT-Dienstleistungen bezahlt. Die Gematik lehnte die Kostenübernahme jedenfalls von Anfang an ab. Aktuell arbeiten deshalb viele Ärzte erst mal ohne Telematikinfrastruktur weiter. Die gesetzlich mit dem Betrieb der Telematikinfrastruktur beauftragte Gesellschaft veröffentlichte am 12. Juni 2020 auf der Homepage ihren Lösungsentwurf. Darin verweist sie auf den Vertrag zwischen Ärzten und IT-Dienstleistern und erklärt, die Kosten für diese Reparatur seien über die regelmäßige Betriebskostenpauschale bereits beglichen. Die Gematik stellt sich offensichtlich vor, die Ärzte bestellen bei einem IT-Dienstleister eine Reparatur und setzen dann selbst durch, dass für diese Dienstleistung keine Rechnung geschrieben wird (Link Gematik-Mitteilung).
Obwohl selbst der Verursacher des Schadens, sieht sich die Gematik lediglich in der Rolle des Moderators, der gelobt, in Gesprächen mit den IT-Dienstleistern auf eine kostenlose Durchführung der Arbeiten hinzuwirken. Das Ganze sieht clever aus, ist aber aus mehreren Gründen irritierend.
Unkenntlichmachung von Aufwand
Die Wirkung teilhabevernichtender Lieferketten ist von Politik und Gesellschaft erkannt worden. Natürlich leiden die IT-Dienstleister und die Ärzte in Deutschland deswegen keine Not, wie etwa die Arbeiter in den berüchtigten Sweatshops. Problematisch ist die systematische Unkenntlichmachung von Aufwand und Systembelastung für unsere Gesellschaft dennoch. Die umstandslose Verklappung von Dünnsäure in der Nordsee ging auf eine vergleichbar gestrige Vorstellung von Ökonomie zurück. Natürlich hätte die Nordsee eine einzelne Verklappung folgenlos verdünnt. Aber das Ganze wurde zum üblichen Prozess für die Entsorgung von Unrat erklärt und belastete jahrzehntelang ganz legal das Wasser an der deutschen Küste bei Helgoland.
Verklappung von technischen Zusatzkosten
Täglich erklären wir uns selbst und unseren Kindern, nur mit echten Kreislaufprozessen könnten wir zu nachhaltigem Wirtschaften finden. Kreislaufprozesse verdienen den Namen allerdings nur, wenn die Energiebilanz tatsächlich und nicht nur scheinbar komplett erfasst wird. Die Kosten müssen eindeutig entweder bei der Gematik oder bei den Ärzten verbucht werden. Die Verklappung von technischen Zusatzkosten im Ozean des Gesundheitswesens ist kein nachhaltiges Konzept. Alle die bis vor kurzem glaubten, man könne sich mit der Bereinigung solcher Probleme Zeit lassen, wurden durch die Corona-Krise eines Besseren belehrt. Nicht tragfähige, nur von problemfremden Kompensationen getragene Strukturen versagten stets als erstes.
Gematik agiert aus einer Position der Stärke
Gematik und Ärzte stehen bei der Telematikinfrastruktur gerade am Anfang der Digitalisierung in der Medizin. Noch laufen auf der Telematikinfrastruktur keine, für die Patientenbehandlung relevanten Prozesse, dementsprechend entspannt können alle mit dem – schon wochenlang dauernden – Telematikinfrastruktur-Ausfall umgehen. Die Gematik agiert aus einer Position der Stärke, die ihr eigentlich erst zukommt, wenn die elektronische Arbeitsunfähigkeitsmeldung, ab 1.1.2021 Wirklichkeit geworden ist. Dann werden Patienten, Krankenkassen und Arbeitgeber die Ärzteschaft unter Druck setzen, jede Störung unverzüglich zu reparieren.
Dabei geht es immer noch nur um Komfortfunktionen für die Medizinverwaltung. Da geht es noch nicht um Patientenwohl. Läuft irgendwann einmal die elektronische Patientenakte über die Telematikinfrastruktur, dann schwebt die Keule der Gefährdung des Patientenwohls über dem Kopf des Arztes. Gibt es ein Problem, dann beauftragt der Arzt ohne Diskussionen den IT-Dienstleister. Der wird seine Arbeit machen und dann eine Rechnung schicken. Zahlt der Arzt nicht, reagiert der Dienstleister beim nächsten Anruf des Arztes eben nicht mehr.
Bestrafung statt Dialog mit Ärzteschaft
Ach ja, das wäre für das Gesamtverständnis noch wichtig: freiwillig machen die meisten Ärzte bei der Telematikinfrastruktur nicht mit. Ärzte, die Zweifel am Sicherheitskonzept der Telematikinfrastruktur oder der Vorgehensweise der Gematik haben, sind seit dem 1.1.2020 mit einer Konventionalstrafe von 2,5 Prozent ihres Umsatzes belegt. Konsens? Verhandlung auf Augenhöhe? Vertrauen? Alles Fehlanzeige! Bad governance eben!