„Elektronische Patientenakte wird proprietäre Insellösung“

Mednic sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden der größten Betriebskrankenkasse Deutschlands Dr. Hans Unterhuber über Fehler bei der Umsetzung der elektronischen Patientenakte, über den Arbeitseifer von Jens Spahn und über klare Verpflichtungen beim Datenschutz.

Die im Jahr 1908 gegründete Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK) ist die größte Betriebskrankenkasse Deutschlands. Sie zählt aktuell mehr als eine Million Versicherte und beschäftigt über 1.600 Mitarbeiter. Dr. Hans Unterhuber ist seit Frühjahr 2002 Vorstandsvorsitzender der SBK. Der promovierte Volkswirtschaftler kam 1997 von der Siemens AG, wo er zuvor verschiedene Positionen bekleidete, unter anderem als Geschäftsführer der Firmentochter Ornet Data in Israel.

mednic.de: Herr Dr. Unterhuber, fühlen Sie sich von der Agilität überrumpelt, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei der Umsetzung zuvor bisweilen liegengebliebener Vorhaben an den Tag legt?

Unterhuber: Man könnte unterstellen, dass Herr Spahn unsere Leistungsfähigkeit testen will. Das ist aber keineswegs despektierlich gemeint. Der Bundesgesundheitsminister ist tatkräftig und packt endlich einmal wichtige Themen an, die er in bisher kaum gekannter Geschwindigkeit vorwärtsbringt. So müssen wir uns aktuell mit schätzungsweise rund 20 neuen Gesetzen oder Gesetzentwürfen auseinandersetzen, die unsere Arbeit direkt oder indirekt betreffen.

»Spahn bringt Themen in kaum gekannter Geschwindigkeit vorwärts«

mednic.de: Sie bemängeln, dass insbesondere die Realisierung der elektronischen Patientenakte jetzt mit derartigem Druck vorangetrieben wird, dass wichtige Patienteninteressen insbesondere im Bereich Datenschutz auf der Strecke bleiben. Was genau sind ihre Kritikpunkte?

Unterhuber: Unsere Kritik richtete sich zuletzt auf die Gematik-Spezifikationen zur künftigen Patientenakte. Wir hielten diese Spezifikationen für ungeeignet, wobei der Punkt Datenschutzregelungen jetzt gesondert geregelt wird. Überhaupt ist bei der Abstimmung mit der Gematik in den letzten Wochen ein positiver Veränderungsprozess in Gang gekommen. Während die Kommunikation mit der Behörde früher – freundlich formuliert – rudimentär war, hat sich der Austausch in den letzten Wochen deutlich verbessert. Man spricht mit uns und es werden keine Beschlüsse mehr im Hinterzimmer gefasst. Dennoch bleiben hinsichtlich der Umsetzung der elektronischen Patientenakte Kritikpunkte. Da ist zunächst die fehlende Kundenzentrierung. Und: Nach jetzigem Stand wird die Akte eine proprietäre, deutsche Insellösung. EU-Regelungen werden nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Das ist schwach! Es ist doch im Patienteninteresse, dass beispielsweise auch ein Arzt in Portugal die Notfalldaten eines deutschen Patienten lesen kann. Ein weiterer Kritikpunkt: Bei der elektronischen Patientenakte sind bislang viel zu wenige Hersteller angesprochen worden und eingebunden. Das hat auch mit fehlender Internationalisierung und Standards zu tun – und wird zu Mondpreisen und Lieferengpässen führen. Immerhin hat man im Bundesgesundheitsministerium aber erkannt, dass Insellösungen nicht sinnvoll sind. Ich bin hoffnungsvoll, dass wir nach einer nicht so überzeugenden, ersten Version der Patientenakte in einem zweiten Schritt eine gute Lösung erreichen werden.

»Bei der elektronischen Patientenakte sind zu wenige Hersteller eingebunden«

mednic.de: Wie einig sind sich die Kassen untereinander auf dem Weg zur elektronischen Patientenakte?

Unterhuber: Hier herrscht hinsichtlich der ePA große Einigkeit, das gilt einschließlich des Bitmarck. Konflikte bestehen aber noch zwischen Kassen und Leistungserbringern. Aufgrund der veränderten Mehrheitsverhältnisse in der Gematik wird das aber nicht zu einer ‚Unendlichen Geschichte‘ ohne Ergebnisse führen. 

mednic.de: Wie kann es trotz ihrer Bedenken gelingen, dass Deutschland die rote Laterne bei der Einführung digitaler Gesundheitslösungen baldmöglichst abgibt?

Unterhuber: Wir brauchen bei der Einführung digitaler Gesundheitslösungen im Gesundheitsbereich transparente Verfahren und eine koordinierende, unabhängige Agentur. Denn Transparenz schafft Vertrauen. Mich stimmt positiv, dass das Bundesgesundheitsministerium das jetzt aktiv in die Hand nimmt. Es muss für alle Akteure klar sein, dass es – insbesondere beim Datenschutz – klare Verpflichtungen und auch Sanktionen gibt. Hier muss es meiner Meinung auch noch stärker zu einer öffentlichen Debatte kommen. Verbesserungsvorschläge müssen angehört und aufgegriffen werden. Es muss unumstößlich klar sein, dass der Patient die Hoheit über seine Daten behält. Andererseits sollte man aber auch nicht versuchen, noch den letzten Skeptiker ins Boot zu holen. Das ist wie beim Onlinebanking: Millionen Menschen praktizieren das seit vielen Jahren. Wer aber lieber jede Überweisung am Bankschalter abgibt, kann das auch heute noch tun. Wichtig ist, dass sich neue Lösungen an EU-Standards orientieren und wir uns nicht mit Sonderregelungen einigeln.

»Es muss klar sein, dass der Patient die Hoheit über seine Daten behält«

mednic.de: Neben dem „Kernstück“ elektronische Patientenakte: Sehen Sie in der Einführung digitaler Lösungen im Gesundheitsbereich insgesamt eher einen Segen, oder werden nur alte Probleme durch neue ersetzt?

Unterhuber: Nein, aus meiner Sicht könnten viele digitale Lösungen einen ungeheuren Schub bringen. Sie könnten ein ungeheurer Segen sein und vieles einfacher machen. Es muss dabei nicht immer die große Innovation sein, gerade bei dem bürokratischen Klein-Klein, mit dem wir alle täglich kämpfen, birgt die Digitalisierung ungeheure Chancen. Bei der SBK haben wir beispielsweise einige digitale Fragebögen eingeführt, die quasi vom ersten Tag an eine Nutzerquote von 50 Prozent erreicht haben. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir im Gesundheitswesen im 21. Jahrhundert noch immer Informationen per Fax austauschen müssen.

mednic.de: Herr Dr. Unterhuber, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!