Eine bessere TI ist möglich

Frédéric Naujokat ist Geschäftsführer der eHealth Experts GmbH. (Foto: eHealth Experts GmbH)

Als Kernstück zur Digitalisierung des Gesundheitswesens kommt die Telematikinfrastruktur (TI) nach wie vor nicht richtig in Fahrt und die Kritikerstimmen reißen nicht ab. Dabei wäre eine bessere TI durchaus möglich, ist Frédéric Naujokat, Geschäftsführer der eHealth Experts GmbH (ehex) überzeugt. Im mednic-Gastbeitrag erläutert er, wie das gelingen kann.

Gastbeitrag von Frédéric Naujokat, Geschäftsführer der eHealth Experts GmbH (ehex)

Es kommt Bewegung in das Mammutprojekt Telematikinfrastruktur (TI). Nach 18 Jahren Entwicklungszeit werden nach und nach neue Fachanwendungen freigeschaltet. Allerdings gibt es kaum einen Launch ohne Verzögerung, Protestwellen und Schuldzuweisungen. Die nicht enden wollenden Streitigkeiten sind klare Symptome eines tiefer liegenden, systemischen Fehlers. Der Unmut in der Ärzteschaft ist so gewaltig, dass es sich um ein grundsätzliches Problem handeln muss.

Status quo auch für PVS-Hersteller unbefriedigend

Ein Großteil der Kritik richtet sich an die Hersteller ärztlicher Primärsysteme (PVS). Diese befinden sich selbst in einer schwierigen Lage, denn die Anforderungen, die sie erfüllen müssen, nehmen stetig zu. Das betrifft vor allem die Regulierung, aber auch die Technik selbst wird komplexer. Neue Standards wie FHIR und REST verändern die Entwicklungsarbeit nachhaltig. Aktuelle Systeme sind darauf nicht ausgelegt und werden es deshalb zunehmend schwer haben.

Die Regulierung zementiert diesen Status quo leider. Das Arbeitsprinzip ist immer noch die Wasserfall-Methode. Die gematik erstellt Spezifikationen und PVS-Hersteller müssen diese umsetzen. Zeitgemäß ist dieses Modell nicht. Und Leistungserbringer spüren die Folgen sehr deutlich. Sie merken, dass die neuen Anforderungen zwar formal erfüllt sind, Verbesserungen im Alltag gibt es aber kaum. Echte Innovationen haben keinen Platz, wenn PVS-Hersteller von Quartal zu Quartal zu neuen umfangreichen Updates verpflichtet sind. Die Weiterentwicklung der Praxissoftware gleicht einem Hamsterrad – PVS-Hersteller und Leistungserbringer sind gleichermaßen die Leidtragenden.

Ein offenes Konzept für die TI

Für Fortschritte, die in der Praxis ankommen, müssten PVS-Hersteller sich mehr als bislang für Innovation öffnen. Sie müssten intensiver darüber nachdenken, was Benutzerfreundlichkeit bedeutet und wie Arbeitsabläufe durch Software vereinfacht werden können. Das erfordert ein Umdenken. Allerdings nicht nur bei PVS-Herstellern selbst, sondern bei allen Akteuren, die den Rahmen dafür gestalten. Dazu zählen die Gesundheitspolitik, das Bundesgesundheitsministerium, die gematik sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband als Gesellschafter der gematik. Alle Beteiligten sollten verstehen, dass die Etablierung der TI mit einem höheren Alltagsnutzen und deutlich besserer Akzeptanz verbunden sein kann. Dafür müssen bestimmte Rahmenbedingungen angepasst werden.

Damit der Wandel gelingt, benötigen wir einen klaren Trend weg von komplexen und schwerfälligen Systemen. Denn mit Software, die immer mehr Anforderungen erfüllen muss, sind PVS-Hersteller zunehmend überfordert. Stattdessen braucht es neben den Kernsystemen verschiedene hochspezialisierten Anwendungen. Diese können einzelne Anforderungen der TI sehr gut umsetzen und bestehende Systeme damit sinnvoll ergänzen. 

Module und offene Schnittstellen

Der entscheidende Schlüssel für dieses Modell sind offene Schnittstellen. Sie gewährleisten, dass keine Insellösungen entstehen, die Abläufe in der Praxis weiter verkomplizieren. Offene Schnittstellen sorgen auch dafür, dass bestehende Software zukunftsfähig bleibt, weil beispielsweise neue TI-Funktionen einfach mit externen Programmen umgesetzt werden. Das bedeutet einerseits eine große Entlastung für PVS-Hersteller und andererseits mehr Spielraum für Innovationen. Einzelne Anwendungen können deutlich leichter neu entwickelt werden als gesamte Systeme. Das macht es Softwareherstellern einfacher, neue und möglicherweise bessere Anwendungen auf den Markt zu bringen. Die Folge wären mehr Wahlfreiheit für Leistungserbringer und damit automatisch auch ein größerer Fokus auf die eigentlichen Bedürfnisse in der Praxis.

Die logische Konsequenz von Schnittstellen und spezialisierten Anwendungen ist ein modulares Konzept für Primärsysteme. Praxissoftware könnte nach dem Baukastenprinzip um diverse Anwendungen ergänzt werden, die beispielsweise das E-Rezept oder KIM-Nachrichten ermöglichen. Die Praxissoftware müsste für alle TI-Fachanwendungen offen sein, diese aber nicht selbst beherrschen. Deshalb würden Primärsysteme auch nicht mehr als komplexes Gesamtsystem für die TI zugelassen, sondern über einzelne Module. Jedes Modul erfüllt dabei eine eigene Aufgabe. Der Fokus auf diesen Zweck führt dazu, dass jede TI-fähige Software ihre Stärken wirklich wirksam umsetzt. Wenn das erreicht ist, wird der Unmut über die TI abnehmen. 

Aus dem Unmut lernen

Alle beteiligten Akteure sollten aus dem Unmut rund um die TI lernen und das Problem an der Wurzel packen. Dafür braucht es einen neuen Entwurf für eine modulare, und auf offenen Schnittstellen basierte TI. In der TI-Community gibt es sicher eine große Bereitschaft, diesen mitzugestalten. Vorstellbar sind Events, die neben guten Ideen auch ein neues Momentum schaffen können. Allerdings würden die Bemühungen wohl im Sande verlaufen, solange die Rahmenbedingungen nicht angepasst werden. Es braucht daher in erster Linie einen politischen Impuls für eine neue, offene Art von TI. Dann ist eine bessere TI möglich!