DMEA: Digitalisierung braucht Tempo und Zusammenarbeit

Unter neuem Namen findet jetzt erstmals die DMEA (vormals conhIT) statt. Die Messe hat sich viel vorgenommen: Statt als reiner Branchentreff zu fungieren, wollen die Akteure künftig den „Blick über den Tellerrand“ zum Programm machen und als Plattform für Gesundheit, Pflege und IT bisherige Grenzen hinter sich lassen. In einem Punkt sind sich alle einig: Die Zeit drängt, wenn Deutschland bei der digitalen Gesundheit nicht den Anschluss verlieren soll.

Mehr Tempo bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen mahnte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in seiner Eröffnungsrede zur Messe an. Man dürfe die Gesundheitsversorgung in Deutschland und das Thema Digital Health nicht großen Konzernen aus China und den USA überlassen.  Wenn er sehe, wie stark diese Konzerne in Gesundheits-IT investieren und dass dabei ihr Umgang mit Patientendaten aus europäischer Sicht nicht nachahmenswert sei, dann müsse Deutschland in der Lage sein, seine eigenen Lösungen mit seinen eigenen Vorstellungen von Datenschutz und Versorgungsstrukturen zu entwickeln – und das zügig. „Ich glaube, in zwei Jahren sind wir so weit hinten, dass es dann auch egal ist. Wir sind in einer Zeit, wo es sehr darauf ankommt, dass wir aufholen, was wir in den vergangenen Jahren verloren haben.“

Kreatives Feuerwerk bei elektronischer Patientenakte

Bei der Einführung der elektronischen Patientenakte will Spahn ebenfalls aufs Tempo drücken. Nachdem die elektronische Gesundheitskarte in 15 Jahren Selbstorganisation durch die Spitzenverbände nicht vorangekommen sei, übernehme die Bundesregierung zum 1. Mai die Mehrheit an der Gematik (Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH). Das berge zwar auch ein Risiko, Spahn sieht jedoch vor allem Potenzial. Er ruft die Krankenkassen dazu auf, nicht nur die elektronische Patientenakte voranzutreiben, sondern auch über ihre Kernanwendungen hinaus Nutzungsangebote für die Versicherten zu entwickeln – etwa in der Begleitung chronisch Kranker oder bei der Prävention. Er gehe davon aus, „dass wir da ein Feuerwerk an Kreativität und Ideen erleben“. Spahn forderte die Akteure noch einmal zur aktiven Mitgestaltung des digitalen Gesundheitswesens auf: „Wir müssen Lust haben auf diesen digitalen Wandel.“ Nur dann gebe es die Chance, ihn auch zu gestalten.

Schwerpunkt Pflege

Mit ihrem Konzept geht die DMEA mit ihrem Konzept einen Schritt ins Neuland und wagt eine vorsichtige Öffnung nach außen. So ist das Thema Pflege in diesem Jahr ein wichtiger Schwerpunkt. Wie lässt sich die Herausforderung Pflege von der Gesellschaft bewältigen? Es gilt, kosten- und ressourcenschonend zu agieren und gleichzeitig den Patienten nicht aus den Augen zu verlieren. Wie das funktionieren könnte, zeigen auch die Vorträge auf der Messe.

Wie viel Pflegeaufwand wird eine Klinik mit einem Patienten haben? Wann kann er die Klinik verlassen und in welchem Zustand? Und wie viel Personal wird benötigt? Wie sich diese Fragen mithilfe patientenzustandsbezogener Daten beantworten lassen,zeigt die Dissertation von Madlen Fiebig von ePaCC (ergebnisorientiertes Pflege Assessment). An drei Kliniken in Deutschland und in der Schweiz untersuchte sie, ob sich auf Basis dieser Daten Zustandsgruppen bilden lassen, die einen bestimmten Ressourcenverbrauch vorhersagen. In den Gesamtdatensatz flossen unter anderem der Braden-Wert zur Messung des Dekubitusrisikos, Erschöpfung, Orientierung oder Mitteilungsvermögen ein. 

Aus der Praxis sprach unter anderem Markus Pätzold vom Universitätsklinikum Essen. Der gelernte Krankenpfleger ist Teamleiter in der IT-Abteilung und dort für den Bereich der elektronischen Dokumentation zuständig. Seit dem Roll-out der elektronischen Patientenakte konnte die Zeit für die Patientenaufnahme teilweise um die Hälfte reduziert werden. „Es lohnt sich, Zeit und Geld in die Pflege zu strecken. Sie stellt die größte Berufsgruppe im Krankenhaus dar, und es ist sinnvoll, sie zu unterstützen“, resümierte er. 

Das Pflegepersonal zu entlasten, hat sich Pamina Göttelmann vom Schweizer App-Entwickler Imito zum Ziel gesetzt. Im Zürcher Uniklinikum stattete das Pflegepersonal mit iPhones und iPads mini an die Hand, um zum Beispiel Vitalparameter von Patienten zu erfassen und auf diese Weise Zeit einzusparen.  Das Ergebnis: Die handlichen iPhones kamen bei den Pflegekräften besonders häufig zum Einsatz, 95 Prozent wollten sie nicht mehr missen. 

Digitalisierung nicht analog denken

Mit der Digitalisierung medizinischer Einrichtungen rücken die klinischen Versorgungsprozesse für das Gesundheitswesen immer stärker in den Mittelpunkt. Die IT längst nicht mehr nur der Dokumentation und Abrechnung, sondern hat den Anspruch, die medizinische Behandlung entlang der gesamten Versorgungskette zu verbessern und dabei den Patienten einzubinden – vom Krankenhaus über Medizinische Versorgungszentren bis hin zu ambulanten Arztpraxen.  Das zeigt sich auch auf der DMEA. Matthias Meierhofer, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Meierhofer AG: „Am Ende will jedes Krankenhaus durch die Digitalisierung Effizienzen heben und die Produktivität steigern“, Er warnte jedoch davor analoge Prozesse einfach nur auf die digitale Ebene zu heben. Ein Klinikum sollte die Digitalisierung auch als Anlass zur Restrukturierung sehen. 

Auch bei Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und Arztpraxen hält die Digitalisierung Einzug. Für die Akteure ein wichtiger Schritt, der aber auch mit einem generellen Umdenken verbunden ist. Denn die Digitalisierung führt zu einer zunehmenden Emanzipation des Patienten. Diese Entwicklung gilt es zu nutzen und in sinnvolle Bahnen zu überführen, um das Gesundheitssystem dauerhaft stark und leistungsfähig zu erhalten. Eins steht fest: Patientendaten und ihre Handhabung rücken zunehmend in den Fokus.

Wie lassen sich Datenspenden realisieren und gleichzeitig die ethischen Herausforderungen meistern? Welche Rolle kann und soll Big Data im deutschen Gesundheitswesen spielen? Mögliche Antworten auf diese Fragen zeigen einige der Aussteller und Speaker auf der DMEA und stellen ihre Konzepte vor.

Die Grenzen von KI

Welche Chancen bieten Deep Learning und Künstliche Intelligenz (KI) zukünftig in der Gesundheitsversorgung und wo sind ihre Grenzen? André Sander, Software- Entwicklungsleiter bei ID, betont die Potenziale von KI, sieht gleichzeitig aber auch Grenzen: „Künstliche Intelligenz wird aus der medizinischen Versorgung künftig nicht mehr wegzudenken sein. Aber bei den ganzen Erfolgsmeldungen, mit denen wir im Moment überhäuft werden, wird mitunter etwas sehr vereinfacht. Nicht alles lässt sich mit neuronalen Netzen und Deep Learning Algorithmen lösen. Ich denke schon, dass die KI bei der Mustererkennung mittlerweile den Menschen eingeholt hat. Das führt dazu, dass solche Algorithmen bei einigen Fragestellungen in der Bildgebung auf Facharztniveau agieren, teils sogar besser sind.“ Gleichzeitig bleibe die Diversität der Sprache für die modernen Algorithmen ein Problem. Das gelte für die im Deutschen typischen, zusammengesetzten Substantive ebenso wie für sprachliche Eigenheiten unterschiedlicher medizinischer Einrichtungen. Wer Analyse-Tools entwickeln will, sollte diese Grenzen kennen.

Chancen nutzen

Eines zeigt sich auf der DMEA deutlich: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen stößt zwar noch an Grenzen, lässt Grenzen jedoch auch zunehmend schwinden. Es gibt gute Chancen, dass der Gesundheitssektor und die Pflege in Deutschland gestärkt aus der Digitalisierung hervorgehen können. Damit das funktioniert, müssen jedoch alle Akteure tatsächlich zusammenarbeiten und nicht nur versuchen, ihre eigenen Vorteile zu sichern.

Taten müssen folgen

Ein Anfang, hier aufeinander zuzugehen und konstruktiv an gemeinsamen Konzepten zu arbeiten, könnte tatsächlich die DMEA sein. Sicher ist aber auch, dass hier auch nach der Messe Taten folgen müssen, damit die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland nachhaltig greift und Nutzen für alle Beteiligte bringt.