Digital Health braucht kollaborative Produktentwicklung

Symbolfoto: Vernetztes Mikroskop
Digitale Gesundheitslösungen entstehen immer häufiger durch kollaborative Entwicklungsarbeit (Foto: Evgeny Gromov/123rf.com)

Die Anforderungen an vernetzte Geräte und Lösungen im digitalisierten Gesundheitswesen werden immer komplexer. Will man Projekte schnell in die Tat umsetzen, gelingt das nur durch die Zusammenarbeit von Experten verschiedener Unternehmen.

Mednic-Gastautor Zeljko Loncaric ist Marketing Engineer bei Congatec, einem Hersteller von Embedded Computertechnik mit Sitz in Deggendorf. Die Technologie des Unternehmens kommt beispielsweise in Ultraschallgeräten zum Einsatz.

Von Zeljko Loncaric

Mit zunehmender Digitalisierung des Gesundheitswesens werden die Aufgabenstellungen an die vernetzten Geräte zunehmend komplex. Insbesondere der Umgang mit hochsensiblen Daten stellt die digitale Transformation im Gesundheitswesen vor zusätzliche Herausforderungen. Experten aus unterschiedlichen Unternehmen stellen sich deshalb immer häufiger gemeinsam den Herausforderungen in der Produktentwicklung.

Das Ziel ist schneller, besser und effizienter zu werden, anstelle sich im Sand der Pflichtenhefterstellung festzufahren und Agilität nicht nur für die eigene Entwicklung zu nutzen, sondern das gesamte Projekt als solches unternehmensübergreifend zu steuern – über Methoden wie beispielsweise Scrum. 

Engineering-Ökosystem

Erkannt haben das beispielsweise die Unternehmen, die an der Entwicklung eines Konnektors für die Telematikinfrastruktur des digitalisierten Gesundheitswesens in Deutschland beteiligt sind. Der Secunet Konnektor kommt heute bereits in rund 50.000 Arztpraxen zum Einsatz, um digitalisierte Dienste wie beispielsweise Notfalldatenmanagement (NFDM), elektronische Medikationspläne (eMP) und qualifizierte elektronische Signaturen (QES) nutzen zu können. Solche Anwendungen unterstützen Ärzte dabei, die tägliche Arbeit effizienter zu gestalten und letztlich die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben. Künftig sollen über das digitale Gesundheitsnetz auch E-Rezepte ausgetauscht werden können. Der Konnektor fungiert dabei als Bindeglied zwischen der Arztpraxis oder Apotheke, also dem sogenannten medizinischen Leistungserbringer, und der Telematikinfrastruktur. Eindeutig identifiziert sich der Arzt oder Apotheker dabei mithilfe einer sogenannten Institutionenkarte, der SMC-B-Karte, um sich als Leistungserbringer mit den Infrastruktur-Ressourcen des digitalisierten Gesundheitswesens verbinden zu können.

Alle in einem Boot

An der kollaborativen Entwicklung des Konnektors beteiligt waren insgesamt sieben Unternehmen und Organisationen: Die Secunet Security Networks AG agierte als Security-Spezialist mit dem entsprechenden Marktzugang und S.I.E Solutions als Systemintegrator und Experte für die Entwicklung und Assemblierung des Hardwaresystems, welches das Unternehmen auf Basis einer individuell zugeschnittenen Hardwareplattformen des Embedded Computer Herstellers Congatec entwickelte. Die eHealth Experts GmbH brachte ihre umfangreiche Erfahrung im Bereich Gesundheits-IT ein. Arvato Systems lieferte den VPN-Zugangsdienst. Zusätzlich beteiligt sind in diesem sicherheitstechnisch sensiblen Umfeld das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sowie die Gematik, die die Telematikinfrastruktur betreibt. 

Fundament für die finale Hardware

Dass sich solche komplexen Konstellationen nur managen lassen, wenn alle an einem Strang ziehen, ist leicht zu verstehen. Embedded-Hardware-Lieferanten haben in der Regel wenig mit den Anforderungen des BSI und der Gematik zu tun, da die Zertifikate von den Unternehmen beigesteuert werden müssen, die das Produkt in Verkehr bringen. Gleichzeitig sind sie aber auch diejenigen, die das wesentliche Fundament für die finale Hardware liefern. Will man Projekte folglich schnell in die Tat umsetzen, muss man einen leistungsfähigen Embedded-Lieferanten in das gemeinsame Ökosystem integrieren, was das von Secunet beauftragte Unternehmen S.I.E Solutions als Systemintegrator und Experte für die Entwicklung und Assemblierung des Hardwaresystems erfolgreich getan hat.

BSI- und Gematik-konforme Produkte entwickeln

S.I.E. zeichnete dabei komplett für die normen- und sicherheitskonforme Hardwareentwicklung verantwortlich, inklusive fertigungstauglicher mechanischer Systemkonstruktion und applikationsspezifischem Mainboard mit Secure BIOS. Die passgenaue Bereitstellung des Boards übergab S.I.E. dabei dem Embedded-Computing-Hersteller Congatec, der von Anfang an in die kollaborative Produktentwicklung integriert wurde, sodass sich alle beteiligten Unternehmen heute zu einem äußerst leistungsfähigen Ökosystem für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zusammengefunden haben. 

Unternehmensübergreifende Kollaboration

Die Zusammenarbeit funktionierte dabei von Anbeginn sehr erfolgreich, denn binnen einer Woche konnte bereits Code auf der für die Applikation vorgeschlagenen Hardwareplattform getestet werden. Die Software-Entwickler von Secunet konnten ihre Lösungen folglich direkt auf Basis der Hardware testen, die nach applikationsspezifischer Adaption dann auch im finalen Produkt zum Einsatz kommen sollte. Ein Rapid Prototyping des voraussichtlich finalen Layouts wurde sodann binnen vier Monaten fertiggestellt und mit leichten Revisionen in weniger als einem Jahr zur Serie gebracht. „Ohne unternehmensübergreifende Kollaboration und den engagierten Einsatz von Congatec hätten wir mindestens doppelt so lange gebraucht, ein fertig zertifiziertes System zu entwickeln“, stellt Sami Badawi, Head of Marketing und Corporate Communication bei S.I.E. Solutions fest.

Tauchten Probleme auf, wurden sie über sogenannte Expertencalls schnell und effektiv gelöst, an denen alle über die ganze Entwicklungskette hinweg beteiligten Unternehmen teilnahmen. Die Matrixkommunikation erfolgte also über die Unternehmensgrenzen hinweg. Auch bei Reviews wurde jeweils über diese Matrix die ganze Entwicklungskette eingebunden – so konnten Re-Design-Schleifen wirkungsvoll eingespart werden. Hilfreich war für das High-Performance-Klima aber auch sicherlich die sehr klare Zielsetzung: An Tag X soll ein fertiges Produkt zugelassen und marktfähig verfügbar sein – dieses Big Picture war allen Beteiligten folglich immer präsent und galt es zu realisieren. 

Prüfinstitutionen von Anfang an beteiligen

Ein wichtiges Element war auch die unmittelbare Einbindung der von Secunet beauftragten SRC-Prüfstelle, mit der alle sehr eng zusammengearbeitet haben, um die erforderlichen Standort-Zertifizierungen zu realisieren. So waren sichere Bereiche zu schaffen mit Bewegungsmeldern, sicherem Netzwerk usw., um eine Common-Criteria-Zertifizierung des BSI zu realisieren, wobei für Hochsicherheits-relevante Themen eine spezielle Plattform zur Projektkoordination zum Einsatz kam. Dieses Audit wurde deshalb auch auf Anhieb bestanden. BSI-zertifiziert ist heute zudem nicht nur jeder einzelne Partner, sondern auch alle Teile des Produkts – und dies über die gesamte Wertschöpfungskette und alle Partner hinweg.

Sichere Serienfertigung

Eine sehr enge Abstimmung war sowohl in der Entwicklung als auch für die Fertigung der Serie erforderlich. So wurden alle Fertigungsabläufe und Dokumentationsanforderungen gemeinsam mit Secunet entwickelt und implementiert. Frühzeitige Tests gewährleisteten dabei einen reibungslosen Serienstart. Auch konnten die Fertigungszahlen ohne Probleme von 2.000 Stück pro Monat auf über 10.000 skaliert werden, da organisatorische Ablauf-, Ausfall- und Serienszenarien genauso umfangreich getestet und trainiert wurden wie technisch erforderliche Signal-Compliance, EMV- oder Klimatests.

Standardboard dient als technologische Basis

Technologische Basis für den neuen Medical Edge Connector hat übrigens ein Boarddesign von Congatec geliefert, das mit seinen hardwarenahen Security-Funktionalitäten überzeugt, die perfekt zu den Anforderungen von S.I.E. und Secunet passten. Bei der Auswahl der passenden Hardwareplattform galt es nämlich, die Themen Sicherheit, Datenschutz, Verschlüsselung und die Analyse von potenziellen Angriffsvektoren umfassend zu berücksichtigen. Auf bereits in Serienproduktion befindliche Produkte zu setzen bietet auch bei applikationsspezifischen Varianten die notwendige Sicherheit, dass selbst bei großen Einzelserien keine gravierenden Kinderkrankheiten auftauchen werden. Dies hat sich im konkreten Projekt bewahrheitet. 

Zeljko Loncaric
mednic-Gastautor Zeljko Loncaric (Foto: Congatec)