Digital Detox reicht nicht

Digital Detox – digitales Entgiften – halten viele Nutzer für die passende Antwort auf zu viel Konsum von digitalen Medien. Doch der meist nur kurzfristige, komplette Verzicht auf Smartphone & Co. ist nach Einschätzung von Psychologen nicht die richtige Strategie.

Wenn das Smartphone allgegenwärtig ist und scheinbar perfekte Bilder dauerhaft die Realität überlagern, greift das unsere Gesundheit an. Digital Detox – digitales Entgiften – ist für viele User die Antwort. Karin Benz, Diplom-Psychologin und Referentin für Weiterbildung bei der IKK Südwest, bezweifelt den Nutzen dieses Trends.

„Digitale Medien schlichtweg aus unserem Alltag zu verbannen, trägt nicht zwangsläufig zu einem kompetenten und gesunden Umgang mit der Informationsflut bei“, erklärt Benz. Statt des kurzfristigen Komplettverzichts auf Smartphone, Tablet und Co. rät sie, die eigenen Gewohnheiten aufmerksam zu überprüfen: Wann greife ich zum Smartphone, wann bin ich online – und warum?

Smartphone-Nutzung stimuliert Belohnungszentrum

Häufig sind es routinemäßige Vorgänge wie der Blick auf die Uhrzeit oder Push-Benachrichtigungen, die Nutzer das Smartphone entsperren und daran kleben bleiben lassen. „Schnelle Reaktionen auf neu eintreffende Nachrichten stimulieren unser Belohnungszentrum im Gehirn. So entsteht eine grundlegende Suchtgefahr“, erklärt Karin Benz.

Doch neben der Diagnose Internetsucht sieht die Expertin bei unreflektiertem Gebrauch digitaler Medien einen weiteren gesundheitlichen Stolperstein: Stress. Nicht nur durch den Druck, für digitale Inhalte immer verfügbar sein zu müssen. „Stress entsteht immer da, wo Erwartungen nicht erfüllt werden. Beim Betrachten der meist inszenierten Bilder und Posts auf Facebook, Instagram und anderen Seiten finden soziale Vergleichsprozesse statt. Durch Untersuchungen konnte man belegen, dass sich insbesondere junge Menschen nach dem Besuch dieser Seiten schlechter fühlen als vorher, weil sie sich und ihre Aktivitäten an dem Gesehenen messen und eigentlich nie gut genug sein können. Dies löst erst mal schlechte Laune und eine negative Stimmung aus, es kann aber bei entsprechender Disposition auch zu ernsthaften Krankheiten wie Depressionen führen“, führt Benz aus.

Die analoge Welt bewusst wahrnehmen

Die Trennung auf Zeit von den digitalen Endgeräten, wie viele Leute sie derzeit betreiben, macht nur bedingt Sinn. „Drei Tage ‚entgiften‘, also offline leben, um dann danach wieder genauso weiterzumachen wie bisher, hat nur wenig positiven Einfluss auf die Gesundheit“, konstatiert die Psychologin. Besser sei dagegen generell mehr Achtsamkeit im Alltag: Die echte, analoge Welt bewusster wahrnehmen – und vor allem sich selbst. Wer in Gedanken stets bei virtuellen Freunden, Empfängern und Followern ist, nimmt schnell im eigenen Leben eine Beobachterrolle ein. Aktivitäten werden nur ausgeführt, wenn oder weil sie vorzeigbar für die digitale Entourage sind.

Um Suchtrisiko und Digitalstress zu verringern, sollte der Blick nach innen gerichtet werden. Raum dafür verschaffen kleine Kniffe wie beispielsweise das handyfreie Aushalten von Wartezeiten, die Nutzung eines analogen Weckers oder einer konventionellen Armbanduhr – sie reduzieren die Anlässe, bei denen das Display aktiviert wird. „Wer die Mechanismen rund um das eigene Bildschirmverhalten kennt, kann leichter einem übermäßigen Gebrauch entgegensteuern. Und so effektiver die vielen Vorteile der digitalen Medien wie Zeitersparnis und kurze Kommunikationswege nutzen“, erklärt Diplom-Psychologin Benz.

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