Deutsches Gesundheitswesen verliert Vertrauen

Immer weniger Deutsche sind mit ihrem Gesundheitswesen zufrieden. Eine aktuelle Umfrage zeigt: Nur noch 55 Prozent der Bürger zählen es zu den drei besten Systemen der Welt – vor zwei Jahren lag dieser Wert noch bei 64 Prozent, vor einem Jahr immerhin noch bei 59 Prozent. Ein Grund für das schwindende Vertrauen ist das geringe Tempo bei der E-Health-Einführung.

Das zeigen die Ergebnisse des „Healthcare-Barometers 2019“, einer repräsentativen Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC unter 1.000 Bundesbürgern, die bereits zum fünften Mal durchgeführt wurde. Vor allem bei Bundesbürgern über 55 Jahre, die in der Regel häufiger in medizinischer Behandlung sind, ist der Zustimmungswert 2018 gegenüber dem Vorjahr von 59 auf 53 Prozent gesunken.

„Deutschland hat noch immer eine medizinische Versorgung auf sehr hohem Niveau“, sagt Michael Burkhart, Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei PwC. Im internationalen Vergleich liege Deutschland puncto technologische Entwicklung weit zurück. „In anderen Ländern ist die elektronische Patientenakte, die zeitlich flexible Wertemessung per App oder die ortsunabhängige Behandlung per Video-Chat längst Wirklichkeit, in Deutschland kommen digitale Technologien erst langsam beim Patienten an“, so Burkhart. Er führt die sinkende Zufriedenheit auch darauf zurück, dass Deutschland beim Zukunftsthema E-Health kaum vorankommt.

Ärzte in der Kritik

Unzufrieden zeigen sich die Versicherten mit der Behandlung bei niedergelassenen Ärzten: Vier von zehn Deutschen sind der Ansicht, dass sich ihr Arzt zu wenig Zeit für sie nimmt. 24 Prozent der Patienten beklagen, dass die Öffnungszeiten der Praxen nicht den eigenen Bedürfnissen entsprechen, ein Jahr davor lag der Anteil bei 20 Prozent. 22 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass sie vom Arzt und den Praxismitarbeitern nicht ernst genommen werden. Immerhin 33 Prozent sind mit der ärztlichen Behandlung zufrieden.

„Die Erwartungen an Zuwendung und Service sind deutlich gestiegen. Dem steht die Zeitknappheit entgegen, die sich zu einem zentralen Problem in unserem Gesundheitssystem entwickelt hat. Sie wirkt sich inzwischen negativ auf das Verhältnis zwischen Arzt und Patient aus“, so Burkhart. Umso wichtiger ist es seiner Einschätzung nach, dass Ärzte wieder mehr Wert auf den Faktor Mensch legen, und sich gleichzeitig Entlastung bei Routineabläufen suchen, etwa durch digitale Technologien.

Klinikwahl: Hausarzt verliert Einfluss

Die stationäre Versorgung in Krankenhäusern schätzt jeder zweite Bundesbürger als gut oder sehr gut eint. Wenn es um die Wahl des richtigen Krankenhauses geht, verliert der Hausarzt jedoch erkennbar an Einfluss. Während sich 2017 noch 61 Prozent bei ihm informierten, hörten 2018 nur noch 54 Prozent auf seinen Rat. Die Empfehlung von Freunden und Bekannten gewinnt hingegen an Bedeutung (2017: 42 Prozent, 2018: 46 Prozent). „Auch in diesem Punkt zeigt sich, dass Patienten ihrem Arzt nicht mehr unkritisch folgen, sondern sich ihre eigene Meinung bilden wollen und sich selbst informieren“, sagt Michael Burkhart. Der mündige Patient, der sich eine Begegnung auf Augenhöhe wünsche, werde immer stärker Wirklichkeit.

Krankenkassen im Aufwind

Mit den Leistungen ihrer Krankenkasse sind 86 Prozent der Deutschen zufrieden. 81 Prozent der Patienten sind davon überzeugt, dass sie alle Leistungen für eine gute medizinische Versorgung erhalten. Ein Jahr zuvor lag dieser Anteil noch bei 78 Prozent. „Vermutlich spiegelt sich in diesem Ergebnis die gute wirtschaftliche Lage der gesetzlichen Krankenkassen, die es ihnen erlaubt, auch Zusatzleistungen zu bewilligen“, so Burkhart.

Mehr Vertrauen in die Pharmaindustrie

Der Pharmaindustrie standen viele Versicherte in den vergangenen Jahren skeptisch gegenüber. Zwar betrachten noch immer 69 Prozent sie eher als Unternehmen, die auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind, denn als innovative Unternehmen, die mit ihren Produkten Menschen heilen (20 Prozent). Doch der Branche gelingt es, ihr Image zu verbessern und Vertrauen aufzubauen: 2014 äußerten noch 76 Prozent den Vorwurf der Gewinnorientierung, lediglich 15 Prozent sahen die Unternehmen als Innovatoren. „Damit honorieren die Studienteilnehmer die enormen Fortschritte beispielsweise in der Krebstherapie, die Ergebnis intensiver Forschungstätigkeit sind“, ist Burkhart überzeugt.

Die Erwartungen der Versicherten sind jedoch noch. Die Pharmaindustrie soll in den nächsten Jahren neue Medikamente entwickeln, die neue Heilungschancen bieten, wie 65 Prozent fordern. Die Entwicklung günstiger Nachahmermedikamente, sogenannter Generika, ist den Versicherten dagegen weniger wichtig (29 Prozent). „Technologien wie Big Data und Künstliche Intelligenz können die Pharmaforschung in den kommenden Jahren enorm vorantreiben. Insofern ist die Hoffnung der Bürger berechtigt“, so Burkhart.

Boom für Apotheken im Internet

Zwei Drittel der Deutschen bestellen ihre Medikamente mittlerweile im Internet, weitere zehn Prozent können sich vorstellen, künftig bei einer Online-Apotheke zu ordern. Das entscheidende Kriterium für die Auswahl einer Online-Apotheke ist für 76 Prozent der Preis. Allerdings hat mehr als jeder Zweite bei Bestellungen aus dem EU-Ausland auch Angst vor gefälschten Medikamenten. Für Burkhart zeigt sich im Wachstumsmarkt Medikamentenversandhandel, dass digitale Technologien im Alltag der Versicherten längst angekommen sind. Nun müssten sie auch in den weiteren Bereichen der Medizin Einzug halten.