Woher wissen die Zellen in einem menschlichen Embryo, wo sie sich im Körper befinden und wie sie sich entwickeln sollen? Warum bilden bestimmte Zellen einen Finger und andere nicht? Welche molekularen Mechanismen diese Schritte steuern, haben Freiburger Biologen am Beispiel der Fruchtfliege entschlüsselt: Sie haben gezeigt, warum sich an bestimmten Stellen im Flügel einer Fruchtfliege Venen ausbilden. Das Protein Pentagone sorgt dafür, dass sich ein bestimmtes Signal im Flügel ausbreitet, dank dem die jeweiligen Zellen wissen, wie sie sich verhalten sollen.
„Die Proteine Dpp und Pentagone, die für diesen Entwicklungsschritt im Organismus Drosophila melanogaster ausschlaggebend sind, liegen in ähnlicher Form auch beim Menschen vor“, sagt der Freiburger Biologe Dr. Giorgos Pyrowolakis. Das Team um Pyrowolakis mit Jennifer Gawlik, Dr. Mark Norman, Alexander Springhorn und Robin Vuilleumier hat seine Forschungsergebnisse im britisch-amerikanischen Fachmagazin „eLife“ veröffentlicht. Die Ergebnisse sollen künftig einen Beitrag dazu leisten, den Ursprung von Entwicklungsstörungen zu verstehen.
Das Protein Dpp liegt in einem Zellverbund in unterschiedlich hoher Konzentration vor: Die Zellen, die sich in der Mitte des zukünftigen Flügels befinden, stellen Dpp her. Von dieser Quelle ausgehend breitet sich das Protein über die weiteren Zellen in absteigender Konzentration aus. Mathematisch handelt es sich hierbei um einen Gradienten. Je nachdem, wo sich eine Zelle in diesem Konzentrationsgefälle befindet, werden unterschiedliche Gene aktiviert. Jede Zelle entwickelt sich wie von den in ihr aktivierten Genen vorgegeben, und wenn bestimmte Schwellenwerte erreicht sind, entwickeln sich Venen. Somit bestimmt der Gradient die Distanz zwischen den Venen des Fruchtfliegen-Flügels.
Pentagone vergrößert Protein-Reichweite
Die Zellen, die am weitesten von der Dpp-Quelle entfernt sind, erzeugen Pentagone. Ohne dieses Protein gäbe es kein Konzentrationsgefälle im Zellverbund und Dpp würde sich nicht von seinem Entstehungsort wegbewegen. Ist das Gen für Pentagone in Fruchtfliegen ausgeschaltet, sind die Flügel der Insekten verkleinert und die äußere Vene fehlt. „Pentagone bringt Dpp dazu, sich weiter auszubreiten“, so Pyrowolakis. „Somit vergrößert es die Reichweite des Proteins.“
Thermostat-Funktionsweise
Die Freiburger Biologen haben in ihrer Studie entschlüsselt, welche molekularen Vorgänge hinter diesen Prozessen stecken. Dpp bindet an Rezeptoren, die sich auf der Oberfläche der Zelle im zukünftigen Flügel befinden, und setzt in der Zelle eine Signalkette in Gang. Abhängig von der Menge der Rezeptoren, die Dpp binden, aktiviert die Signalkette verschiedene Gene. Pentagone bindet an Teile des Rezeptors, an so genannte Co-Rezeptoren. Diese funktionieren wie Fangarme: Sie „ergreifen“ Proteine und geben diese an den Rezeptor weiter. Pentagone bewirkt, dass die Co-Rezeptoren ins Innere der Zelle gedrückt und dort abgebaut werden. Somit gibt es auf der Zelle weniger Co-Rezeptoren, die Dpp binden und weitergeben können, und die Rezeptoren sind weniger aktiv. Das Konzentrationsgefälle von Pentagone ist dem von Dpp entgegengesetzt. Je näher eine Zelle am Produktionsort von Pentagone liegt, desto weniger Dpp kann sie binden. Die Menge von Pentagone passt sich dabei an das Vorkommen von Dpp an. „Wenn der Flügel wächst, dehnt sich auch der Gradient von Dpp aus“, sagt Pyrowolakis. „Pentagone funktioniert wie ein Thermostat, das den Gradienten hoch- und runterreguliert.“
Giorgos Pyrowolakis ist Gruppenleiter am Institut für Biologie I, Abteilung Entwicklungsbiologie, der Albert-Ludwigs-Universität, Mitglied des Freiburger Exzellenzclusters BIOSS Centre for Biological Signalling Studies sowie Principal Investigator der Spemann Graduiertenschule für Biologie und Medizin (SGBM). Jennifer Gawlik ist Mitglied seiner Arbeitsgruppe und Mitglied der SGBM. Robin Vuilleumier und Alexander Springhorn sind ehemalige Mitglieder der Arbeitsgruppe von Pyrowolakis. Springhorn war ebenfalls Mitglied der SGBM. Der Erstautor dieser Studie, Mark Norman, war Postdoktorand in der Arbeitsgruppe. Sein Projekt wurde von BIOSS finanziert.
Originalpublikation
Mark Norman, Robin Vuilleumier, Alexander Springhorn, Jennifer Gawlik, Giorgos Pyrowolakis (2016). Pentagone internalises glypicans to fine-tune multiple signalling pathways. eLife. DOI: 10.7554/eLife.13301