Aufschwung für die digitale Medizin

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Digitale Gesundheitslösungen: 82 Prozent der Befragten betrachten die Krise als Chance (Illustration: Bakhtiar Zein/123rf.com)

80 Prozent der Start-ups im Bereich Digital Healthcare verzeichnen einer Umfrage zufolge eine höhere Nutzungsfrequenz ihrer Anwendungen seit Beginn der Coronakrise. Auch bei Ärzten und Patienten ist das Bewusstsein für digitale Angebote gewachsen.

Während viele Start-ups branchenübergreifend mit den wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 massiv zu kämpfen haben, erkennen Gründer und Investoren aus dem Bereich Digital Healthcare Wachstumspotentiale. Sowohl die hohe öffentliche Aufmerksamkeit für Gesundheitsthemen als auch der Boom digitaler Anwendungen in Zeiten des Social Distancings könnte die Branche rund um Gesundheits-Apps und Telemedizin beflügeln.

Werden Investoren mutiger?

Eine Umfrage unter 27 deutschen Start-ups im Bereich Digital Healthcare sowie unter Investoren zeigt: Die monatlichen Nutzerzahlen von Health- und Fitnessanwendungen sind seit Mitte März in Deutschland um 16 Prozent angestiegen. Die Zahl der Digital Health- und Fitness-App Nutzer erreicht hierzulande mit 20,4 Millionen einen neuen Höchststand (im Vergleich zu 17,6 Millionen im Vorjahreszeitraum). 80 Prozent der Digital-Health Start-ups berichten zudem, dass ihre Kunden die Apps immer häufiger nutzen. Entsprechend sehen 82 Prozent der Befragten die Krise als Chance und 72 Prozent rechnen mit höheren Investments in die eigene Sparte im Vergleich zum Vorjahr.

„COVID-19 beschleunigt die Digitalisierung in der Medizin in einem enormen Ausmaß. Patienten und Ärzte nutzen aktuell vermehrt virtuelle Behandlungsmöglichkeiten und erkennen deren Vorteile. Daher könnten sich digitale Lösungen auch mittel- und langfristig als Ergänzung traditioneller Methoden etablieren. Ihre Resilienz haben Digital-Healthcare-Start-ups schon während der Finanzkrise mit geringen Finanzierungsrückgängen unter Beweis gestellt. Das aktuelle Stimmungsbild der deutschen Gründerszene bestätigt uns in der Prognose, dass die Ausgaben für digitale Gesundheitslösungen bis 2030 allein in Deutschland ein Marktvolumen von rund 40 Milliarden US-Dollar erreichen werden“, erläutert Dr. Thomas Solbach, Studienautor und Partner bei dem Beratungsunternehmen Strategy&.

Wahrnehmung deutlich gewachsen

Als größte mittelfristige Wachstumschance betrachten 88 Prozent der Interviewten das krisenbedingt deutlich gestiegene Bewusstsein für digitale Angebote in der Bevölkerung, die durch die aktuell hohe Auslastung des Systems verstärkt einen eigenen neuen Zugang zu Gesundheitslösungen finden muss. Solche neuen Wege wie Gesundheits-Apps eröffnen aus der Sicht von 12 Prozent der Befragten neue COVID-19-spezifische Geschäftsfelder.

Gleichzeitig blicken deutsche Digital-Health Start-ups realistisch auf die einschränkenden Faktoren der Krise, die sie bewältigen müssen, um die Marktpotentiale ausschöpfen zu können. 58 Prozent machen sich Sorgen, dass Investoren Venture Capital aus Risikoprojekten zurückziehen. Außerdem befürchtet die Hälfte der Befragten, dass die Kostenträger in der Folge der Krise noch preissensibler agieren.

Im Bereich Marketing und Sales werden kontaktlose Alternativen zu Messen und persönlichen Treffen noch länger eine zentrale Rolle spielen. 62 Prozent der Befragten berichten von COVID-19-bedingten Veränderungen in diesem Bereich. Neue Möglichkeiten bieten Social-Media-Kanäle oder auch die digitale Kontaktaufnahme zu Ärzten, die ihre Patienten aktuell nur begrenzt persönlich betreuen können. Die steigenden Nutzerzahlen bei Gesundheits-Apps sollten die Start-ups zudem zeitnah in detaillierte Datenanalysen einfließen lassen, um den medizinischen Mehrwert ihrer Anwendungen zu dokumentieren.

Kooperationen denkbar und oft notwendig

„Für Digital-Healthcare-Start-ups könnte sich die COVID-19-Pandemie als entscheidende Wegmarke in der eigenen Entwicklung erweisen. Um Zertifizierungsprozesse und somit die Einführung innovativer Produkte weiter zu beschleunigen, sind Kooperationen etablierter Gesundheitsunternehmen, wie etwa Pharmafirmen, mit Start-ups denkbar, um langjährige Erfahrung mit innovativen Geschäftsideen zu vereinen. So könnte es gelingen, bürokratische Hürden im Dialog mit den Regulatoren schrittweise abzubauen. Der Weg hin zu einer patientenzentrierten digitalen Medizin mit dem Fokus auf Prävention ist angesichts des aktuellen Digital-Booms selten so klar vorgezeichnet wie heute“, resümiert Studienautor Solbach.

Für die Studie von Strategy& wurden mit Unterstützung des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung e.V. 27 deutsche Digital-Health-Gründer und -Investoren im April 2020 befragt.