Bei einigen Augenerkrankungen müssen Ärzte entscheiden, ob eine Spritze ins Auge erforderlich ist. Bei dieser Entscheidung könnten sie künftig von einer intelligenten Software unterstützt werden. Entwickelt und in augenärztlicher Diagnostik trainiert wurde der digitale Helfer von Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Regensburg (UKR).
Viele ältere Patienten leiden an nachlassendem Sehvermögen. Allein rund 4,5 Millionen Deutsche von der Altersabhängigen Makuladegeneration betroffen, und nahezu alle Diabetiker werden irgendwann einmal mit der Diagnose Diabetische Retinopathie konfrontiert. Solche Netzhauterkrankungen sind eine der häufigsten Ursachen für schwere Sehbeeinträchtigungen bis hin zur Erblindung. Die Optische Kohärenz-Tomographie (OCT), bei der eine Aufnahme von der Netzhaut angefertigt wird, ist Betroffenen als diagnostisches Standardverfahren vertraut. Auf Basis der OCT-Bilder und einer augenärztlichen Untersuchung entscheidet der Augenarzt über die Art der Behandlung. Eine der möglichen Therapieoptionen ist eine Injektion ins Auge zum Erhalt der Sehschärfe. Laut einer aktuellen Studie von Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Regensburg kann nun auch eine Software die OCT-Bilder auswerten und die entsprechende Behandlungsentscheidung treffen. „Wir haben einer Software gezeigt, wie wir Augenärzte OCT-Bilder beurteilen. Danach haben wir den Computer gefragt, wann er eine Injektion durchführen würde. Das Ergebnis ist beeindruckend“, sagt Studienautor Dr. Philipp Prahs, Leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde des UKR.
Für die Studie wurden über 165.000 OCT-Aufnahmen in eine intelligente Software eingespeist. Jede Aufnahme war mit der Information gekoppelt, ob sich die Augenärzte für oder gegen eine Spritze entschieden haben. Danach musste das Programm bei weiteren 17.000 Aufnahmen selbst beurteilen, ob es eine Injektion durchführen würde. Das Ergebnis: Die Software traf in bis zu 96 Prozent der Fälle die gleiche Entscheidung wie die Augenärzte. „Der Computer nimmt nach einem Lernprozess bei der Analyse von neuen OCT-Bilddaten eine Art Rasterfahndung nach bestimmten anatomischen Merkmalen im kompletten Bildarchiv vor. Bei der Beurteilung eines neuen Bildes schöpft er also aus dem Erfahrungsschatz der 165.000 verfügbaren Aufnahmen“, so Dr. Prahs.
Lernfähige Hilfe für den Augenarzt
Bei der Programmierung einer solchen Software wird die Funktionsweise der Nervenzellen im menschlichen Gehirn virtuell imitiert. Dadurch sollen die Computer die Fähigkeit erlangen, zu lernen und dann eigenständig Bilder zu beschreiben, Gesichter zu erkennen oder auch OCT-Bilder zu klassifizieren. „In den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz und der Bildverarbeitungsforschung erzielt.“, so Dr. Prahs und führt aus: »Wir haben diese Erkenntnisse auf die Analyse von Aufnahmen der Netzhaut übertragen.«
Augenarzt muss entscheiden
Die Arbeit des Augenarztes wird die Software jedoch nicht übernehmen. „Natürlich spielen bei der Entscheidung des Arztes im Gegensatz zur Software noch andere Komponenten als das reine OCT-Bild eine Rolle“, erläutert Dr. Prahs. Dennoch könnten derartige maschinelle Lernmethoden den Kliniker unterstützen – sozusagen als digitale Zweitmeinung und als schnell zugängliches, äußerst wertvolles Archiv von Therapieentscheidungen aus der Vergangenheit. Hier sollte nach Ansicht von Prahs jedoch darauf geachtet werden, die Entscheidung des virtuellen Gehirns nicht als Behandlungsempfehlung zu interpretieren. Vielmehr muss eine abschließende gründliche Bewertung durch den behandelnden Arzt sichergestellt sein. Ihre Ergebnisse der Studie hat die Forschergruppe um Dr. Prahs vor Kurzem in der internationalen Fachzeitschrift „Graefe’s Archive for Clinical and Experimental Ophthalmology“ veröffentlicht.