NRW auf dem Weg zum Smart Hospital

Dr. Anke Diehl ist Leiterin der Stabsstelle Digitale Transformation der Universitätsmedizin Essen. (Foto: O. Hartmann)

In einem von der Universitätsmedizin Essen angeführten Konsortium sollen Konzepte und Lösungen entstehen, die Krankenhäusern in NRW auf dem Weg zum Smart Hospital helfen. Mednic sprach mit Dr. Anke Diehl, Leiterin Stabsstelle Digitale Transformation der Universitätsmedizin Essen, über das Projekt.

mednic: Frau Dr. Diehl, in dem Konsortium erarbeitet ein Team aus Forschenden Konzepte und Lösungen, wie Krankenhäuser aus NRW in sogenannte „Smart Hospitals” transformiert werden können. Was ist der Grund für dieses Vorhaben?

Dr. Anke Diehl: Die Corona-Pandemie hat wie unter einem Brennglas die mangelnde Digitalisierung auch in unserem Gesundheitssystem deutlich gemacht. Digitale Technologien bieten aber auch und gerade im Gesundheitswesen eine große Chance. Es sind immer mehr Gesundheitsdaten verfügbar – intelligent ausgewertet ermöglichen sie es, die gesundheitliche Früherkennung, Diagnostik, Behandlung und Nachsorge weiter zu entwickeln. KI-Systeme bergen also ein enormes Potenzial, die Patientenversorgung zu verbessern, Personal zu entlasten und Prozesse effizienter zu gestalten. Ziel von SmartHospital.NRW ist es, dieses Potenzial zu heben und für Krankenhäuser in NRW nutzbar zu machen. 

Flagship-Initiative

Unser Konsortium ist eine sogenannte Flagship-Initiative von KI.NRW. Das Netzwerk unterstützt vom Land geförderte, hochinnovative und anwendungsbezogene Projekte mit hoher gesellschaftlicher Relevanz und hilft dabei, diese auch über die Landesgrenzen hinweg sichtbar zu machen. Wir hatten uns zuvor gemeinsam auf eine Ausschreibung der Spitzencluster-Förderung des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie als Leuchtturmprojekt beworben. Ohne das Spitzencluster und KI.NRW würde es das Konsortium also gar nicht geben. 

mednic: Wer ist beteiligt und welche Kompetenzen bringen die einzelnen Akteure – insbesondere die Universitätsmedizin Essen – mit? 

Dr. Anke Diehl: Mit an Bord ist ein Team aus Wissenschaftler*innen der Fraunhofer-Institute für Intelligente Analyse- und Informationssysteme, kurz IAIS, und für Digitale Medizin, MEVIS. Das IAIS bringt seine langjährige Erfahrung in der Entwicklung von KI-Technologien und Sprachsystemen ein, während MEVIS über Knowhow in der Entwicklung praxistauglicher Softwaresysteme in der Medizin verfügt. Die Experten der TU Dortmund sollen das Konsortium durch ihre Erfahrung im Umgang mit Sensordaten unterstützen und der Lehrstuhl für Technologie- und Innovationsmanagement der RWTH Aachen ergänzt im Hinblick auf Vorgehensmodelle. Die m.Doc GmbH ist schwerpunktmäßig für die Brücke zum Patienten nach Hause verantwortlich. Schließlich ist noch die GSG Consulting GmbH Teil des Teams, Spezialisten für grafische User-Interfaces. 

Leitbild für die Digitalisierung

Die Universitätsmedizin Essen fungiert als Leitbild für die Digitalisierung, schließlich haben wir uns bereits 2015 auf den Weg zum Smart Hospital gemacht. Wir werden gemeinsam genau analysieren, was bei uns gut funktioniert hat, was nicht und warum – und ganz wichtig, was sich davon adaptieren lässt. Zudem leitet die Universitätsmedizin Essen mit PD Dr. Felix Nensa auch die KI-Forschung im Rahmen des Projektes. Auch die Stabsstelle Digitalisierung und Pflege unter Leitung von Bernadette Hosters spielt eine wesentliche Rolle, schließlich ist die Pflege die größte Berufsgruppe in Kliniken. Wir halten es für ausgesprochen wichtig, dass pflegerische Aspekte von Beginn an mitgedacht und integriert werden – auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Schließlich ist Prof. Christoph Schöbel, Inhaber des Lehrstuhls für Tele- und Schlafmedizin involviert. Hier verfügt man bereits über jede Menge Erfahrung darin, Daten zu nutzen, die zu Hause erhoben werden. Denn das ist ein wichtiges Thema – Ableitungs- und Auswertungsort sind bei der Gewinnung medizinischer Daten nicht unbedingt gleich. Wir versuchen hier also auch schon die Brücke zwischen Klinik und zu Hause zu schlagen.

Unterschiedliche Digitalisierungsgrade berücksichtigen

mednic: Welche Konzepte, Lösungen und Anwendungsszenarien werden im Einzelnen erprobt? Inwiefern könnten Kliniken davon profitieren?

Dr. Anke Diehl: Ziel ist es, ein Vorgehensmodell zu entwickeln, das auf Krankenhäuser mit unterschiedlichen Digitalisierungsgraden übertragen werden kann. Konkret erprobt werden drei Use-Cases: eine Lösung zur Automatisierung von Prozessen am Beispiel medizinischer Dokumente. Hierbei geht es darum, aus Textdokumenten – also beispielsweise OP-Berichten – automatisiert die wichtigsten Daten herauszufiltern, um daraus semi-automatisch Arztbriefe zu erstellen. Daneben möchten wir ein Sprach- und Dialogsystem für den klinischen Einsatz entwickeln. Dabei verfolgen wir die Idee, dass medizinisches Personal digitale Informationen per Sprachbefehl oder Gestensteuerung, also kontaktlos und steril, am Computer aufrufen kann.

Mehrwert für Patienten

Zugleich soll es aber auch Patient*innen auf der Station zugutekommen, indem sie per Sprachbefehl ihr Bett oder die Jalousien anders einstellen oder nach der nächstgelegenen Cafeteria fragen können. Eine KI-gestützte Gesundheitsdatenanalyse zur Diagnostikunterstützung steht ebenfalls auf unserer To-do-Liste. Hier geht es um die Analyse von Gesundheitsdaten, um Risikofaktoren zu identifizieren. Und weil der Wissenstransfer ein zentrales Anliegen des Konsortiums ist, wird es zudem einen Showroom geben, in dem die Entwicklungen präsentiert, diskutiert und weiterentwickelt werden sollen.

Mitarbeiterqualifizierung wichtig

mednic: Gibt es in Essen bereits erste Erkenntnisse durch ihren bereits beschrittenen Weg zum Smart Hospital?

Dr. Anke Diehl: Die gibt es bereits, aber bei SmartHospital.NRW geht es im Rahmen unserer Leitbild-Funktion eben auch darum, unsere Erkenntnisse durch diesen bereits beschrittenen Weg nochmals systematisch unter die Lupe zu nehmen. 

Was wir jedoch definitiv schon erkannt haben, ist, wie wichtig das Thema Mitarbeiterqualifizierung ist. So haben wir im letzten Jahr bereits gemeinsam mit der FOM, Hochschule für Oekonomie und Management in Essen, einen neuen Studiengang Pflege und Digitalisierung ins Leben gerufen. Mittlerweile haben wir die ersten Module eigenen Mitarbeiter*innen angeboten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt – das Bestandspersonal mitzunehmen. Schließlich haben sich viele aus anderen Gründen für den Beruf entschieden. Die Akzeptanz für digitale Lösungen muss eventuell gefördert werden, indem ganz konkret aufgezeigt wird, wie die Digitalisierung den Berufsalltag erleichtern kann. Auch eine Menge von KI-Projekten haben wir bereits gestartet. Jetzt geht es darum, wie sich diese in eine innovative Kliniklandschaft integrieren lassen. Welche Voraussetzungen sind technisch und wirtschaftlich erforderlich? Können das eventuell nur große Kliniken leisten oder auch kleinere Häuser? Nicht jeder hat schließlich eine so große IT-Abteilung wie wir als Universitätsmedizin. Hier werden sicherlich viele Erkenntnisse angepasst werden müssen.

mednic: Welche Probleme in Kliniken könnten Ihrer Einschätzung nach durch Smart Hospitals abgemildert oder sogar behoben werden und welche nicht? 

Dr. Anke Diehl: Prozesse können effizienter gestaltet werden, so dass Personal von administrativen Aufgaben entlastet wird und wieder mehr Zeit für den direkten Patientenkontakt hat. Mittels KI lässt sich in vielen Fällen aber auch die Fehlerwahrscheinlichkeit verringern. In Summe geht es darum, die Digitalisierung dazu zu nutzen, dass die Medizin wieder empathischer wird. Der Mensch soll konsequent im Mittelpunkt stehen. Das sorgt am Ende auf allen Seiten für mehr Zufriedenheit, gleichermaßen bei Patientinnen und Patienten wie beim Personal. Tatsächlich haben wir festgestellt, dass wir für viele potentielle Mitarbeiter*innen aufgrund unserer Digitalisierungsoffensive ein besonders attraktiver Arbeitgeber sind, soll heißen, dass die Digitalisierung auch dazu beitragen kann, den Pflegeberuf wieder attraktiver zu machen. Den Pflegenotstand werden wir mittels digitaler Lösungen sicherlich nicht beheben können. Das ist eine langfristige politische Aufgabe.  

Neu entwickelte Prototypen im Showroom

mednic: Wie gestaltet sich der Zeitplan für das aktuelle Forschungsvorhaben, wann soll es Ergebnisse geben?

Dr. Anke Diehl: Das komplette Forschungsvorhaben ist auf fünf Jahre angelegt. Was zuerst sichtbar sein wird, ist der bereits erwähnte Showroom für Veranstaltungen und Workshops. Hier sollen später die neu entwickelten Prototypen aufgebaut werden. Stakeholder und Anwender können sich hier treffen, Start-up Pitches und Hackathons werden einzelne Aspekte vertiefen. Weiterer wichtiger Meilenstein wird unser Readiness-Check für Kliniken sein, also ein White Paper, das in gut einem Jahr veröffentlicht werden soll. Die Veröffentlichungen von Kosten-Nutzenanalysen und konkreter Vorgehensmodelle sind in der Mitte des Vorhabens geplant. 

mednic: Gibt es bereits Pläne, in welchem Umfang Krankenhäuser aus NRW zu Smart Hospitals werden sollen? 

Dr. Anke Diehl: Es ist wünschenswert für ganz NRW, dass alle Krankenhäuser sich dahingehend weiterentwickeln und ihr Potential in puncto Digitalisierung weiter ausschöpfen. Auch die Bundesregierung hat die Bedeutung des Themas erkannt, wie nicht zuletzt das Krankenhauszukunftsgesetz zeigt. Alle Krankenhäuser können nun Gelder beantragen. Umso wichtiger ist es jetzt, die Erkenntnisse darüber, wie Digitalisierung erfolgreich angestoßen und umgesetzt werden kann, in Umlauf zu bringen. Wir arbeiten mit SmartHospital.NRW auch daran, dass NRW dahingehend ein Leuchtturm für ganz Deutschland wird und eine Spitzenposition einnimmt.

Planung stärken – Engpässe vermeiden

mednic: Welche Stärken hätten Smart Hospitals in besonderen Situationen, wie beispielsweise in der aktuellen Pandemie?

Dr. Anke Diehl: Sie hat extrem gezeigt, wie wichtig eine gute Telematikinfrastruktur ist. Zum einen im Hinblick auf den Austausch von Patientendaten über die Distanz hinweg. Aber auch im Hinblick auf logistische Fragestellungen. Hier sind wir an der Universitätsmedizin Essen vergleichsweise gut aufgestellt. Wir verfügen bereits über zahlreiche Anwendungen im Klinikalltag. So kann beispielsweise unsere Apotheke genau erkennen, wie sich der Bedarf für Medikamente entwickelt und frühzeitig darauf reagieren. Das gilt auch für die Planung diagnostischer und weiterer therapeutischer Mittel, bis hin zur Versorgung mit Masken und Handschuhen. Wenn diese Daten zentral zur Verfügung stehen, lassen sich Engpässe viel besser vermeiden. Beim flexiblen Ausbau der Intensivkapazitäten hat sich unser digitales Bettenmanagement einmal mehr als Vorteil erwiesen.

Datenschutz darf nicht zur Bremse werden

Zudem haben wir für unseren Krisenstab ein Dashboard entwickelt. In einer sehr komplexen Gemengelage, wie sie gerade zu Beginn der Pandemie gegeben war, ein sehr hilfreiches Instrument. Auch die Telemedizin hat durch die Pandemie einen echten Schub erlebt. Jetzt stellt sich die Frage, wie lange es wohl noch dauern wird, bis auch das Papierrezept abgeschafft wird, mit dem aktuell noch entsprechende Apps verschrieben werden. In anderen Ländern ist man hier schon viel weiter. Es gibt also noch viel zu tun – insbesondere auch, was den Datenschutz anbelangt. Seine enorme Bedeutung steht für mich völlig außer Frage, aber er darf eben digitale Lösungen mit einem echten Mehrwert nicht verhindern.