Bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen gehört Deutschland zu den Schlusslichtern. Das zeigt eine internationalen Vergleichsstudie der Bertelsmann Stiftung, bei der Deutschland auf Rang 16 von 17 untersuchten Ländern liegt. Nur Polen schneidet in Bezug auf die digitale Gesundheit schlechter ab. Im Rahmen der Studie wurde analysiert, wie aktiv die Gesundheitspolitik in den Ländern bei der Digitalisierung handelt: Welche Strategien gibt es, welche funktionieren? Welche technischen Voraussetzungen sind vorhanden und inwieweit werden neue Technologien tatsächlich genutzt?
„Während Deutschland noch Informationen auf Papier austauscht und an den Grundlagen der digitalen Vernetzung arbeitet, gehen andere Länder schon die nächsten Schritte“, sagt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. So setzen beispielsweise Mediziner in Israel bereits systematisch künstliche Intelligenz etwa zur Früherkennung von Krebserkrankungen ein. „Unsere Gesundheitspolitik muss entschlossener handeln als in der Vergangenheit und ihre Führungsrolle bei der Gestaltung der Digitalisierung weiter ausbauen – nicht als Selbstzweck, sondern zum Nutzen der Patienten”, so Mohn.
Hier ist digitale Gesundheit bereits Alltag
Auf den ersten Rängen des Vergleichs landen Estland, Kanada, Dänemark, Israel und Spanien. In diesen Ländern sind gehören digitale Technologien bereits zum Alltag von Arztpraxen und Krankenhäusern. So werden Rezepte digital übermittelt und wichtige Gesundheitsdaten der Patienten in elektronischen Akten gespeichert – Ärzte und Kliniken können direkt darauf zugreifen. In Estland und Dänemark haben bereits heute alle Bürger die Möglichkeit Untersuchungsergebnisse, Medikationspläne oder Impfdaten online einzusehen und Zugriffsmöglichkeiten für Ärzte und andere Gesundheitsberufe selbst zu verwalten. In Israel und Kanada zählen Ferndiagnosen und Fernbehandlungen per Video zur Gesundheitsversorgung.
Die Studie der Forschungsgesellschaft Empirica im Auftrag der Bertelsmann Stiftung besteht aus zwei Teilen: einem Digitalisierungs-Index, für den Experten aus den untersuchten Ländern jeweils zu rund 150 Kriterien Einschätzungen abgegeben haben, und einer detaillierteren Analyse von fünf für Deutschland in dem Feld besonders interessanten Gesundheitssystemen. „So verschieden die Systeme auch sind, jetzt können wir Erfolgsfaktoren erkennen, von denen Deutschland lernen kann“, ist Thomas Kostera, Studienleiter bei der Bertelsmann Stiftung, überzeugt.
Dreiklang für digitale Transformation
Die Voraussetzung für eine gelingende digitale Transformation im Gesundheitswesen ist demnach ein Dreiklang aus effektiver Strategie, politischer Führung und einer politisch verankerten Institution zur Koordination des Digitalisierungsprozesses. Erfolgreiche Länder gehen strategisch und in pragmatischen Schritten vor. Dort werden einzelne Prozesse wie das digitale Rezept nach und nach eingeführt. Gleichzeitig gibt Politik gibt einen klaren Rahmen vor, sorgt für Akzeptanz bei den Akteuren und treibt die Entwicklung, so die Studie. In allen analysierten Ländern außer Deutschland und Spanien gibt es auf nationaler Ebene „Agenturen für digitale Gesundheit. Sie sind zum Beispiel für die Definition von technischen Standards und Datenformaten für die Elektronische Patientenakte verantwortlich.
Deutschland verliert sich im Detail
Die ersten Schritte in Richtung digitale Gesundheit Deutschland zwar schon früh gemacht. Bereits 2003 hat die Bundesregierung die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte beschlossen. Außerdem gibt es seit vielen Jahren erfolgreiche digitale Pilotprojekte auf regionaler Ebene. Dazu zählt zum Beispiel die Notfallversorgung von Schlaganfallpatienten oder das Telemonitoring von Menschen mit Herzerkrankungen. Auch eine lebendige Start-up-Szene zeigt, dass digitale Technologien kranken Menschen helfen können. Trotzdem sind die technologischen Möglichkeiten in Deutschland nicht bundesweit und für alle Patienten nutzbar. Im Alltag der Versorgung ist bislang wenig angekommen.
„Die Politik hat in der Vergangenheit die Verantwortung für die digitale Transformation an die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen delegiert“, sagt Kostera. „Hier haben sich die Akteure lange Zeit gegenseitig blockiert. Es ist noch nicht gelungen, alle Verantwortlichen hinter einem gemeinsamen Ziel zu versammeln.“ In jüngster Zeit habe die Gesundheitspolitik ihre Führungsrolle ausgebaut. Doch es sei nicht ausgemacht, dass die angedachten Entwicklungen etwa im Bereich der Elektronischen Patientenakten zum Erfolg führen. Der Blick in andere Länder helfe, Stolpersteine zu vermeiden.
E-Health-Handlungsempfehlungen
Die Studienautoren geben folgende Handlungsempfehlungen, damit die Digitalisierung im Gesundheitswesen auch hierzulande schneller umgesetzt wird:
Politische Führung ausbauen
Der digitale Wandel im Gesundheitswesen muss aktiv gestaltet werden. Die Politik muss dabei entschlossener handeln als in der Vergangenheit.
Nationales Kompetenzzentrum etablieren
Entscheidend für eine erfolgreiche Digitalisierung ist die Koordination der Prozesse von zentraler Stelle. Das Kompetenzzentrum sollte verantwortlich sein für die Einbindung bestehender Institutionen, Interessengruppen, Experten und Nutzer sowie für die Standardisierung digitaler Anwendungen und die Definition von Schnittstellen. Es sollte politisch gesteuert und unabhängig von Akteursinteressen getragen werden.
Entwicklungen Schritt für Schritt angehen
Bei der weiteren Ausgestaltung der Digitalisierung im Gesundheitswesen gilt es, einzelne Behandlungsbereiche und Prozesse gezielt anzugehen – in pragmatischen Schritten. Handlungsleitend sollten dabei die erwartete Verbesserung der Versorgung sowie mögliche Effizienzgewinne sein.
Akzeptanz fördern
Digitaler Wandel braucht Akzeptanz und eine breit geteilte Zielvorstellung. Die Politik sollte die Kommunikation Richtung Bürger, Ärzte und andere Gesundheitsberufe sowie den Dialog über notwendige und wünschenswerte Entwicklungen als strategische Aufgabe begreifen und angehen.
Patienten und Ärzte als Nutzer systematisch einbeziehen
Bei der Entwicklung von Teilstrategien sowie digitalen Anwendungen und Prozessen sind die Nutzer – etwa Patienten und Ärzte – einzubeziehen. Dabei geht es um die Endnutzer selber, nicht deren Standesvertreter. Im Sinne der Akzeptanzförderung sollte der Nutzen von Anwendungen früh sichtbar werden.