Was die Pflegebedarfsbemessung leisten muss

Krankenschwester mit Patient
Krankenschwester mit Patient: „Personalmanagement und Personalentwicklung noch gezielter am Versorgungsbedarf ausrichten“ (Foto: kzenon/123rf.com)

Bis Ende 2024 soll ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Pflegepersonalbedarfs entwickelt werden. Dabei ist es nach Ansicht des DEKV besonders wichtig, die Pflegepersonalbesetzung am tatsächlichen Pflegebedarf der Patienten auszurichten.

45 Prozent der 1,5 Millionen Beschäftigten in deutschen Krankenhäusern sind Pflegekräfte. Für eine qualifizierte Patientenversorgung ist ihr täglicher Einsatz unverzichtbar. Dem gegenüber steht ein eklatanter Personalmangel in den Pflegeberufen: Im Jahr 2020 gab es für 100 gemeldete offene Stellen 47 arbeitssuchende Krankenpflegekräfte.

Arbeitsbedingungen müssen grundlegend besser werden

Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband (DEKV) sagt: Diesen Missstand werden weder intensive Personalwerbung noch gesteigerte Ausbildungszahlen alleine beheben können. Wichtig sei eine grundlegend verbesserte Arbeitsqualität in der Pflege: Arbeitsbedingungen, die dazu führen, dass Pflegekräfte im Beruf bleiben, in den Beruf zurückkehren und Teilzeitstellen aufstocken. Dafür muss vor allem die Pflegepersonalbesetzung am tatsächlichen Pflegebedarf der Patienten ausgerichtet sein, unterstreicht der DEKV. Die Voraussetzung dafür sei eine wissenschaftlich fundierte Pflegepersonalbedarfsbemessung im Krankenhaus. Der Ampel-Koalitionsvertrag sieht dazu die zeitnahe Einführung des von DKG, DPR und ver.di entwickelten Instruments PPR 2.0 vor.

PPR 2.0 als Interimslösung

„Die PPR 2.0 ist ein erster Schritt, doch sie ist nur als Interimslösung gedacht“, betont Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV). Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) hat die Selbstverwaltung den Auftrag erhalten, bis Ende 2024 ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Pflegepersonalbedarfs zu entwickeln und zu erproben (§ 137k SGB V). Die europaweite Ausschreibung für den Entwicklungsauftrag soll noch im Laufe des Januars 2022 starten.

Qualifikation der Pflegekraft

Die Interimslösung PPR 2.0 sehen Diakonie Deutschland und DEKV differenziert: Positiv ist, dass der Pflegekomplexmaßnahmen-Score (PKMS) und der Barthel-Index in die PPR 2.0 eingebunden sind. Die Bedarfe vulnerabler Gruppen, beispielsweise kognitiv oder motorisch eingeschränkter Menschen, müssen bei der Pflegebedarfsbemessung unbedingt berücksichtigt werden. Grundsätzlichen Nachbesserungsbedarf gibt es bei der Berücksichtigung des Qualifikationsmix der Pflegeprofessionen. In ihrer jetzigen Form ermittelt die PPR 2.0, wie viel Zeit die Pflege eines Patienten beansprucht. Welche Qualifikation die Pflegekraft für diese Leistung benötigt, fließt nicht ein. Die Grundpflege, wie beispielsweise die Körperpflege, kann durch Hilfskräfte qualifiziert ausgeführt werden. Die vorbehaltenen Tätigkeiten, Planung, Steuerung und Evaluation des Pflegeprozesses hingegen dürfen nur von dreijährig ausgebildeten oder studierten Pflegefachkräften durchgeführt werden. Für hochkomplexe Versorgungsprozesse, beispielsweise das Wundmanagement, werden darüber hinaus entsprechende Fort- und Weiterbildungen benötigt.

„Ich hätte mir gewünscht, dass die Erfassung des Qualifikationsmix bereits bei Entwicklung der PPR 2.0 Berücksichtigung gefunden hätte. Nur wenn bei der Bestimmung des Pflegepersonalbedarfs die Qualifikation der Pflegekräfte einfließt, können die Qualität der Pflege gesichert und Pflegekräfte entsprechend ihrer Befähigungen eingesetzt werden, womit sie auch Wertschätzung für ihre Kompetenzen erfahren. Das würde auch die akademische Pflege stärken“, sagt Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland. „Für die Krankenhäuser bietet der ermittelte Qualifikationsmix zudem die Möglichkeit, Personalmanagement und Personalentwicklung noch gezielter am Versorgungsbedarf auszurichten“, ergänzt Radbruch. „Der Qualifikationsmix in der Pflege muss bei der Entwicklung der zukünftigen Pflegebedarfsbemessung unbedingt einfließen“, ergänzt Loheide.

Praxistest ist unverzichtbar

In einem siebentägigen Pre-Test in 44 deutschen Krankenhäusern im November 2019 wurden Handhabbarkeit und Umsetzbarkeit der PPR 2.0 überprüft. „Welche Herausforderungen bei einer deutschlandweiten, verpflichtenden Einführung auf die Krankenhäuser zukommen, lässt sich aufgrund der sehr kurzen Erprobungsdauer und der nicht-repräsentativen Stichprobe aus dem Pre-Test nicht mit Sicherheit ableiten“, gibt der DEKV-Vorsitzende zu bedenken. 

Die Vorgängerversion PPR wird zwar vielfach noch eingesetzt, inzwischen werden aber auch andere Instrumente wie die Leistungserfassung in der Pflege (LEP) verwendet. Wie sich die Umstellung in diesen Krankenhäusern darstellt, bleibt abzuwarten, dort muss die PPR 2.0 in die IT-Systeme, Prozesse und Arbeitsabläufe neu integriert werden. Die Anwendungsvorschrift, die wichtige Belange wie beispielsweise das Ausfallmanagement regelt, war ebenfalls nicht Teil des Pre-Tests. „Der Einführung der PPR 2.0 sollte daher ein ausreichend langer, repräsentativer Praxistest vorausgehen“, fordert Radbruch.

Die PPR 2.0 ist eine Weiterentwicklung der Pflegepersonal-Regelung, die von 1993 bis 1997 in allen deutschen Krankenhäusern verpflichtend angewendet wurde. Die Ermittlung des Pflegebedarfs erfolgt über die Einstufung der Patienten in Schweregradgruppen. Jeder Schweregradgruppe ist ein täglicher Zeitaufwand zugeordnet, administrative und organisatorische Tätigkeiten, Aufnahme und Entlassung von Patienten werden durch pauschale Grund- und Fallwerte erfasst. Die Summe aller Zeitwerte wird in einen Personalbedarf umgerechnet. Dabei wird der Pflegepersonalbedarf eines Jahres aus dem Pflegebedarf des Vorjahres errechnet, modifiziert durch absehbare Änderungen der Patientenzahl. Die Zuteilung des so ermittelten Personals für das gesamte Krankenhaus auf die jeweiligen Stationen erfolgt durch das Pflegemanagement.