Tumorzellen auf dem Präsentierteller

Je mehr Tumorzellen sich im Blut zirkulieren, desto größer ist die Gefahr einer Metastasenbildung beim Patienten. Die Anzahl der Tumorzellen ist deshalb ein wichtiger Indikator dafür, ob und wie eine Therapie wirkt. Fraunhofer-Forscher haben jetzt einen Mikrolochchip entwickelt, der eine zuverlässige Identifizierung und Charakterisierung der Zellen ermöglichen soll – und das innerhalb von nur wenigen Minuten. Der neue Mikrolochchip kann 200 000 einzelne Zellen an einer exakten Position fixieren.

Mit dem herkömmlichen Analyseverfahren FACS (fluorescence-activated cell sorting) lässt sich die Anzahl der im Blut zirkulierenden Tumorzellen nur grob bestimmen. „Bei FACS werden die Zellen farblich markiert, sortiert und in verschiedenen Behältern gesammelt“, erklärt Dr. Thomas Velten, dessen Team den neuen Mikrolochchip am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT entwickelt hat. Die Anzahl der Farben für die Markierung ist jedoch begrenzt. „Irgendwann überlappen sie sich und man kann sie nicht mehr voneinander unterscheiden. Außerdem gibt es nicht für alle Tumorzellen gute Marker, daher werden sie mit FACS nicht erfasst.“ Zudem lässt sich beim FACS ein Messergebnis nicht eindeutig einer bestimmten Zelle zuordnen, da der Auffangbehälter Tausende von Zellen enthält.

„Eingefangene“ Tumorzellen

„Mit unserem neuen Mikrolochchip lassen sich die Zellen aus der Probe problemlos ‚einfangen’, für eine anschließende Analyse einzeln positionieren und nach der Analyse auch einzeln entnehmen. Denn hier liegen die Zellen geordnet nebeneinander wie auf einem Präsentierteller. Jede Zelle sitzt auf einem Loch, kann aber nicht durchrutschen. Sie wird von einem leichten Unterdruck angesaugt und fixiert“, so Velten. Dadurch können auch die Tumorzellen leichter entdeckt werden.

In einem gerade zu Ende gegangenen Verbundprojekt zur Identifikation zirkulierender Tumorzellen erfolgte die Zellanalyse in zwei Schritten: Zunächst wurden verdächtige Zellen mit Hilfe eines Mikroskops ausgewählt. Dann wurden sie mit der zeitaufwändigeren Methode der Raman-Spektroskopie eingehend untersucht. Dabei werden die Zellen mit dem Licht eines bestimmten Frequenzbereichs bestrahlt; anhand der Streuung lassen sich Tumorzellen sicher identifizieren. Mit dem neuen IBMT-Chip aus Siliziumnitrid ist das kein Problem – mit Chips aus Glas oder Kunststoff unmöglich, da die Materialien die ramanspektroskopische Messung stören.

Tumorzellen leichter finden

Der neue Mikrolochchip hat noch einen weiteren Vorteil:  Er bietet Platz für 200 000 Zellen, die innerhalb von wenigen Minuten auf ihr Loch rutschen. Eine wichtige Voraussetzung dafür, die Tumorzellen zu entdecken. „Nur wenn die Probe groß genug ist, kann man zirkulierende Tumorzellen überhaupt finden, weil sie im Blut in nur sehr kleiner Menge vorkommen. Ältere Chips haben rund 1000 Löcher. Das ist für diese Anwendung zu wenig“, erläutert Velten.

Die Tumorzellen auf dem Chip können mit einer Mikropipette einzeln entnommen und weiter untersucht werden. Denn der Unterdruck ist so gewählt, dass er die Zellen zwar festhält, aber nicht beschädigt. Für die Forscher ein deutlicher Vorteil, kann doch eine molekularbiologische Analyse dabei helfen Hinweise zu finden, warum ein Medikament bei den Tumorzellen gewirkt oder versagt hat.

Weitere Anwendungsgebiete im Blick

Für den neuen Mikrolochchip sind auch zahlreiche andere Anwendungen denkbar. So könnte er zum Beispiel als Selektionssystem für Protein-produzierende Zellen zum Einsatz kommen, die für die Produktion von Biopharmazeutika wie Insulin notwendig sind. Zudem lassen sich Mikrochips mit exakt definierten Mikroporen als Substrate für In-vitro-Modelle von physiologischen Barrieren wie die Blut-Hirn-Schranke oder die Darmbarriere verwenden. Solche Barrieremodelle sind für die Entwicklung von Medikamenten außerordentlich interessant, so die Wissenschaftler. Sie suchen nun Partner für die Adaptierung der Technologieplattform an verschiedene Anwendungen.